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Terror made in England
Don Stewart-Whyte war kein Musterknabe. Ab und zu trank er einen über den Durst, raufte mit anderen Teenagern und flog deswegen am Ende sogar von der Schule. Jugendsünden, lächelten die Nachbarn, die ihn zuletzt als freundlichen und hilfsbereiten jungen Mann kannten. Vor sechs Monaten wurde Don Stewart-Whyte ein Moslem, nannte sich Abdul Waheed und ließ sich einen Bart wachsen. Jetzt sitzt der 21-Jährige hinter Gittern wie weitere 23 Briten im Alter zwischen 17 und 35, die den größten Terroranschlag seit dem 11. September 2001 geplant haben sollen.
Neun Flugzeuge wollten sie nach den bisherigen Erkenntnissen in die Luft jagen, mit flüssigem Sprengstoff, der in Trinkflaschen an Bord geschmuggelt werden sollte. In letzter Minute wurden die Anschläge, die nach Einschätzung von Scotland Yard zu einem "Massenmord unvorstellbaren Ausmaßes" geführt hätten, noch vereitelt. Der Schock sitzt dennoch tief auch wegen Don Stewart-Whyte.
Die Namen der Verdächtigen, die einen Tag nach der Festnahme veröffentlicht wurden, klingen alle muslimisch. Ali, Achmed, Osman oder Mohammed. Aber alle wurden in Großbritannien geboren, und mindestens drei der 24 schlossen sich erst kürzlich dem Islam an.
Ihr Alltag? Eher unauffällig. Einer lieferte Pizzas aus, ein anderer ging zur Uni, ein dritter verdiente sein Geld als Bauarbeiter. Auch Frauen sind dabei, eine davon hochschwanger, die andere Mutter eines sechsmonatigen Kindes. Zwei Brüder waren groß im Automobilhandel, ein anderer liebte Kricket, die englischste aller Sportarten, und einer war glühender Fan von Arsenal London, wo Jens Lehmann im Tor steht.
Warum hassten sie die westliche Zivilisation, ihre Heimat, so sehr, fragt man sich jetzt in England erschreckt und fahndet in den Lebensläufen nach Anhaltspunkten.
Warum einer wie Don Stewart-Whyte sich plötzlich ausklinkte, bleibt aber erst mal ein Rätsel. Die Familie wohnt in High Wycombe, einem friedlichen Ort in der Grafschaft Buckinghamshire, westlich von London. Der Vater, ein Aktivist der konservativen Tory-Partei, starb vor acht Jahren. Nachdem Heidi, die ältere Schwester, ausgezogen war, lebte die Mutter, eine Turnlehrerin, mit ihrem Sohn erst mal allein in der typischen Vorort-Idylle des Hepplewhite Close, wo es ein bisschen so aussieht wie in Harry Potters Ligusterweg Nummer 4.
Das Haus ist rot verklinkert, der Zierbusch schmuck getrimmt, davor stehen die Mülltonnen, sauber aufgereiht für die Abfuhr. Allein ein paar Glasscherben vor der Einfahrt stören die Beschaulichkeit. Die Scheibe an der Fahrerseite von Abdul Waheeds rotem Nissan ist zersplittert. Die Anti-Terror-Einheit hatte bei der Festnahme nicht lange gefackelt.
Vor einem Monat heiratete Abdul Waheed, und zwar eine Muslimin, zum Kummer seiner Mutter, wie die Nachbarn sagen. Dennoch: Man ist sich einig, dass Don Stewart-Whyte ein besserer Mensch wurde, seitdem er zum Glauben fand. Kein Alkohol mehr, keine Joints, keine Raufereien. Mehrere Jobs hatte der Junge zuvor geschmissen und es weder beim Friseur noch beim örtlichen Elektrohändler lange ausgehalten. Er besuche jetzt eine Universität, hieß es zuletzt, und auf die Frage, warum er denn zum Islam gewechselt sei, entgegnete Abdul Waheed meist: "Es hat irgendwie geklickt. Ich musste das einfach mal ausprobieren."
Wie Don Stewart-Whyte jedoch die Gruppe kennen lernte und warum er seinen neuen Glauben unbedingt mit einer Bombe unters Volk bringen wollte, ist nicht bekannt. Auch wo sich die Lebensläufe der 24 Hauptverdächtigen mindestens fünf werden noch gesucht gekreuzt haben, liegt vorerst im Dunkeln. Eine Moschee, wo die Prediger des Hasses radikales Gefolge hätten sammeln können, scheidet nach den bisherigen Erkenntnissen aus. Zwei Brüder aus einer wohlhabenden Familie, der gleich mehrere Häuser in High Wycombe gehören, hatten sogar die Besuche im örtlichen Gebetshaus eingestellt. Sie tauschten Jeans und T-Shirt aber gegen den traditionellen Umhang der Fundamentalisten und besuchten öfter einen der zahlreichen islamischen Buchläden, die "hier überall wie Pilze aus dem Boden wachsen", wie ein Anwohner sagt. Dort weist man den Verdacht zurück. Dies sei ein Buchladen, keine Waffenfabrik.
Mindestens drei der Verdächtigen wandten sich erst vor kurzem dem Islam zu, tauschten Namen wie Oliver oder Adam gegen Umar Islam oder Ibrahim. Einige besuchten offenbar auch ein Land, das immer wieder genannt wird, wenn es um Terror geht. Mehrere britische Staatsbürger seien im Zusammenhang mit den vereitelten Anschlägen vor Ort verhaftet worden, heißt es in Pakistan. Auch der entscheidende Hinweis, dass ein Attentat unmittelbar bevorsteht und ein sofortiger Zugriff in Großbritannien unumgänglich sei, kam angeblich aus dem Land, aus dem die Familien vieler "Flaschenbomber", wie sie jetzt genannt werden, einst nach England flohen.
War auch Don Stewart-Whyte in Pakistan? Wurde er dort zu Abdul Waheed, dem Mann, der sich an einem Massenmord beteiligen wollte? Nachbarn und Freunde wollen das nicht glauben. Höflich, freundlich und gut gelaunt schien er zuletzt. Besser drauf als jemals zuvor. Auch wenn er zuletzt nicht mehr "Good Morning!" sagte, sondern "Salaam!"
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