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Terror in Paris: Wie Krieg mitten in Paris ausbrach

Terror in Paris

Wie Krieg mitten in Paris ausbrach

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    In Deckung: Ein französischer Polizist in der Nähe des Restaurants "Le Petit Cambodge". Die Terror-Attacken haben Paris verändert.
    In Deckung: Ein französischer Polizist in der Nähe des Restaurants "Le Petit Cambodge". Die Terror-Attacken haben Paris verändert. Foto: Etienne Laurent (dpa)

    Die Einladung zum Konzert war das Geschenk eines Freundes, mit dem Vincent einen fröhlichen Abend verbringen wollte. Als der junge Architekt am frühen Freitagabend mit seinem Motorrad losfährt zur Konzerthalle Bataclan im Nordosten von Paris, wo die US-Band „Eagles of Death Metal“ spielt, kann er nicht wissen, dass er statt Ausgelassenheit einen Exzess der Gewalt erleben wird.

    Er kann nicht wissen, dass es der letzte Abend seines Lebens wird. Vincent hinterlässt eine Frau und zwei kleine Töchter.

    „Es macht keinen Sinn. Er ist gestorben für nichts, für den Wahn von ein paar Extremisten“, sagt ein Freund. „Es ist so bitter.“ Auch wer keins der unendlich vielen Opfer persönlich kennt, empfindet nach dieser Nacht hilflose, wütende Fassungslosigkeit darüber, dass Paris zehn Monate nach den Anschlägen auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt mit insgesamt 17 Todesopfern erneut Zielscheibe islamistischer Terroristen geworden ist.

    Während die Menschen damals – getrieben von einem enormen Bedürfnis, Solidarität und Zusammenhalt auszudrücken – hinausströmten und sich zu tausenden auf dem Platz der Republik versammelten, bleiben diesmal zunächst viele zu Hause. Die Straßen wirken ungewöhnlich leer und ruhig, die Gesichter der Menschen sind ernst und bedrückt. Wo sonst ein Straßenmusiker Akkordeon spielt, ist Stille. Erst am Sonntagnachmittag füllen sich die Straßen in der Nähe der Tatorte und auf dem Platz der Republik. Allerdings bleiben Museen, Kinos, Straßenmärkte und Kaufhäuser geschlossen. Alle Großveranstaltungen sind bis Donnerstag abgesagt. Paris ist wie gelähmt.

    Für Umtriebigkeit sorgen vor allem die Journalisten. Hinter den Absperrungen der Polizei vor den Tatorten, den Cafés, Restaurants und dem Bataclan haben sich dutzende Kamerateams postiert. Reporter streichen auf der Suche nach Augenzeugenberichten durchs Viertel. Aber nicht jeder will sich äußern. Wie auch Worte finden? Vor den Absperrungen legen Menschen Blumen ab, stellen Kerzen auf oder Schilder, auf denen steht: „Wir haben keine Angst.“ Oder: „Je suis Paris“ („Ich bin Paris“), angelehnt an das Motto nach den Januar-Attentaten, „Je suis Charlie“. Auf dem Boden liegt ein Notenblatt von John Lennons „Imagine“, umrahmt von herzförmig gelegten Kerzen.

    Fehlalarm löst am Sonntag Massenpanik in Paris aus

    Dass zunächst nicht die Massen auf die Straße gehen, entspricht der Empfehlung der Behörden während des Ausnahmezustands, den Präsident François Hollande ausgerufen hat und der drei Monate dauern soll. Ein Gefühl der Angst schwebt über der Stadt. Sie suche einen Spielplatz in der Nähe, sagt eine junge Frau mit Kleinkind auf dem Arm, die im ruhigen Süden von Paris unterwegs ist, unweit des – für Touristen gesperrten – Eiffelturms, aber mehrere Kilometer von den Tatorten entfernt. Am dortigen Marsfeld gibt es zwar Wippen und Sandkästen. „Aber dorthin möchte ich nicht gehen nach allem, was passiert ist.“

    Tatsächlich kommt es hier einige Stunden später zu einem Einsatz der Polizei. Er stellt sich als Fehlalarm heraus. Am Sonntagabend lösen Gerüchte über Schüsse in der Innenstadt Panik aus. Auch dort ein Fehlalarm. Die Stimmung ist nervös. Alles, so fürchtet man, kann jederzeit passieren. Noch immer erscheint die Lage unübersichtlich. Staatsanwalt François Molins macht deutlich, dass die Terror-Aktionen, die zeitgleich an sechs verschiedenen Orten stattfanden, professionell geplant und auf drei Gruppen aufgeteilt waren. Verhindern ließen sie sich trotz der Sicherheitsmaßnahmen nicht, die seit Januar in Kraft sind: die verstärkte Überwachung und Polizei-Präsenz, die neuen Anti-

    Die Schockwirkung hat sich auch deshalb potenziert, weil die Opfer nicht gezielt ausgewählte „Feinde“ sind, Karikaturisten beispielsweise als Vertreter der Meinungsfreiheit. So gut wie jeder hätte getroffen und genau wie der junge Familienvater Vincent zum tragischen Zufallsopfer werden können. Weil sich die Attacken gegen einen Lebensstil richteten – gegen Menschen, die in Bars und Restaurants saßen, die unbeschwert feiern und das Leben genießen wollten. Paris, diese leuchtende Stadt der Liebe und der Freude, wurde in einer Nacht zur Stadt der Trauer und des Schmerzes.

    „Der Islamismus wollte das Glück töten“, schreibt die Zeitung Libération. Deshalb waren die sechs Anschlagsziele wohl nicht zufällig gewählt. In einem Kommuniqué erklärt die Terrororganisation des selbst ernannten Islamischen Staates (IS), die sich zu den Attentaten bekennt, sie habe diese auf „gründlich im Vorfeld ausgewählte Orte im Herzen der französischen Hauptstadt“ gerichtet, die die „Hauptstadt der Abscheulichkeiten und der Perversion“ sei.

    ---Trennung _Und auf einmal beherrscht der Terror Paris _ Trennung---

    Die meisten Menschen sterben in der Konzerthalle Bataclan

    Abgesehen vom Fußball-Stadion Stade de France in Saint-Denis, einem Vorort im Norden von Paris, liegen sie alle in einem engen Umkreis in der Nähe des Platzes der Republik und des Kanals Saint-Martin. In diesem Szene- und Ausgehviertel pulsiert tags wie nachts das Leben. Hier trifft sich das Party-Volk aus Paris und der ganzen Welt. So sind auch unter den Opfern nicht nur Franzosen, sondern Amerikaner, Schweden oder Briten. Und auch ein Oberbayer.

    Den Auftakt der Terrorserie macht eine Bombe, die nahe dem Fußballstadion explodiert. Beim Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich sitzen auch Präsident Hollande und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf der Tribüne. Nachdem einer der Attentäter, nach widersprüchlichen Angaben im Besitz einer Eintrittskarte, aufgrund seiner Sprengstoffweste nicht eingelassen wird, flieht er und bringt die Bombe vor dem Stadion zur Detonation. Dort sprengen sich zwei weitere Attentäter in die Luft und reißen eine weitere Person mit in den Tod.

    Derweil beginnen ihre Komplizen die Attacken auf mehrere Cafés und Restaurants. „Ich habe zwei Männer mit Kalaschnikows gesehen. Sie trugen eine kleine Mütze, aber waren nicht vermummt“, sagt Bernard, der eine Schießerei von seinem Fenster aus beobachtet. Zwei Minuten, so sagt er, zielen die Täter auf die Menschen, die verzweifelt versuchen, sich zu verstecken. „Es war erschütternd. Ich bin immer noch geschockt.“

    Die meisten Menschen, rund 90, sterben in der Konzerthalle Bataclan, wo sich ein ausgelassener Abend für 1500 Besucher in einen Albtraum verwandelt, als drei unmaskierte, in Schwarz gekleidete Männer eindringen. Augenzeugen zufolge beginnen sie, wahllos in die Menge zu schießen. Immer wieder laden sie ihre Maschinengewehre nach. „Körper lagen am Boden, überall war Blut“, erzählt eine Besucherin, die sich retten konnte. Drei quälend lange Stunden dauert die Geiselnahme, ehe die Einsatzkräfte das Bataclan stürmen und die Konzertgäste ins Freie können. Die Attentäter sprengen sich selbst in die Luft oder werden von den Einsatzkräften getötet.

    Polizei und Militär im Zentrum von Paris.
    Polizei und Militär im Zentrum von Paris. Foto: Laurent Dubrule (dpa)

    Zu dieser Zeit befindet sich Paris bereits in heller Aufregung. „Es war wie im Krieg: Sirenen-Geheul, überall Polizei und Krankenwagen“, sagt Martin, ein Anwohner. Die U-Bahn fährt nicht mehr, der Verkehr wird teils umgeleitet, viele wagen sich nicht mehr nach Hause; sie übernachten bei Freunden.

    Sichtlich mitgenommen verurteilt Hollande noch in der Nacht die Taten als „totale Barbarei“. Er wählt drastische Worte und spricht wie Premierminister Manuel Valls von einem „Krieg“ – „ein Akt, den eine terroristische Armee, IS, gegen Frankreich begangen hat, gegen unsere Werte und das, was wir sind, ein freies Land.“ Er verspricht eine unerbittliche Reaktion eines Frankreichs, das trotz allem „stark, solide, aktiv, wachsam“ sei und „über die Barbarei triumphieren“ werde.

    Worte, die nach diesem Freitag, den 13., nicht triumphierend wirken, sondern gebrochen. Seine stille Trauer wird Frankreich heute um 12 Uhr bei einer Schweigeminute ausdrücken.

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