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Terror in Spanien: Gerade noch entkommen: So erlebten Augenzeugen aus der Region den Terror

Terror in Spanien

Gerade noch entkommen: So erlebten Augenzeugen aus der Region den Terror

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    Die Menschen in Barcelona lassen sich nicht unterkiegen: Sie kommen auf die Ramblas, legen Blumen und Kerzen nieder.
    Die Menschen in Barcelona lassen sich nicht unterkiegen: Sie kommen auf die Ramblas, legen Blumen und Kerzen nieder. Foto: PASCAL GUYOT, afp

    Einen ganz kurzen Moment lang denkt Ingo Reinsberger, dass irgendwo auf der Straße ein Star aufgetaucht sein muss. Weil die Menschen hier, auf den Ramblas in Barcelona, zu schreien beginnen, weil viele losrennen. Einen Moment später ist dem 51-Jährigen klar, dass etwas Schreckliches passiert sein muss.

    Menschen strömen ins Hardrock Café, wenige Meter von der Prachtmeile entfernt an der Plaça de Catalunya, suchen Deckung, verkriechen sich mit weinenden Kindern unter den Tischen. Durch das Fenster sieht Reinsberger Passanten auf dem Boden liegen, beobachtet, wie Polizei und Krankenwagen auf die Prachtmeile einbiegen – dort, wo Minuten zuvor ein weißer Lieferwagen in die Menge gerast war.

    Dabei sollte dieser Donnerstag ein besonderer Tag für Reinsberger, seine Frau und seine Tochter werden, die derzeit an einem Campingplatz an der Costa Brava Urlaub machen. Sie brachen zu einem Tagesausflug nach Barcelona auf, gemeinsam mit einer Freundin und deren Tochter. "Ich hatte schon auf der Hinfahrt ein komisches Gefühl", sagt der Mann aus Pfronten im Ostallgäu.

    Zehn Minuten vorher spazierte seine Frau noch über die Ramblas

    Am Tag danach wird Reinsberger klar, wie leicht der Terroranschlag auch seine Familie hätte treffen können. Zehn Minuten bevor der Lieferwagen im Zickzackkurs Menschen umfährt, war seine Frau noch dort unterwegs. Die Reinsbergers hatten sich aufgeteilt. Jeder soll den Stadtbummel dort genießen, wo es ihn am meisten hinzieht.

    Die Ramblas sind eine der Hauptattraktionen in Barcelona. Ein breiter Boulevard, von Bäumen beschattet, an dem sich, bis hinunter zum alten Hafen der Stadt, historische Häuser, alte Markthallen, urige Cafés, Hotels und Restaurants reihen. Es ist die Promonade, auf die es jeden Tag Tausende Touristen zieht, auf der die Barça-Fans feiern, wenn ihr Fußballklub den ewigen Konkurrenten Real Madrid in die Knie zwingt.

    Gegen 16.50 Uhr am Donnerstag registrieren die Überwachungskameras einen Fiat-Transporter an der Plaça de Catalunya, der auf die Allee einbiegt. Doch der Mann am Steuer nimmt nicht die dafür vorgesehenen Fahrstreifen. Er rast auf den Fußgängerbereich in der Mitte der Allee zu, fährt Schlangenlinien, gibt noch mehr Gas, überrollt, wie die Polizei später feststellen wird, "mehr als einhundert Menschen". Und die Behörden werden sagen: "Sein Ziel war es, so viele Menschen wie möglich zu überfahren."

    Nizza, Berlin, London und jetzt Barcelona: Die Anschläge, die stets die Terrormiliz IS für sich reklamiert, ähneln sich. Ziel sind Passanten, Touristen, Menschen, die ausgehen, feiern, das Leben genießen wollen. In Barcelona traf es vor allem Touristen. Am Tag nach dem Terrorakt sind viele in der 1,6-Millionen-Stadt noch immer geschockt.

    Die Mädchen hören, dass der Transporter heranrast

    Auch die vier Mädchen, die mit ihrer Jugendgruppe aus dem Kreis Main-Spessart vor Ort sind. Am Donnerstag bummeln die Mädchen über die Ramblas, als sie hinter sich ein Geräusch hören. Es ist der weiße Transporter. Die Mädchen drehen sich um, sehen, dass der Wagen heranrast. Sie springen zur Seite, bringen sich in einem Hotel in Sicherheit. Andere werden vom Transporter erfasst, durch die Luft geschleudert. Ana und Cristina, zwei spanische Urlauberinnen, haben Glück. Sie schaffen es, rechtzeitig zur Seite zu rennen: "Er hat alles mit seinem Wagen umgemäht – Menschen und Verkaufsstände", erzählen sie.

    Nach gut einem halben Kilometer kracht der Transporter in einen Kiosk. Der Fahrer, der im Polizeifunk als ein "Mann mit weiß-blauem Streifenhemd" beschrieben wird, verschwindet in den Gassen Barcelonas. Zurück bleiben auf dem Boden liegende, leblose Körper – und eine Spur des Todes.

    Bruno Gulotta hat seinen fünfjährigen Sohn Alessandro an der Hand gehalten, als er von dem Lieferwagen erfasst wurde. Seine Frau Martina trägt die einjährige Tochter auf dem Arm, schafft es noch, den Buben wegzuziehen.

    Ingo Reinsberger und seine Familie ahnen zu dieser Zeit noch nicht, dass das Hardrock Café für die nächsten Stunden zu ihrem Bunker werden soll. Als die Terrormeldung die Runde macht, verrammeln die Mitarbeiter die Türen, lassen die Eisengitter hinunter. Drinnen trösten sich Besucher und die, die von den Ramblas geflüchtet sind, gegenseitig. Die Mitarbeiter im Café versorgen die Gestrandeten. "Die Hilfsbereitschaft war phänomenal", sagt Reinsberger am Tag danach. Nach dem Anschlag in Barcelona: Was wir wissen und was nicht

    Andere genießen zu dieser Zeit noch ihren Urlaub. So wie Stefan Häck aus Ulm. Seit Mittwoch macht er mit seiner Familie in Tarragona Urlaub – 100 Kilometer südlich von Barcelona und nur 20 Kilometer entfernt von Cambrils, wo am frühen Freitagmorgen ein schwarzer Audi in eine Menschengruppe rast. Eine Frau stirbt, fünf Passanten und ein Polizist werden verletzt, ehe die Beamten die fünf Angreifer töten.

    Häck hat erst durch einen Anruf der Familie vom Terroranschlag erfahren, sich dann im Internet ein Bild von der Lage gemacht. "Sonst würde man hier gar nichts mitkriegen", sagt er. Und, dass von Panik keine Spur sein könne. "Die Touristen sind ganz normal auf den Straßen unterwegs. Nur das Polizeiaufgebot wurde wesentlich erhöht." Der 40-Jährige berichtet von Zufahrtsbeschränkungen in die Innenstadt, davon, dass Polizisten mit Maschinenpistolen im Einkaufszentrum patrouillieren und gepanzerte Fahrzeug auffahren.

    Die Menschen gehen wieder auf die Ramblas - und sie singen

    In Barcelona legen die Menschen am Freitag Blumen nieder, zünden Kerzen an – und sie strömen auf die Ramblas, um den Attentätern zu zeigen, dass sie sich nicht unterkriegen lassen. Tausende versammeln sich um 12 Uhr auf dem Plaça de Catalunya – dort, wo die Todesfahrt ihren Ausgang genommen hat. Stille kehrt ein. Eine Minute lang schweigt das sonst pulsierende Herz der katalanischen Metropole. Dann aber kommt das wahre Wesen der weltoffenen, fröhlichen Stadt wieder an die Oberfläche: Minutenlang applaudieren die Bürger frenetisch im Gedenken an die Opfer. Ein Chor auf Katalanisch brandet auf: "No temim por" – Wir haben keine Angst!

    Aina Ramis hat mitgeklatscht, mitgesungen, mit Gänsehaut und Tränen in den Augen. "Barcelona wird sich nicht ändern, die Stadt trauert, die Polizeipräsenz wird sicher in Zukunft höher sein, aber Barcelona bleibt so wie es ist", sagt die 24-jährige Journalistin. Und doch beschleicht die gebürtige Mallorquinerin ein beklemmendes Gefühl, wenn sie an ihre Heimatinsel denkt. "Auch dort könnte es passieren."

    Es ist das, was in Spanien eigentlich keiner aussprechen will: dass der Terror irgendwann auch die Touristenhochburg Mallorca treffen könnte. Denn Nach dem Terror in Spanien: Was Urlauber jetzt wissen müssen.

    Die Touristen haben ein Kurzzeitgedächtnis, sagt Daniel

    Daniel Vásquez wird diesen Tag nicht vergessen. Nicht nur, weil es sein 35. Geburtstag war. Nicht nur, weil sein Telefon ab dem späten Nachmittag nicht mehr stillstand und Freunde und Familie sich vergewissern wollten, dass es ihm gut geht. Dass nun auch in Barcelona IS-Terroristen Menschen in den Tod gerissen haben, überrascht ihn nicht. "Es hätte uns schon viel früher treffen können, und es war klar: wenn es hier passiert, dann wird es auf der Rambla sein", sagt er.

    Kann man noch guten Gewissens nach Barcelona reisen? Auf Mallorca Urlaub machen? Es sind Fragen, die sich auch Nicole Straßer aus Kempten in diesen Tagen stellt. "Bisher dachte ich: Spanien ist sicher." Am Donnerstag hat sie um ihren Bruder gebangt, der in Barcelona arbeitete. Die 44-Jährige sagt: "Wenn man jemanden kennt, der bei einem Anschlag vor Ort ist, macht man sich andere Gedanken."

    Ingo Reinsberger und seine Familie werden noch ein paar Tage in Spanien bleiben, dann weiter nach Frankreich. Vorher aber wollen sie noch einmal nach Barcelona, sich bei den Mitarbeitern im Hardrock Café bedanken. Sie wollen die Straße, die so schlagartig von der fröhlichen Flaniermeile zum Platz des Grauens wurde, noch einmal besuchen, Blumen niederlegen und ihre Erlebnisse verarbeiten. Damit, schätzt Reinsberger, werden sie wohl noch Monate zu tun haben. Wie viele Menschen in Barcelona. mit dpa, afp

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