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Frankreich: Terror: Der Priester hatte keine Chance

Frankreich

Terror: Der Priester hatte keine Chance

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    Der 84 Jahre alte Priester Jacques Hamel – hier eine Aufnahme, die im Juni entstanden ist – wurde in seiner Kirche von den mutmaßlichen Terroristen brutal getötet.
    Der 84 Jahre alte Priester Jacques Hamel – hier eine Aufnahme, die im Juni entstanden ist – wurde in seiner Kirche von den mutmaßlichen Terroristen brutal getötet. Foto: Paroisse Saint-Étienne-Du-Rouvray, afp

    Die Angreifer schlagen am Morgen zu, ihr Opfer ist der 84 Jahre alte Priester Jacques Hamel. Während eines Gottesdienstes stürmen zwei Männer am Dienstag die Kirche im nordfranzösischen Saint-Étienne-du-Rouvray bei Rouen. Sie schneiden dem greisen Geistlichen die Kehle durch und verletzen eine Gottesdienstbesucherin schwer. Als sie das Gotteshaus verlassen, werden sie von Polizisten erschossen.

    Eine zweite Geisel ringt mit dem Tod

    Nicht einmal zwei Wochen nach dem Blutbad von Nizza ist Frankreich wieder von einem mutmaßlich islamistischen Anschlag getroffen worden – und dass es diesmal Gläubige in einer Kirche trifft, erschüttert viele Menschen besonders.

    Wegen einer Geiselnahme wird die Polizei am Morgen zu der Kirche in die 30.000-Einwohner-Stadt Saint-Étienne-du-Rouvray gerufen, fünf Menschen sollen sich in der Gewalt der Angreifer befinden. Doch nachdem die beiden Geiselnehmer aus der Kirche laufen und von Mitgliedern einer Sondereinheit erschossen werden, findet die

    Täter filmten die "Hinrichtung" des Priesters

    Nonne „Schwester Danielle“ erzählt später: „Sie haben ihn auf die Knie gezwungen. Er hat versucht, sich zu verteidigen, und dann hat das Drama begonnen.“ Jacques Hamel hat offenbar keine Chance gehabt. Die Nonne berichtet weiter, dass die Täter die Szene gefilmt hätten: „Sie haben am Altar so etwas wie eine Predigt auf Arabisch gehalten. Es war ein Horror“, sagt die Frau. Der getötete Priester sei ein außergewöhnlicher Mensch gewesen. Sie selbst sei unbemerkt geflohen, als einer der Täter dem anderen ein Messer gereicht habe, sagt Schwester Danielle. Sie habe einen Autofahrer alarmiert. Danach kann der Polizeieinsatz beginnen.

    „Die Katholiken wurden getroffen, aber betroffen sind alle Franzosen“, sagt der sofort nach Saint-Étienne-du-Rouvray geeilte französische Präsident François Hollande. Der Vatikan verurteilt den „barbarischen Mord“ in einer Kirche, „einem heiligen Ort, in dem die Liebe Gottes verkündet wird“.

    Der IS hat es darauf angelegt, religiöse Spannungen anzuheizen

    In der Vergangenheit hat es mehrmals Drohungen gegen Kirchen in Frankreich gegeben, aber noch keine Anschläge. 2015 wurden entsprechende Pläne gegen ein Gotteshaus im Pariser Vorort Villejuif bekannt, die verhindert werden konnten. Diesmal ist das nicht gelungen, obwohl seit den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015 in Frankreich der Ausnahmezustand herrscht.

    Dass in der Normandie nun Islamisten zugeschlagen haben, daran gibt es für Hollande, der aus Rouen stammt, keine Zweifel: „Zwei Terroristen“ seien für die Bluttat verantwortlich, die Angreifer hätten sich zur Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bekannt. „Allahu akbar“ (Gott ist groß) sollen sie gerufen haben, bevor sie erschossen wurden, sagt Schwester Danielle.

    Der IS verkündet wenig später, der Anschlag sei von zwei seiner „Soldaten“ verübt worden. In dessen Strategie würde es jedenfalls passen. Der IS hat es immer wieder darauf angelegt, religiöse Spannungen anzuheizen – im Irak etwa attackieren die sunnitischen Extremisten gezielt Schiiten, in Saudi-Arabien griffen sie schiitische Gotteshäuser mit Bomben an.

    Einer der Täter war der Polizei als "Gefährder" bekannt 

    Die französischen Behörden suchen unter Hochdruck nach möglichen Komplizen und Hintermännern der Angreifer, die Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft zieht die Ermittlungen an sich.

    Einer der Attentäter ist den Sicherheitsbehörden womöglich schon länger bekannt: Es könnte sich um einen Mann handeln, der in einer Gefährderdatei stand und 2015 versucht hat, nach Syrien zu reisen. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich wurde er in U-Haft genommen und später mit einer elektronischen Fußfessel freigelassen.

    Das dürfte zu neuen, heftigen Debatten in Frankreich führen. Der konservative Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy fordert noch am Dienstag ein härteres Vorgehen bei der Terrorismusbekämpfung. „Wir müssen unerbittlich sein“, sagt der Oppositionsführer und warnt vor „juristischen Haarspaltereien“, die die Arbeit der Behörden behindern könnten. In den Augen des früheren Staatspräsidenten müssten polizeibekannte Gefährder in Internierungslagern eingesperrt werden, was die regierenden Sozialisten aus verfassungsrechtlichen Gründen ablehnen.

    Erzbischof von Rouen reiste sofort nach Frankreich

    „Wir haben nicht geträumt, sondern wir sind in der Realität.“ In diesen Worten beschreibt am Mittag Dominique Lebrun, der Erzbischof von Rouen, die Unfassbarkeit des Anschlags auf die kleine Kirche. Dann macht er sich von Krakau, wo er eigentlich am katholischen Weltjugendtag teilnehmen wollte, auf den Weg nach Frankreich. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagt: „Der fanatische, mörderische Hass macht jetzt noch nicht einmal halt vor Gotteshäusern und Gläubigen.“

    Nach dem Ende der Tour de France sollte der Ausnahmezustand in Frankreich aufgehoben werden. Doch das Parlament beschloss nach dem Anschlag von Nizza, ihn um sechs Monate zu verlängern. Am Abend des 14. Juli war dort ein Mann mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge auf der Strandpromenade gerast, wo sich Zehntausende zum traditionellen Feuerwerk versammelt hatten. 84 Menschen starben, rund 300 wurden verletzt.

    Die politische Stimmung in Frankreich spitzt sich zu

    Auch zu diesem Anschlag bekannte sich der IS im Nachhinein und nannte den 31-jährigen Attentäter einen „Soldaten des IS“, der sich offenbar erst seit kurzem für dessen fanatische Botschaften interessiert hatte. Seitdem spitzt sich die politische Stimmung in Frankreich zu. Kritik an der Regierung in Paris kommt auch von der linksgerichteten Zeitung Libération, der zufolge die vom Attentäter genutzte Zufahrt zur Strandpromenade in Nizza nur von einem Fahrzeug der städtischen Polizei und leicht bewaffneten Beamten abgesichert wurde. Innenminister Cazeneuve hatte zuvor versichert, die nationale Polizei sei auch dort eingesetzt gewesen.

    Außerdem ging die Beamtin Sandra Bertin, die in Nizza die polizeiliche Videoüberwachung leitet, mit schweren Anschuldigungen an die Öffentlichkeit: Ein Mitarbeiter des Innenministeriums habe Druck auf sie ausgeübt, um von ihr gemachte Angaben zur Polizeipräsenz am Abend des Attentates zu verändern. Innenminister Cazeneuve wies dies scharf als „Kampagne der Niederträchtigkeit“ zurück und reichte eine Verleumdungsklage gegen die Frau ein. (mit afp, dpa, kna)

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