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Terrorbekämpfung: Verfassungsurteil zu BKA-Gesetz hat für Ermittler weitreichende Folgen

Terrorbekämpfung

Verfassungsurteil zu BKA-Gesetz hat für Ermittler weitreichende Folgen

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    Das Verfassungsgericht kippt das BKA-Gesetz teilweise.
    Das Verfassungsgericht kippt das BKA-Gesetz teilweise. Foto: Uli Deck (dpa)

    Was dürfen Ermittler im Kampf gegen den Terror und was dürfen sie nicht? Darf die Polizei das Privatleben von Verdächtigen ausspähen? Ist es in Ordnung, wenn der Staat mithilfe des Bundestrojaners als Computerhacker auftritt? Um solche Fragen ging es gestern vor dem Bundesverfassungsgericht. Und die Karlsruher Richter stellten dem Gesetzgeber ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus. Zumindest Teile der gängigen Praxis sind rechtswidrig. Nun muss die Bundesregierung das bisherige Gesetz überarbeiten. Zuständig dafür ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der CDU-Politiker kündigte zähneknirschend an, so schnell wie möglich eine Neufassung der rechtlichen Regeln vorzulegen – auch wenn er selbst die Bedenken des Verfassungsgerichtes nicht nachvollziehen kann.

    Mit fünf zu drei Stimmen hatten die Richter weite Teile des im Jahr 2008 von der damaligen Großen Koalition verabschiedeten Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Dies sei „zu respektieren und umzusetzen“, sagte de Maizière. Er betonte aber auch, dass die in Karlsruhe geäußerten Einwände und Bedingungen „den Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht erleichtern“ werden.

    Islamistischer Terror in Europa

    Seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 gab es auch in Europa eine Reihe islamistischer Attentate. Manche Pläne konnten gerade noch vereitelt werden. Beispiele:

    Dezember 2016: Ein Attentäter raste mit einem Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt in Berlin und tötete zwölf Menschen. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Anschlag.

    März 2016: Terroristen haben Sprengsätze am Flughafen und in der U-Bahn der belgischen EU-Hauptstadt Brüssel gezündet. Es gibt zahlreiche Tote und Verletzte.

    November 2015: Bei einer Serie von Terroranschlägen in Paris sterben rund 130 Menschen. Zu den Attentaten bekennt sich wenig später der sogenannte "Islamische Staat".

    Januar 2015: Bei einem Attentat auf die Redaktion des islamkritischen Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris sterben zwölf Menschen.

    Mai 2014: Im Jüdischen Museum in Brüssel erschießt ein französischer Islamist vier Menschen. Kurz darauf wird der Mann festgenommen.

    Dezember 2013: Bei Selbstmordanschlägen in der russischen Stadt Wolgograd sterben 34 Menschen im Bahnhof und in einem Bus. Islamisten aus dem Nordkaukasus bekennen sich zu den Attentaten.

    März 2011: Ein Kosovo-Albaner erschießt am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzt zwei weitere schwer.

    Januar 2011: Bei einem Selbstmordanschlag auf dem internationalen Moskauer Flughafen Domodedowo sterben mindestens 37 Menschen. Die Ermittler machen Islamisten aus dem Nordkaukasus verantwortlich.

    Dezember 2010: Bei einem Sprengstoffanschlag in der Stockholmer Fußgängerzone stirbt der Attentäter. Hintergrund war vermutlich der Einsatz schwedischer Soldaten in Afghanistan.

    März 2010: Die vier Mitglieder der islamistischen Sauerland-Gruppe müssen wegen geplanter Terroranschläge in Deutschland für bis zu zwölf Jahre ins Gefängnis.

    Januar 2010: Gut vier Jahre nach der Veröffentlichung seiner Mohammed-Karikaturen in der Zeitung «Jyllands-Posten» entkommt der dänische Zeichner Kurt Westergaard nur knapp einem Attentat.

    Juli 2006: Im Kölner Hauptbahnhof werden in zwei Zügen Bomben gefunden, die wegen eines technischen Fehlers nicht explodierten. Der «Kofferbomber von Köln» wird zu lebenslanger Haft verurteilt.

    Juli 2005: Vier Muslime mit britischem Pass zünden in der Londoner U-Bahn und einem Bus Sprengsätze. 56 Menschen sterben, etwa 700 werden verletzt.

    März 2004: Bei Sprengstoffanschlägen auf Pendlerzüge in Madrid sterben 191 Menschen, etwa 1500 werden verletzt.

    Hintergrund: Das nun gekippte Gesetz stattete das Bundeskriminalamt mit weitreichenden Befugnissen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus aus und erlaubte den Ermittlern unter anderem, die Computer von Terrorverdächtigen auszuspionieren, Daten von Festplatten zu kopieren und solche Informationen dann Geheimdiensten im In- und Ausland zur Verfügung zu stellen. Genau das aber geht den Verfassungshütern zu weit.

    Warum wurde das BKA-Gesetz teilweise gekippt?

    Sie argumentieren, dass diese Befugnisse unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger eingreifen. Zu den Klägern, die das Gesetz angefochten haben, gehört einer der Vorgänger von de Maizière: Der frühere Innenminister und FDP-Politiker Gerhart Baum ist mittlerweile 83 Jahre alt, kämpft aber immer noch leidenschaftlich für Freiheitsrechte.

    Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes dürfen zwar Ermittler grundsätzlich Wohnungen verwanzen und mit Kameras ausspähen, auch die Installation eines Trojaners auf dem Privatcomputer eines Verdächtigen und die Aufzeichnung aller auf der Festplatte gespeicherten Daten sind im Grundsatz mit den Grundrechten vereinbar. Allerdings müsse dabei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit „strikt eingehalten“ werden.

    BKA-Gesetz: Wohnung genießt besonderen Schutz

    Und: Karlsruhe machte deutlich, dass die private Wohnung als „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ einen besonderen Schutz genießt. Auch deshalb darf das Bundeskriminalamt ermittelte Daten erst dann verwerten, wenn zuvor von einer unabhängigen Stelle überprüft wurde, ob sie „höchstprivate Informationen“ enthalten. Die Weitergabe der Daten an andere inländische Dienste wie den Verfassungsschutz ist nur dann in Ordnung, wenn ein konkreter Tatverdacht vorliegt.

    Noch höhere Hürden baute das Verfassungsgericht für die Weitergabe solch sensibler Daten an Geheimdienste von Staaten auf, die nicht Mitglied der EU sind. Dies sei überhaupt nur zulässig, wenn die Bestimmungen des Datenschutzes eingehalten werden. Ein absoluter Hinderungsgrund liege vor, wenn Menschenrechte verletzt werden und dem Betroffenen beispielsweise Folter droht. Die Bundesregierung hat bis Juni 2018 Zeit, eine gesetzeskonforme Neufassung des Gesetzes vorzulegen. So lange dürfen die bestehenden Regeln angewandt werden.

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