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Syrienkrieg: Wie der Krieg die Menschen traumatisiert

Syrienkrieg

Wie der Krieg die Menschen traumatisiert

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    Wie der Krieg die Menschen traumatisiert
    Wie der Krieg die Menschen traumatisiert

    Seit zweieinhalb Jahren ist Krieg in Syrien. Und das sind die nackten Zahlen: Mehr als 100 000 Menschen kamen ums Leben, Millionen Syrer sind auf der Flucht vor Bomben, Milizen, Hass, Verfolgung und Gewalt. Sie sahen Menschen sterben, wurden gefoltert und haben Freunde und Verwandte verloren. Doch was macht das mit den Menschen, die Unerträgliches erlebt haben? Viele der syrischen Flüchtlinge, die in den Nachbarländern Zuflucht suchen, sind schwer traumatisiert und leiden unter ihren körperlichen, vor allem aber unter den seelischen Verletzungen. Wie ein Trauma entsteht und was man dagegen tun kann und muss, damit sprachen wir mit der Berliner Psychotherapeutin Prof. Dr. Christine Knaevelsrud.

    Frau Prof. Knaevelsrud, was genau ist ein traumatisches Erlebnis?

    Knaevelsrud: Wir kennen mehrere Arten von traumatischen Erlebnissen. Zum einen gibt es Schicksalsschläge, Krankheiten oder Naturereignisse, die ohne Einwirkung eines anderen geschehen – beispielsweise ein Erdbeben oder kürzlich der Taifun Haiyan auf den Philippinen. Zum anderen gibt es menschengemachte, grausame Ereignisse wie Gewalt oder Krieg. Diese Erlebnisse sind deshalb so schwerwiegend, weil sie nicht nur menschengemacht, sondern auch anhaltend sind.

    Führen all diese Erlebnisse automatisch zu einem Trauma?

    Knaevelsrud: Nein. Die Wahrscheinlichkeit, eine Trauma-Folgestörung zu entwickeln, ist nach wiederholten traumatisierenden Erlebnissen, die menschengemacht sind, am höchsten. Sehr viel höher übrigens als bei Naturkatastrophen. Denn die Bedrohung dauert weiter an, das Gefühl der Gefährdung ist immer da, man fühlt sich der Situation hilflos ausgeliefert.

    Woran liegt das?

    Knaevelsrud: Schreckliche Erlebnisse mit anderen Menschen erschüttern alle Grundfesten unseres Lebens – sie sind das Trauma. All unsere positiven Annahmen über die Welt, unsere persönliche Sicherheit wird infrage gestellt. Man kann anderen nicht mehr trauen, stellt fest, dass man verletzbar ist und erlebt, dass andere einem schaden wollen. Man musste erleben, dass das eigene Leben und die eigene Gesundheit bedroht waren – oder wurde unmittelbar Zeuge davon, wie andere Menschen ihr Leben verloren haben. Damit assoziieren traumatisierte Menschen dieses einschneidende Erlebnis künftig mit dem Gefühl von Horror und Angst.

    Werden alle Menschen nach einem Trauma krank?

    Knaevelsrud: Nein, nicht alle Menschen entwickeln nach einem traumatischen Erlebnis eine Erkrankung. Das hängt stark von der individuellen Situation ab. Sie kennen den unsäglichen Spruch „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“. Das Gegenteil ist der Fall: Je öfter wir traumatische Erlebnisse haben, desto größer ist die Gefahr, krank zu werden. Wenn jemand erst mal eine Trauma-Folgestörung entwickelt, ist die Chance, dass die Belastung spontan verschwindet, nicht besonders groß.

    Wenn es Flüchtlinge beispielsweise nach Deutschland geschafft haben und in einer sicheren Unterkunft leben, ist dann wieder alles gut?

    Knaevelsrud: Nein. Denn für sie ist nicht alles gut. Allein schon ihre Flucht war mit einer Reihe von schwerwiegenden Ereignissen verbunden. Sie haben ihre Heimat verloren, ihr Haus, oft auch Familienangehörige. Das sind schon eine ganze Reihe von schweren Belastungen. Dann kommen sie hier bei uns in eine Asylbewerberunterkunft – weit weg von dem Ort, an dem sie akut bedroht waren. Hier ist es zwar sicher, trotzdem wissen die Menschen nicht, was weiter mit ihnen geschieht: ob sie bleiben dürfen, ob sie wieder abgeschoben werden, wie ihre Zukunft aussieht. Das sind weitere quälende Bedrohungserfahrungen. Und die Seele, die sich durch den Verstand nicht steuern lässt, hat jeden Tag wieder das Gefühl, dass sich die lebensbedrohliche Situation wiederholt.

    Aber der Kopf sagt einem doch, dass man nichts zu befürchten hat...

    Knaevelsrud: Man muss sich das so vorstellen: Diese neuen Erfahrungen werden nicht korrekt im Gehirn abgespeichert, sondern weiterhin im Notfallmodus, der signalisiert: Ich bin kurz vor der Vernichtung. Darum können die schrecklichen Erfahrungen der Vergangenheit in der Seele nicht korrigiert werden. Und das macht die Flüchtlinge krank.

    Wie krank? Und was genau ist eine posttraumatische Belastungsstörung?

    Knaevelsrud: Die Symptome sind vielfältig. Viele Menschen durchleben immer wieder dieselbe, schreckliche Situation. Sie haben sogenannte Flashbacks, in denen sie die Bedrohungsszenarien wieder und wieder erleben – oft ausgelöst durch Kleinigkeiten wie Gerüche oder Geräusche.

    Wie reagieren sie darauf?

    Knaevelsrud: Sie fangen an, diese Situationen zu vermeiden, sind ständig auf der Hut und übervorsichtig, dauerhaft angespannt, können schlecht schlafen, haben Albträume oder können sich nicht konzentrieren. Oft gehen Beziehungen in die Brüche, oft sind die Patienten extrem reizbar, wodurch es auch zu Gewalttätigkeiten innerhalb der Familie kommen kann, oder sie verlieren ihre sozialen Kontakte bis hin zur Arbeitsstelle. Andere Symptome sind Angstzustände, Depressionen, Suchterkrankungen oder chronische Schmerzen.

    Was kann man dagegen tun?

    Zehn Fakten zu Syrien

    Syrien heißt amtlich "Arabische Republik Syrien".

    Syrien liegt in Vorderasien und grenzt an Israel, Jordanien, den Libanon, die Türkei und an den Irak.

    Syrien ist 185.180 Quadratkilometer groß und hat etwa 21 Millionen Einwohner.

    Die Staatsform wird im diktatorisch regierten Land mit "Volksrepublik" angegeben.

    Die Amtssprache des Landes ist Arabisch.

    Die Währung ist die Syrische Lira.

    Am 17. April 1946 wurde das Land unabhängig von Frankreich.

    Das Kfz-Kennzeichen lautet SYR, die Internet-TLD .sy. Die internationale Telefonvorwahl ist die +963.

    Die größten Städte Syriens sind Aleppo, Damaskus, Homs, Hama und Latakia.

    Staatsoberhaupt seit dem 17. Juli 2000 ist Baschar al-Assad.

    Knaevelsrud: Die Flüchtlinge brauchen therapeutische Behandlung. Denn wenn sie gut behandelt werden, schaffen sie es besser, wieder auf die Beine zu kommen, für ihre Familie zu sorgen und auch ihr Alltagsleben zu bewältigen. Die Behandlung hat das Ziel, das traumatische Erlebnis in der Erinnerung zu verankern. Der Therapeut wird mit den Patienten die belastenden Momente immer und immer wieder durchsprechen, in allen Details, mit allen Emotionen und Gedanken. Immer wieder wird es dadurch zu Flashbacks kommen, doch irgendwann findet ein Feedback statt und der Patient speichert die Erfahrung ab, dass er zwar bedroht war, aber nicht vernichtet wurde. Er wird sich nicht daran gewöhnen, beispielsweise vergewaltigt, gefoltert oder gequält zu werden. Er wird aber irgendwann die Angst vor der Erinnerung verlieren und wissen, dass es schrecklich ist, was passiert ist – aber eben doch nur eine Erinnerung, die ihn nicht umbringen kann.

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