Die britischen Sicherheitsbehörden haben zur Aufklärung des Terroranschlags von London eine massive Ermittlungsoffensive gestartet. Zwei Tage nach dem Attentat im Zentrum der Hauptstadt sei bereits mit rund 3500 Zeugen gesprochen worden, elf Wohnungen seien durchsucht worden, teilte Scotland Yard am Freitag mit. Im Zusammenhang mit dem Attentat nahm die Polizei in der Region West Midlands um Birmingham und in Manchester zwei weitere Personen fest. Einzelheiten wurden zunächst nicht genannt.
Der verheerendste Anschlag in Großbritannien seit über zehn Jahren
Der 52-jährige Khalid Masood war am Mittwoch mit einem Wagen gezielt in Passanten auf der Westminster-Brücke in London gefahren. Er tötete drei Menschen, anschließend erstach er einen Polizisten vor dem Parlament. Masood wurde von Sicherheitskräften erschossen. 50 Menschen wurden bei seinem Attentat teils schwer verletzt. Prinz Charles besuchte Verletzte im Krankenhaus.
Es war der verheerendste Anschlag in Großbritannien seit mehr als zehn Jahren. Im Juli 2005 starben bei Sprengstoffanschlägen in einer U-Bahn und in einem Bus 56 Menschen.
Die Ermittler bemühten sich intensiv um Klarheit über die Motive Masoods sowie über mögliche Mitwisser und Helfer. Zehn Personen befanden sich nach neuesten Angaben am Freitag in Polizei-Gewahrsam, eine Frau war wieder frei gekommen. Am Freitag veröffentlichte die Polizei auch ein Foto Masoods. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte die Tat für sich reklamiert. Der Wissenschaftler Peter Neumann bezweifelte, dass Masood in direktem IS-Auftrag handelte.
Mark Rowley, Anti-Terror-Chef bei Scotland Yard, sagte, der Geburtsname Masoods laute Adrian Russell Ajao. Den Behörden zufolge trat er auch als Adrian Elms und mit anderen Namen auf, auch den Wohnort wechselte er wohl häufig. Rowley bat die Bevölkerung erneut um Mithilfe bei den Ermittlungen. Seinen Angaben nach wurden bei den Durchsuchungen bislang rund 2700 Gegenstände sichergestellt, darunter auch eine große Menge an Daten von Computern.
Khalid Masood wurde in London geboren
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin sagte zu dem Anschlag: "Ein vollständiges Bild erschließt sich uns noch nicht." Er fügte an, man teile gemeinsame Werte, aber auch den Bedrohungsraum. Die Gefährdungslage sei hoch.
Masood wurde in Großbritannien geboren. Nach Angaben von Premierministerin Theresa May stand er früher unter Verdacht, ein gewalttätiger Extremist zu sein. Medien zufolge soll er zum Islam konvertiert und sehr religiös geworden sein. Masood lebte zuletzt in Birmingham. Die zweitgrößte Stadt des Landes und die umliegende Region West Midlands gelten als Hotspots der radikalen Islamistenszene.
Der Terrorismusforscher Neumann zweifelte an einem IS-Auftrag für Masood. Die Miliz habe den Anschlag zwar für sich reklamiert, aber es gebe IS-Publikationen, die in den vergangenen 24 Stunden veröffentlicht wurden, die den Anschlag in London nicht erwähnen, sagte der Leiter des internationalen Zentrums zur Erforschung von Radikalisierung (ICSR) am Londoner King's College der Deutschen Presse-Agentur. "Und das bedeutet, dass offensichtlich die Leute in Syrien keine Ahnung hatten, dass er passiert."
Masood war mehrfach vorbestraft und der Polizei vor allem durch Gewaltdelikte aufgefallen. Britischen Medien zufolge wurde er im Jahr 2000 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, weil er einem Mann mit einem Messer das Gesicht aufgeschlitzt hatte. Drei Jahre später verletzte er demnach bei einem Streit erneut das Gesicht eines Mannes und wurde zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt.
Terror, Amok, Attentat - Fahrzeuge als Waffe
Ob Attentäter, Amokläufer oder Terrorist: Wann immer Angreifer das Gaspedal durchdrücken, werden aus Fahrzeugen tödliche Rammböcke. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) forderte mehrfach dazu auf, "Ungläubige" zu überfahren. Wegen der oft hohen Zahl der Opfer erregen solche Attacken große Aufmerksamkeit - unabhängig von der Motivation des Täters. Einige Beispiele:
Frankreich: Nach einer mutmaßlichen Fahrzeug-Attacke auf Soldaten bei Paris gehen französische Ermittler einem Terrorverdacht nach. Das Fahrzeug raste am Mittwochmorgen im Vorort Levallois-Perret in die Gruppe und verletzte dabei sechs Militärs.
Großbritannien: Bei einem Anschlag mit einem Lieferwagen in London hat ein Mann mehrere Mitglieder einer muslimischen Gemeinde verletzt. Acht Opfer kamen laut Polizei ins Krankenhaus, mehrere weitere wurden vor Ort behandelt.
Großbritannien: Am Abend des 3. Juni rast ein Lieferwagen mit drei Attentätern an Bord auf den Gehweg der London Bridge und erfasst mehrere Fußgänger. Danach fahren die Insassen zum Borough Market, steigen aus und stechen mit Messern auf Passanten ein. Acht Menschen sterben.
Schweden: Ein 39-jähriger Usbeke steuert am 7. April einen Lastwagen in einer Stockholmer Einkaufsstraße in eine Menschenmenge und dann in ein Kaufhaus. Bei dem Anschlag kommen vier Menschen ums Leben, 15 werden verletzt.
Großbritannien: Am 22. März 2017 lenkt ein 52-Jähriger ein Auto absichtlich in Fußgänger auf der Westminster-Brücke im Zentrum Londons und ersticht anschließend einen Polizisten auf dem Gelände des britischen Parlaments. Er wird von Sicherheitskräften erschossen. Fünf Menschen sterben.
Deutschland: Ein Weihnachtsmarkt in Berlin wird am 19. Dezember 2016 Ziel eines islamistischen Terroranschlags. Zwölf Menschen sterben, als ein IS-Anhänger einen gekaperten Lastwagen in die Menschenmenge steuert. Wenige Tage später erschießen Polizisten den 24 Jahre alten Tunesier bei einer Kontrolle nahe Mailand.
USA: Am 28. November 2016 rast ein Student der Ohio State University in eine Gruppe Fußgänger. Danach steigt er aus dem Wagen und greift Umstehende mit einem Schlachtermesser an. Elf Menschen werden verletzt. Der IS reklamiert die Attacke später für sich.
Frankreich: Am 14. Juli 2016, dem französischen Nationalfeiertag, rast in Nizza ein Lastwagen in eine Menschenmenge. Der islamistische Attentäter tötet 86 Menschen und verletzt mehr als 200.
Österreich: Minutenlang rast ein 26-Jähriger am 20. Juni 2015 durch die Innenstadt von Graz, überfährt Café-Besucher und Fußgänger. Drei Menschen sterben, 34 werden verletzt. Vor Gericht wird der Mann für nicht zurechnungsfähig erklärt.
Niederlande: Am Königinnentag am 30. April 2009 fährt ein 38-Jähriger auf den offenen Bus der Königsfamilie zu. Mit seinem Kleinwagen tötet er sieben Menschen und verletzt zehn; Königin Beatrix und ihre Familie trifft er nicht. Der Attentäter sagt einem Polizisten, er habe einen Anschlag verüben wollen. Der Mann erliegt später seinen Verletzungen.
Der Tod des unbewaffneten Polizisten Keith Palmer löste derweil eine Welle der Solidarität aus. Wie am Freitagnachmittag der Webseite "Just Giving" zu entnehmen war, gingen für die Familie des Polizisten bereits mehr als 550 000 Pfund (knapp 640 000 Euro) an Spenden ein. Der Londoner Polizeiverband hatte den Spendenaufruf gestartet. dpa/AZ
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