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TTIP-Abkommen: Warum viele Deutsche Angst vor mehr Freihandel haben

TTIP-Abkommen

Warum viele Deutsche Angst vor mehr Freihandel haben

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    Jeder dritte Deutsche lehnt das geplante Handelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA laut einer vorgestellten Umfrage für die Bertelsmann-Stiftung komplett ab.
    Jeder dritte Deutsche lehnt das geplante Handelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA laut einer vorgestellten Umfrage für die Bertelsmann-Stiftung komplett ab. Foto: Fredrik von Erichsen/Archiv (dpa)

    Obama und Merkel hätten viel früher beginnen müssen, leidenschaftlich wie jetzt für das Freihandelsabkommen TTIP zu werben. In der Politik kann es wie im Fußball sein: Wer in der 75. Minute 0:3 zurückliegt, verliert das Spiel meist. So könnte es auch Plänen ergehen, Zölle zwischen Europa und den USA abzuschaffen sowie Normen zu vereinheitlichen. Den Verantwortlichen beidseits des Atlantiks läuft langsam die Zeit davon, die Gespräche deutlich voranzutreiben, ehe die Amtszeit Obamas in neun Monaten zu Ende geht.

    Merkel muss sonst wohl mit einer in Handelsfragen weniger liberal als Obama gesonnenen Person an der Spitze Amerikas weiterverhandeln. Dies könnte das Aus für TTIP sein. Wenn die Unterhändler des US-Präsidenten und Merkels nicht bald ein Tor für den Freihandel schießen, wird es eng.

    Denn das Abkommen müsste zumindest fertig verhandelt sein, ehe Obama Privatmann ist. Dann könnte die neue Präsidentin oder der neue Präsident TTIP nicht leicht beerdigen, sonst würden sich die Europäer brüskiert fühlen. Genau aus dem Grund macht der US-Präsident in Hannover Druck für Fortschritte bei den Verhandlungen. Merkel muss gleichzeitig aber auch die zunehmend TTIP-feindliche Stimmung in Deutschland drehen. Denn so widersinnig es zunächst klingt: Ausgerechnet hierzulande, also in einem Land, das wie kaum ein anderes wirtschaftlich von der Globalisierung profitiert, wächst der Unmut gegen die weltweite ökonomische Vernetzung. Auf den Widerspruch weist die liberale schwedische EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström verwundert hin. Wie viele TTIP-Befürworter begreift sie die germanische Unlogik nicht.

    Der Begriff Globalisierung ist negativ besetzt

    Obama ist hier mental weiter als Malmström. Er zeigt sich auf der Hannover Messe als großer Deutschen-Versteher. Der US-Präsident hat erkannt, wie stark „Menschen durch die Globalisierung verunsichert sind“. Dass ausgerechnet viele Deutsche eine tiefe Aversion gegen den weltweit immer intensiveren Austausch von Waren und Dienstleistungen pflegen, ist psychologisch erklärbar.

    Denn gerade in einem Land, in dem Unternehmen überdurchschnittlich international vernetzt sind, beschäftigen sich viele Bürger mit den Licht- und Schattenseiten der Entwicklung. Sie wissen, wie imperialistisch und rücksichtslos globale Riesen wie der US-Saatgut-Konzern Monsanto auftreten können.

    Viele deutsche Verbraucher, die in ihrem Berufsleben Globalisierungs-Erfahrungen sammeln, erkennen, dass amerikanische Konzerne keine Wohltäter sind, sondern massiv davon profitieren, dass in Südamerika Regenwälder zum Anbau von Soja, also Tierfutter, abgeholzt werden. Gerade heimische Landwirte, die auf regionale und ökologische Produkte setzen, kennen die kalte Logik der Multis.

    Viele Deutsche fühle sich nicht mehr als Sieger der Globalisierung

    Erschwerend hinzu kommt, dass sich viele Deutsche nicht als Sieger der Globalisierung fühlen. Ihr Wohlstand wuchs nicht – anders als bei Facharbeitern und Ingenieuren aus der Autoindustrie sowie dem Maschinenbau. Sie haben schlicht Angst vor Altersarmut, Migranten und als Wutbürger generell vor allen einschneidenden wirtschaftlichen wie politischen Reformen. Von solch diffusen Ängsten und der Sehnsucht nach Abschottung profitieren populistische Parteien wie die AfD.

    Merkel müsste erst einmal die Lehmschicht aus Kleingeist und Misstrauen abbauen, um den Menschen die Angst vor der Globalisierung und TTIP zu nehmen. Das hätte vor Jahren beginnen müssen. Doch auch hier wird das Dilemma der Kanzlerin offenbar: Es fällt ihr schwer, Menschen mit Worten mitten ins Herz zu treffen und von Vorurteilen zu kurieren. Das sind keine guten Zeichen für TTIP.

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