Öffnet die im deutschen Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit dem politischen Islam Tür und Tor? Vor dem Hintergrund tödlicher islamistischer Anschläge wie jetzt in London oder zuvor auch in Deutschland und der Zuwanderung hunderttausender Muslime machen sich immer mehr Bürger große Sorgen. Was bedeutet es etwa, wenn in Umfragen in Deutschland 47 Prozent der befragten Muslime sagen, dass die Gebote ihrer Religion für sie über den staatlichen Gesetzen stehen? Die Politik streitet um die richtigen Wege, möglichen Gefahren zu begegnen.
Für den bayerischen CSU-Justizminister Winfried Bausback (CSU) geht es in der Diskussion „keinesfalls darum, den Islam als Religion zu diskriminieren oder auszugrenzen“. Im Gegensatz zum im Alltag gelebten Glauben vieler Mitbürger, die sich zum Koran bekennen, sei der politische Islam eine „totalitäre Ideologie, die sich der Sprache der Religion bedient“, so der bayerische Justizminister bei einer Expertenrunde in Berlin.
Ziel der Vertreter des politischen Islams sei es, Macht zu erlangen, Staat und Menschen müssten sich bedingungslos unterwerfen, Presse- oder Meinungsfreiheit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau seien nicht vorgesehen. Dass das Grundgesetz die Neutralität des Staates in Religionsfragen garantiere, stehe außer Frage. Doch es dürfe nicht sein, dass archaische und patriarchalische Riten quasi unter dem Deckmantel der Religion ihren Weg in die freiheitliche Gesellschaft finden.
Islamwissenschaftlerin zeigt sich besorgt über Entwicklung in Deutschland
Auch die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher von der Universität Bonn ist besorgt über die Entwicklung in Deutschland: „Da werden Ideologien aus dem Nahen Osten in Europa eingeschleust.“ Das Erstarken des Islamismus im arabischen Raum und in der Türkei spiegele sich auch bei den in Deutschland lebenden Muslimen wider. Doch es dürfe kein Nebeneinander von verschiedenen Rechtsverständnissen in Deutschland geben, die gleichermaßen zu tolerieren seien. Von Organisationen wie der aus Ägypten stammenden Muslimbruderschaft oder der türkischen Milli Görüs werde eine Ideologie verbreitet, „nach der ein Moslem nicht gleichzeitig ein guter Staatsbürger sein kann“. Was dazu führe, dass sich junge Muslime von der Gesellschaft abwenden.
Für Necla Kelek, türkischstämmige Soziologin, Muslimin und Islamkritikerin, liegt das Grundproblem darin, dass die islamische Tradition keine Trennung von Staat und Religion vorsehe. Als einziger überwiegend muslimischer Staat habe die Türkei zeitweise einen säkularen Charakter angenommen, nun mache Präsident Erdogan dies wieder zunichte. Die große Mehrzahl der Organisationen, die in Deutschland Moscheen bauen, sei aus dem Ausland finanziert und gesteuert. Ihr Einfluss wachse ständig.
Für Kelek zeigt sich das etwa daran, dass immer mehr junge Mädchen Kopftuch oder Schleier tragen – darin sieht sie eine Form der Unterdrückung. Schon auf sechsjährige Mädchen werde massiver Druck ausgeübt, ihr Haar komplett zu verhüllen. Auch später hätten diese Mädchen keine Chance, sich den Erwartungen ihrer Familien zu entziehen. „Sie heiraten früh und geben diese Werte dann wieder an ihre Kinder weiter“, sagt Kelek. Der Staat habe „diese Kinder allein gelassen“.
Wie soll mit dem Islam in Deutschland umgegangen werden?
Ferdinand Kirchhof bremst. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts hält etwa ein generelles Kopftuchverbot in der Öffentlichkeit für nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Dagegen wäre durchaus darüber zu reden, ob etwa die Vollverschleierung muslimischer Frauen in bestimmten Situationen, etwa in der Schule, bei Prüfungen oder vor Gericht, untersagt werden könnte. Auch Kirchhof hält die von Kelek beschriebenen Zustände für „bedauernswert“. Doch das Erziehungsrecht der Eltern sei weitreichend geschützt. „Wir kommen da mit befehlenden Maßnahmen nicht weiter“, sagt der Verfassungsrechtler. Dies gelte insgesamt im Umgang mit dem Islam.
Religion, daran lasse das Grundgesetz nun mal keinen Zweifel, sei Privatsache. Der Staat müsse „werbend, überzeugend und aufklärend“ tätig werden, dürfe aber nicht mit Zwang arbeiten. Auf einem anderen Blatt stünden dagegen die Versuche von Organisationen, die von fremden Staaten gelenkt und finanziert werden, die deutsche Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern. Dagegen könne die Politik durchaus handeln.
Christine Schirrmacher empfiehlt „Stoppmaßnahmen“, wenn Muslime die Integration verweigerten. Sie regt an, etwa bei der Wohnraumpolitik anzusetzen. Wo zu viele Menschen mit demselben Migrationshintergrund auf zu engem Raum zusammenlebten, nehme die Integrationsbereitschaft spürbar ab. „Wir müssen uns von der Illusion einer sich selbst vollziehenden Integration verabschieden“, so die Expertin. Die Gesellschaft müsse das Wirken der Organisationen des politischen Islam scharf im Auge behalten. Um den Einfluss aus dem Nahen Osten auf die Muslime in Deutschland zu begrenzen, solle der deutsche Staat auch die Ausbildung von Imamen übernehmen.
Necla Kelek wünscht sich vom Staat, dass er gerade jungen Menschen aus muslimischen Familien „ein Recht auf Kindheit“ garantiert, sie vor religiösen Zwängen schützt. Doch sie ahnt: „Die Befreiung ist die Aufgabe der Muslime selbst.“
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