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Tag der Pressefreiheit: Wo Journalisten der Mund verboten wird

Tag der Pressefreiheit

Wo Journalisten der Mund verboten wird

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    Immer bedroht: die Pressefreiheit.
    Immer bedroht: die Pressefreiheit. Foto: Nic Bothma, dpa

    Man mag von Jan Böhmermann halten, was man will. Man muss sein Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten nicht für gute Satire halten. Man darf natürlich über Geschmack diskutieren. Aber man darf diesem Mann nicht den Mund verbieten. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Doch in vielen Ländern ist das nicht selbstverständlich. Auch das hat der Fall Böhmermann gezeigt. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das betonen Politiker gerne in ihren Sonntagsreden. Doch die Realität sieht in vielen Ländern der Welt ganz anders aus. Die Bedingungen für freie Berichterstattung sind in den vergangenen Jahren noch einmal schlechter geworden. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ stellt immer größere Einschränkungen in der

    Böhmermann hat auch in Deutschland eine Debatte über die Pressefreiheit ausgelöst. Nach seinem Fernsehbeitrag über Recep Tayyip Erdogan mit zahlreichen Formulierungen, die unter die Gürtellinie zielten, hatte die türkische Regierung rechtliche Konsequenzen gefordert. Sie berief sich auf den Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe stellt. Die Bundesregierung musste zustimmen, ob sie die Justiz zu rechtlichen Schritten ermächtigen will. Das hat sie getan. Hat sie damit die Pressefreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung verraten? Darüber kann man sich streiten. Fakt ist, die

    Pressefreiheit: Deutschland auf den 16. Rang zurückgefallen

    Aus Sicht der „Reporter ohne Grenzen“ haben sich die Bedingungen für freie Berichterstattung in Deutschland aus ganz anderen Gründen verschlechtert. Vor allem die erheblich gestiegene Zahl von Anfeindungen, Drohungen und gewalttätigen Übergriffen gegen Journalisten sind der Grund dafür, dass Deutschland in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit um vier Plätze auf den 16. Rang zurückgefallen ist. Helmut Heinen sieht das mit Sorge. Was Satire ist und darf, müsse eine demokratische Gesellschaft von Zeit zu Zeit neu verhandeln, stellt der Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger klar, fügt aber hinzu: „Mich bedrücken vielmehr die zunehmenden Angriffe auf Journalisten und Redaktionen.“

    In anderen Regionen der Erde geht es noch weit dramatischer zu. Grund dafür sind autokratische Tendenzen in Ländern wie Ägypten, Russland oder der Türkei, aber auch bewaffnete Konflikte wie in Libyen, Burundi und dem Jemen. Auf den letzten drei Plätzen von 180 Ländern landeten die Diktaturen Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea. Gerade die

    Reportern wurde Einreise in Türkei verwehrt

    Mehrere regierungskritische Zeitungen sind von der Regierung übernommen worden, Reporter von Blättern, die nicht auf Erdogan-Linie sind, erhalten einfach keinen Zugang zu Pressekonferenzen mehr. Auch ausländische Korrespondenten in der Türkei bekommen den Druck zu spüren. Der Spiegel-Korrespondent Hasnain Kazim musste das Land verlassen, nachdem ihm die Akkreditierung durch das türkische Presseamt verweigert wurde. Anderen Reportern wurde die Einreise in die Türkei verweigert. „Die Distanz zwischen Europa und der Türkei wird größer statt kleiner“, sagt Frans Timmermans, Vize der EU-Kommission. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel beklagt die Zustände in dem Land, das doch Mitglied der Europäischen Union werden will. Konsequenzen gab es bisher aber keine. Viele türkische Journalisten werfen der EU vor, aus Rücksicht auf die wichtige Rolle der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise vor Ankara zu kuschen.

    Unter Deutschlands Nachbarn gibt es in Polen die deutlichste Verschlechterung in Sachen Pressefreiheit. Das Land fiel um 29 Plätze auf Rang 47 ab. Hintergrund: Ende Dezember hat die Regierung ein Mediengesetz verabschiedet, nach dem ein Regierungsmitglied über die Besetzung von Führungspositionen in öffentlich-rechtlichen Medien entscheiden darf. Kritiker fürchten, Journalisten sollen so auf Linie gebracht werden. Viele bekannte Gesichter verschwanden aus den Abendnachrichten. In den Öffentlich-Rechtlichen kommt nun vor allem die Regierung zu Wort.

    Während sich in Polen die Situation für Journalisten erst in den letzten Monaten so verschlechtert hat, steht Russland in dieser Hinsicht notorisch schlecht da. Auf Platz 148 setzen die „Reporter ohne Grenzen“ das größte Land der Welt. In der Gruppe der führenden Wirtschaftsnationen G20 schneiden nur noch Mexiko, die Türkei, Saudi-Arabien und China schlechter ab als Russland. „Es kann eigentlich nicht mehr schlimmer werden“, sagt Alexej Simonow. Er ist Leiter des Fonds zur Verteidigung von Glasnost (Offenheit) in Moskau. Der Name erinnert an die kurze Phase freier Presse, die unter dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow begann und bis ins neue Russland dauerte. Als Präsident Wladimir Putin 2000 ins Amt kam, zog er die Daumenschrauben wieder an.

    Pressefreiheit in Russland: Besser schweigen

    Dabei hat Russland eine moderne Medienlandschaft, sie ist sogar zu 90 Prozent privat organisiert. Wer aber mit Medien Geld verdienen will, schweigt am besten zu Politik. Denn deren Darstellung wird von Putins Staat fast vollständig kontrolliert. Landesweite Fernsehsender überziehen das Publikum mit einem Dauerfeuer an Unterhaltung – und Propaganda. Das Fernsehen sei nicht mehr Spiegel, sondern „Fabrikant der Wirklichkeit“, analysiert der Autor Peter Pomerantsev.

    Abweichenden Meinungen wird nur eine Nische zugestanden. Eine Gegenöffentlichkeit bot in den vergangenen Jahren noch das Internet. Doch auch die Freiheit im Netz wird zusehends eingeschränkt. Seiten werden gesperrt. Blogger und selbst einfache Nutzer werden unter dem dehnbaren Vorwurf des Extremismus bestraft.

    Der Glasnost-Fonds sammelt jeden Monat die Belege für Konflikte. Aus der Bilanz für März: Ein ermordeter Journalist, fünf tätliche Angriffe auf Journalisten und Blogger, drei Fälle von Zensur, sieben Strafverfahren gegen Journalisten, 30 Fälle von Behinderung der Arbeit; eine Zeitung und eine Radiostation machten dicht. Journalismus ist in Russland ein lebensgefährlicher Beruf. 2006 wurde die Putin-Kritikerin Anna Politkowskaja in Moskau erschossen, die Hintergründe sind bis heute unklar. dpa/sg/AZ

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