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Terror in Brüssel: Das Geständnis des "Mannes mit dem Hut"

Terror in Brüssel

Das Geständnis des "Mannes mit dem Hut"

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    Der 31-jährige Mohamed Abrini war der „Mann mit dem Hut“: „Die Täter fühlten sich offenbar bedrängt und wollten nur noch eines: zuschlagen“, sagt ein Ermittler.
    Der 31-jährige Mohamed Abrini war der „Mann mit dem Hut“: „Die Täter fühlten sich offenbar bedrängt und wollten nur noch eines: zuschlagen“, sagt ein Ermittler. Foto: afp

    Es sind nur wenige Sätze, die die Brüsseler Staatsanwaltschaft am Sonntag von sich gab. Doch die hatten es in sich: Die Anschläge in Brüssel vom 22. März waren nicht geplant. Eigentlich hatten die Terroristen einen dritten Anschlag auf Paris vorbereitet. „Es ist natürlich eine gute Nachricht, dass Abrini festgenommen wurde“, erklärte Innenminister Jan Jambon, „ich denke, wir haben eine Schlacht gewonnen – aber nicht den Krieg.“

    Am frühen Abend waren die Anti-Terror-Spezialisten ausgerückt, hatten sechs Männer verhaftet. Am Samstagmorgen stand dann fest: Mohamed Abrini, 31 Jahre alt, geboren in der Stadtgemeinde Molenbeek, räumt ein, der dritte Attentäter am Flughafen gewesen zu sein. Er ist der lange gesuchte „Mann mit dem Hut“. Den habe er nach der Tat verkauft, seine helle Jacke in einen Müllkübel gestopft. Unter den Verhafteten befindet sich auch Osama Krayem, der bei dem Anschlag auf die Metro geholfen hat und nun zugab, die Taten mit vorbereitet zu haben. Alle Attentäter gefasst oder tot – Brüssel könnte eigentlich aufatmen. Doch die Erleichterung will sich nicht einstellen.

    Zu tief erschüttert sind die Menschen von den Enthüllungen, die die Fahnder portionsweise preisgeben. Brüssel war demnach nur der Plan B, weil die Terror-Zelle eigentlich zum dritten Mal in Paris zuschlagen wollte. Doch als die Polizei Salah Abdeslam, eine der Schlüsselfiguren der Pariser Anschläge vom 13. November, in Brüssel verhaftete, geriet man in Panik und wollte so schnell wie möglich „noch etwas anrichten“. Also fiel die Wahl auf Brüssel, wo die meisten Unterschlupf gefunden hatten.

    Die Extremisten wählten den Flughafen und die Metro. Doch sie hatten ursprünglich noch Schlimmeres geplant, wenn ihnen die Zeit gereicht hätte: Zumindest zwei Sprengsätze wurden nicht gezündet, zu einem Anschlag auf öffentliche Restaurants oder Cafés mit automatischen Waffen kam es auch nicht: „Die Täter fühlten sich offenbar bedrängt und wollten nur noch eines: zuschlagen“, sagt ein Ermittler.

    Terror in Brüssel: "Mann mit Hut" gefasst

    Islamistischer Terror in Europa

    Seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 gab es auch in Europa eine Reihe islamistischer Attentate. Manche Pläne konnten gerade noch vereitelt werden. Beispiele:

    Dezember 2016: Ein Attentäter raste mit einem Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt in Berlin und tötete zwölf Menschen. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Anschlag.

    März 2016: Terroristen haben Sprengsätze am Flughafen und in der U-Bahn der belgischen EU-Hauptstadt Brüssel gezündet. Es gibt zahlreiche Tote und Verletzte.

    November 2015: Bei einer Serie von Terroranschlägen in Paris sterben rund 130 Menschen. Zu den Attentaten bekennt sich wenig später der sogenannte "Islamische Staat".

    Januar 2015: Bei einem Attentat auf die Redaktion des islamkritischen Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris sterben zwölf Menschen.

    Mai 2014: Im Jüdischen Museum in Brüssel erschießt ein französischer Islamist vier Menschen. Kurz darauf wird der Mann festgenommen.

    Dezember 2013: Bei Selbstmordanschlägen in der russischen Stadt Wolgograd sterben 34 Menschen im Bahnhof und in einem Bus. Islamisten aus dem Nordkaukasus bekennen sich zu den Attentaten.

    März 2011: Ein Kosovo-Albaner erschießt am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzt zwei weitere schwer.

    Januar 2011: Bei einem Selbstmordanschlag auf dem internationalen Moskauer Flughafen Domodedowo sterben mindestens 37 Menschen. Die Ermittler machen Islamisten aus dem Nordkaukasus verantwortlich.

    Dezember 2010: Bei einem Sprengstoffanschlag in der Stockholmer Fußgängerzone stirbt der Attentäter. Hintergrund war vermutlich der Einsatz schwedischer Soldaten in Afghanistan.

    März 2010: Die vier Mitglieder der islamistischen Sauerland-Gruppe müssen wegen geplanter Terroranschläge in Deutschland für bis zu zwölf Jahre ins Gefängnis.

    Januar 2010: Gut vier Jahre nach der Veröffentlichung seiner Mohammed-Karikaturen in der Zeitung «Jyllands-Posten» entkommt der dänische Zeichner Kurt Westergaard nur knapp einem Attentat.

    Juli 2006: Im Kölner Hauptbahnhof werden in zwei Zügen Bomben gefunden, die wegen eines technischen Fehlers nicht explodierten. Der «Kofferbomber von Köln» wird zu lebenslanger Haft verurteilt.

    Juli 2005: Vier Muslime mit britischem Pass zünden in der Londoner U-Bahn und einem Bus Sprengsätze. 56 Menschen sterben, etwa 700 werden verletzt.

    März 2004: Bei Sprengstoffanschlägen auf Pendlerzüge in Madrid sterben 191 Menschen, etwa 1500 werden verletzt.

    Schockierend sind die Erkenntnisse, weil mit jedem Tag mehr das Bild einer straff organisierten Terror-Truppe zum Vorschein kommt, die von Abdelhamid Abbaaoud maßgeblich kommandiert wurde. Der 28-Jährige wurde wenige Tage nach den Anschlägen in Paris bei einer Anti-Terror-Aktion erschossen. Zur Führungsebene gehörte auch der Brüsseler Flughafen-Attentäter Najim Naachraoui. Der 24-Jährige gilt als Sprengstoffexperte der Gruppe. Er hat sich am Brüsseler Flughafen in die Luft gejagt. Der dritte Kopf scheint der 26-jährige Salah Abdeslam gewesen zu sein. Er hatte im Herbst 2015 den Metro-Attentäter Osama Krayem in Ulm aus einem Flüchtlingsheim abgeholt.

    „Wir haben keine Terror-Zelle, sondern eine perfekt agierende Terror-Organisation mit Kommando-Ebene, Logistikern, Befehlsempfängern und Hintermännern in Syrien“, sagt ein Ermittler. Dass dieses Terror-Netzwerk unter den Augen der Behörden entstehen konnte, empört die Menschen in Brüssel: „Wie können wir denn sicher sein, dass man jetzt alle hat“, fragt eine Passantin vor der Gedenkstelle für die Opfer vor der Börse. Es ist die Unsicherheit, die alle bewegt. Auch die Verantwortlichen der Stadt.

    Rudi Vervoort, der Bürgermeister Brüssels, hatte erst Mitte der Woche die Rückkehr zur Normalität versprochen. So sollten die Metro-Linien ab heute wieder normal verkehren. Bisher war die Betriebszeit auf 7 bis 19 Uhr eingeschränkt. Doch am Sonntag teilte der Metro-Betreiber plötzlich mit, man werde vorerst nur bis 21 Uhr fahren. Außerdem sollen überall nur ein oder zwei Zugänge geöffnet werden. „Wovor haben die Angst?“, fragen sich Passanten. „Was wissen sie, was wir noch nicht wissen?“ Wie groß die Angst ist, zeigt kurz darauf ein anderer Fall: In einem Kino-Komplex der Stadt Tournai, etwa eine Autostunde von Brüssel entfernt, werden am Sonntag mehrere Explosionen gemeldet. Bis die Entwarnung der Polizei kommt, dass es sich um einen Unfall in der Küche handelt, reagiert Belgien mit heller Aufregung. Die Furcht vor einer Terroristen-Racheaktion ist groß.

    Zu denen, die geschockt reagierten, gehörte auch der Vater der Brüder Abdeslam. „Ich verstehe nicht, was in den Köpfen der Kinder vorgeht“, sagte der 67-jährige Mann einem belgischen Fernsehsender. „Wir waren glücklich, uns ging es gut, wir sind ausgegangen, wir haben gelacht, jetzt können wir nicht mehr vor die Türe gehen.“ 1967 kam die Familie Abdeslam nach Brüssel. Nun sitzt Sohn Salah im Gefängnis und wird demnächst nach Frankreich ausgeliefert. Brahim sprengte sich in Paris in die Luft. Nur ein Sohn lebt noch zu Hause.

    Brüssel weiß noch nicht, ob es zur Ruhe kommen darf. Am Wochenende gingen die Razzien weiter. Wieder wurden ganze Stadtviertel – darunter auch die Gemeinde Etterbeek, zu der das europäische Viertel gehört – abgesperrt, Männer verhaftet, einige wieder freigelassen. Die Anspannung lässt nicht nach.

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