Er spricht schnell, gelegentlich verhaspelt er sich. Aber er lässt sich auch nicht unterbrechen durch die Fragesteller, Ulrich Deppendorf von der ARD und Bettina Schausten vom ZDF. Am Ende erlebt das Publikum einen zerknirschten Präsidenten, der um Verständnis wirbt, der Fehler zugibt. Zurücktreten will er nicht.
Es war sicher der bisher schwerste Gang des Christian Wulff. Schwer angeschlagen wendet sich das Staatsoberhaupt direkt an die Bürger. Er appelliert an ihr Mitgefühl: "Da fühlt man sich hilflos", sagt er einmal, und wenig später: "Trotzdem ist man Mensch und macht Fehler." Selten spricht Wulff das Wort "Ich " aus: "Man wird auch ein bisschen demütiger."
Er erwähnt seine schwierige Kindheit, seine Familie, seine Frau. Und dass er Bundespräsident irgendwie noch lernen müsse. Dass es einen fundamentalen Unterschied geben könnte zwischen dem höchsten Amt des Staates und anderen Jobs, will er nicht gelten lassen. Urlaub bei Freunden müsse doch möglich sein, auch ohne das Gästezimmer zu bezahlen.
Zitate: Kanzlerin Merkel über Bundespräsident Wulff
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich immer wieder lobend über die politische Arbeit von Bundespräsident Christian Wulff geäußert - auch nach Beginn der Affäre um dessen umstrittenen Kredit.
«Christian Wulff ist jemand, der auf die Menschen zugehen wird, der auch schwierige Situationen für unser Land erklären wird, der aus meiner Sicht genau der Richtige ist, um in dieser Zeit Bundespräsident zu sein. Und deshalb freue ich mich von ganzem Herzen.» (Merkel am 30.06.2010 nach der Wahl Christian Wulffs zum Bundespräsidenten)
«Die Bundeskanzlerin hat volles Vertrauen in die Person und die Amtsführung von Christian Wulff.» (Regierungssprecher Steffen Seibert am 14.12.2011, einen Tag nachdem die «Bild»-Zeitung erstmals über den Hauskredit berichtet hatte)
«Ich glaube, dass das eine wichtige Erklärung war.» (Merkel am 15.12.2011 nach einer schriftlichen Stellungnahme Wulffs)
«Es hat sich nichts daran geändert, dass die Bundeskanzlerin volles Vertrauen in die Person Christian Wulff und in die Amtsführung des Bundespräsidenten hat. Er ist ein guter und anerkannter Bundespräsident.» (Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am 19.12.2011)
«Der Bundespräsident macht eine hervorragende Arbeit, und das, was im Raume steht, wird von ihm persönlich aufgeklärt.» (Merkel am 19.12.2011 bei einem Besuch der Bundeswehrsoldaten im Kosovo)
Wulff genieße weiter Merkels «vollstes Vertrauen». Die Kanzlerin und Wulff stünden «in sehr regelmäßigem und intensivem Kontakt zu einer Vielzahl von Fragen». (Regierungssprecher Seibert am 20.12.2011)
«Die Worte des Bundespräsidenten stehen für sich. Ihnen ist nichts hinzuzufügen.» (Regierungssprecher Seibert am 22.12.2011 nach der ersten persönlichen Erklärung von Wulff)
«Deshalb hat die Bundeskanzlerin jetzt auch nicht jeden Tag zu kommentieren, was der Bundespräsident tut oder nicht tut oder tun sollte.» (Vize-Regierungssprecher Streiter am 4.1.2012 unter Hinweis, dass der Präsident ein Verfassungsorgan ist)
In der Sache wenig Neues: Einen Verstoß gegen das Ministergesetz in Niedersachsen habe es nicht gegeben. Die Drohung gegenüber "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann spielt Wulff herunter. Ein "schwerer Fehler" zwar, aber er habe doch nur um eine Verschiebung der Veröffentlichung über den umstrittenen Kredit gebeten. Und er habe sich entschuldigt.
War dies der Befreiungsschlag? Irgendetwas musste passieren. Der Druck auf Wulff wegen seines Drohanrufs bei der "Bild"-Zeitung und der vorangegangenen Kreditaffäre wuchs von Stunde zu Stunde. Der Bundespräsident musste sich erklären, aber wie?
Eine Wiederholung des knappen Auftritts vom 22. Dezember, als er wenige Minuten im Schloss Bellevue vor die Kameras trat, war undenkbar. Am Ende wählte Wulff für seinen Rettungsversuch ein ziemlich großes Format: ARD und ZDF zur besten Sendezeit - "Rette die Million" mit Jörg Pilawa musste ebenso verschoben werden wie "Die lange Welle hinterm Kiel" in der ARD.
Wütender Wulff: Wegen diesen Fragen rief er bei "Bild" an
Warum haben Sie dem Landtag verschwiegen, dass eine "geschäftliche Beziehung" zwischen Ihnen und der mit Egon Geerkens in Gütergemeinschaft lebenden Ehefrau Edith durch einen im Oktober 2008 geschlossenen Darlehensvertrag über 500 000 Euro besteht?
Teilen Sie die Auffassung, dass Sie den Landtag in diesem Zusammenhang bewusst getäuscht haben?
Wie haben Sie die 500 000 Euro erhalten? Per Überweisung aus Deutschland, der Schweiz, der USA - oder bar? Oder auf welche andere Weise?
Warum haben Sie den im Oktober 2008 geschlossenen Darlehensvertrag wenige Wochen nach der parlamentarischen Anfrage gekündigt und durch einen Darlehensvertrag mit der BW-Bank abgelöst - obwohl der Darlehensvertrag noch bis November 2013 lief?
Wann und in welcher Form haben Sie das Darlehen zurückgezahlt?
Gab es vor dem Jahr 2000 geschäftliche Beziehungen zwischen Ihnen, dem CDU-Kreisverband Osnabrück, dem CDU-Landesverband Niedersachsen bzw. dem Land Niedersachsen und Herrn Egon Geerkens oder irgendeiner Firma, an der Herr Geerkens und/oder Frau Geerkens als Gesellschafter beteiligt waren?
Nach den jüngsten Berichten über Wulffs Versuche, Medien und Journalisten einzuschüchtern, wurde die Luft für ihn immer dünner. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatte ein Staatsoberhaupt eine derart verheerende Presse. Auch konservative Blätter legten am Mittwoch noch einmal nach. Dazu kamen Hohn und Spott im Netz. Fast überraschend, dass nach einer neuen Umfrage nur 46 Prozent der Wähler den Rücktritt Wulffs forderten - ebenso viele wollten ihn im Amt behalten.
Erkennbar versuchte Wulff, nicht die Journalisten, sondern die Bürger direkt zu erreichen, gab nebenbei auch zu, dass er sein Verhältnis zu den Medien wohl neu überdenken müsse.
Chronologie der Affäre Wulff
25. Oktober 2008: Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses.
18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine mündliche Anfrage im niedersächsischen Landtag, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens in den vergangenen zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe.
12. Dezember 2011: Wulff versucht, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um einen Bericht zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern oder zu verschieben. Auf der Mailbox droht er "Krieg" mit Springer an, falls die Geschichte erscheint.
13. Dezember: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung.
14. Dezember 2011: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht Wulff ihr Vertrauen aus.
15. Dezember 2011: Der Bundespräsident bricht sein Schweigen: "Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedauere das", heißt es in einer Mitteilung. In der Sache habe er nichts zu verbergen.
19. Dezember 2011: Wulffs Anwalt legt Unterlagen zum Kredit und eine Liste mit Urlauben vor, die sein Mandant als Regierungschef bei befreundeten Unternehmern verbracht hat. Zudem wird bekannt, dass der Unternehmer Carsten Maschmeyer 2007 im niedersächsischen Landtagswahlkampf eine Anzeigenkampagne für ein Interview-Buch mit Wulff bezahlt hat.
20. Dezember 2011: Wulffs Anwalt betont, sein Mandant habe von den Zahlungen nichts gewusst.
22. Dezember: Der Bundespräsident entschuldigt sich öffentlich für die entstandenen Irritationen. Zugleich entlässt er seinen Sprecher Olaf Glaeseker.
2. Januar 2012: Bei der Staatsanwaltschaft in Hannover gehen elf weitere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Wulff liegt nun bei insgesamt 20.
4. Januar 2012: Wulff gibt ARD und ZDF ein Interview, in dem er den Anruf bei Diekmann als «schweren Fehler» bezeichnet und volle Transparenz bei allen Fragen ankündigt. Am Folgetag veröffentlicht sein Anwalt aber nur eine zusammenfassende Stellungnahme.
19. Januar 2012: Wegen Korruptionsverdachts lässt die Staatsanwaltschaft Haus und Büros von Wulffs entlassenem Sprecher Olaf Glaeseker durchsuchen. Die Fahnder verschaffen sich auch Zugang zu Räumlichkeiten des Eventmanagers Manfred Schmidt, der zu Wulffs Zeit in Niedersachsen enge Kontakte zur Staatskanzlei in Hannover gehabt haben soll.
16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, um gegen ihn ermitteln zu können.
17. Februar 2012: Christian Wulff tritt zurück.
18. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen gegen Wulff wegen des Verdachts der Vorteilsnahme, bzw. Vorteilsgewährung auf.
29. Februar 2012: Das Bundespräsidialamt teilt mit, dass Christian Wulff den Ehrensold bekomme - jährlich rund 200.000 Euro bis an sein Lebensende.
9. März 2012: Wulff wird mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Berlin verabschiedet. Die Feier wird von Protest begleitet.
9. Oktober 2012: Die Flitterwochen des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff und dessen Frau Bettina im italienischen Haus eines Versicherungsmanagers rechtfertigen keine Ermittlungen wegen Vorteilsnahme im Amt. Das teilt die Staatsanwaltschaft Hannover mit.
9. April 2013: Wulff lehnt ein Angebot der Staatsanwaltschaft ab, die Korruptionsermittlungen gegen Zahlung von 20 000 Euro einzustellen.
12. April 2013: Die Staatsanwaltschaft Hannover erhebt gegen Wulff Anklage. Auch der Filmmanager David Groenewold wird angeklagt.
14. November 2013: Der Prozess gegen Wulff wegen Vorteilsnahme beginnt. Es geht um rund 700 Euro, die Groenewold für Wulff gezahlt haben soll - angeblich, damit dieser sich im Gegenzug für ein Filmprojekt Groenewolds engagiert.
9. Dezember: Der Prozess gegen Wulffs ehemaligen Pressesprecher, Olaf Glaeseker, beginnt ebenfalls in Hannover. Glaeseker geht auf Distanz zu seinem ehemaligen Chef.
19. Dezember: Der Richter Frank Rosenow regt an, den Wulff-Prozess im Januar einzustellen. Der Grund: Mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Wulff selbst ist aber gegen die Einstellung des Verfahrens.
27. Februar 2014: Christian Wulff wird in seinem Korruptionsprozess freigesprochen und damit vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. (dpa)
Das Interview war ein Novum, bisher gab es für einen solchen Auftritt eines Bundespräsidenten kein Beispiel. Der Politikberater Michael Spreng hätte dem Bundespräsidenten dennoch ein anderes Vorgehen empfohlen. "Wulff hätte sich schon einer Pressekonferenz stellen müssen, ohne zeitliches Limit", sagte er.
Die professionellen Beobachter, die Medien, die Bürger: Alle waren eingeladen, ihr Urteil über Christian Wulff abzugeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte sich am Abend nicht äußern, ließ sie schon vor dem Interview wissen. Am Donnerstag wird aber auch sie vielleicht eine Entscheidung fällen über das politische Schicksal von Christian Wulff. Ob er sich als Bundespräsident auf Bewährung fühle, wurde er gefragt. "Den Begriff der Bewährung halte ich für abwegig", sagte er entschlossen. (dpa)
Allgemeine Informationen zum Bundespräsidenten
Terminkalender des Bundespräsidenten
Mitteilung des Bundespräsidialamts nach dem ersten Bericht der "Bild"-Zeitung am 13. Dezember 2011
Erste öffentliche Mitteilung von Wulff am 15. Dezember 2011
Erklärung der "Bild"-Zeitung zum Anruf Wulffs bei Chefredakteur Kai Diekmann