Es waren junge Menschen, die am Montag in der Wiener Innenstadt ihr Leben verloren haben: Eine 24-jährige deutsche Studentin, die in einem Lokal jobbte, ein 21 Jahre junger Mann, der im „Bermuda-Dreieck“ in der Inneren Stadt seinen ersten Job gefeiert haben soll, ein 39-jähriger Besitzer eines Asia-Lokals, sowie eine 44-jährige Angestellte, die sich auf dem Heimweg vom Büro befunden haben dürfte.
Für sie alle wurde am Donnerstag zu Beginn der Nationalratssitzung im Wiener Parlament eine Schweigeminute abgehalten – danach aber folgte eine heftige Debatte zwischen Regierung und den Oppositionsparteien. Herbert Kickl, früherer FPÖ-Innenminister und Vorgänger des jetzigen ÖVP-Amtsinhabers Karl Nehammer, gab Letzterem die Verantwortung für die Opfer des Anschlags. Vor allem der Verfassungsschutz wird scharf kritisiert: Die slowenischen Behörden hatten ihren Kollegen in Österreich im Juli berichtet, dass der spätere Attentäter vergeblich versucht hatte, in der Slowakei Munition für ein AK47-Sturmgewehr zu kaufen. Der Verfassungsschutz meldete dies nicht an die Staatsanwaltschaft, Nehammer musste am Dienstag Fehler in der Kommunikation einräumen. „Was Sie Kommunikationsfehler nennen, ist das Todesurteil für vier unschuldige Menschen gewesen“, sagte Kickl. Ein Misstrauensantrag der FPÖ gegen Nehammer wurde zwar von den Sozialdemokraten unterstützt, scheiterte aber.
Nehammer sieht wiederum bei der FPÖ die Schuld für das augenscheinliche Versagen des Verfassungsschutzes: Er spielt damit auf die von Kickl im Februar 2018 veranlasste Hausdurchsuchung in der Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) an, die international für Schlagzeilen sorgte. Kickl habe so den Verfassungsschutz „nachhaltig geschädigt, sozusagen zerstört“, sagte Nehammer am Mittwoch. Im Mai 2018, nach der Razzia, hatte Nehammer, damals ÖVP-Generalsekretär, Kickl noch in Schutz genommen: Das Vorgehen von Innenminister Herbert Kickl sei „selbstverständlich mit der ‚neuen Volkspartei‘ abgestimmt“.
Auch in der schwarz-grünen Koalition in Wien knirscht es
Der jetzigen Argumentation der Kanzlerpartei, Kickls Razzia im BVT sei Schuld am Zustand des Verfassungsschutzes und damit auch an dessen Versagen im Vorfeld des Anschlags, ging noch am Dienstag der Versuch voraus, die Verantwortung in Richtung des jetzigen grünen Koalitionspartners abzuwälzen. Der Täter habe es geschafft, Justiz und den Präventionsverein „Derad“ zu täuschen, sagte Nehammer in einer Pressekonferenz. „Der spätere Attentäter wurde von unserem Betreuer bis zuletzt als problematischer, junger Mann mit islamistischer Einstellung eingestuft“, sagt dazu Moussa Al-Hassan Diaw, Leiter von „Derad“. „Unsere Empfehlung war, dass die Betreuung keinesfalls ausgesetzt, sondern über die volle Länge von drei Jahren fortgeführt werden sollte.“
Umso stärker wiegt die Kritik am Verfassungsschutz. Dokumente zeigen: Am 21. Juli fand der besagte Versuch des späteren Attentäters und einer weiteren Person statt, in der Slowakei Munition zu kaufen. Zwei Tage später erfolgte die Meldung an die österreichischen Behörden, doch erst am 10. September identifizierte das BVT den Mann, der in einem BMW mit Wiener Kennzeichen angereist war. Die Staatsanwaltschaft wurde erst am Tag des Anschlags von alldem informiert – als es bereits zu spät war.
Die ÖVP bringt eine Sicherungshaft für Islamisten ins Spiel – das Thema hatte schon in der Vergangenheit für Spannungen zwischen ÖVP und Grünen gesorgt.
In Berlin deutete Innenminister Horst Seehofer (CSU) an, dass es bei der Tat in Wien Bezüge zu Gefährdern in Deutschland gebe. Die Aussage wurde jedoch bis zum Abend nicht konkretisiert.
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