Gongggg... Ein Hauch von Spiritualität liegt in der Luft, wenn Thomas Wolf vor dem Haupteingang des Atomkraftwerks Gundremmingen eine Klangschale anstößt und zusammen mit seiner Ehefrau und einem Mitstreiter innehält. Die einen gehen am Sonntag in die Kirche, Thomas Wolf zieht es zum Kraftwerk. Jeden Sonntag um 15 Uhr, seit 1989, mit bis zu einem Dutzend Gleichgesinnten. Sie protestieren gegen die Atomkraft, gegen Castor-Transporte, aber vor allem gegen das Kraftwerk in der Heimat. Wegen der Corona-Einschränkungen waren die Treffen der Mahnwache ausgesetzt, jetzt können sie wieder im kleinen Kreis stattfinden.
Dass sich die Mahnwache vor dem Haupteingang auf Privatgrund des Kraftwerks trifft, damit hat sich der Kraftwerkbetreiber längst abgefunden. Wolf erzählt: "Anfangs wurde gedroht uns anzuzeigen, aber es ist nie etwas gekommen. Außerdem wären wir weiterhin hergekommen."
Die Mahnwache trifft sich jeden Sonntag vor dem Atomkraftwerk Gundremmingen um 15 Uhr. Seit 1989.
Ein Mitarbeiter des Kraftwerks geht vorbei, man kennt sich, es wird nett gegrüßt. Die Mahnwache versteht sich als pazifistische Vereinigung. "Wir sind einfach nur da", sagt Wolf.
Am Zaun vor dem Haupteingang des Kraftwerks haben die drei ein Tuch mit einer Deutschlandkarte aufgehängt. Das etwas zerfledderte Banner war schon bei der ein oder anderen Demonstration dabei. Auf ihm sind rote Punkte aufgemalt. Sie zeigen deutsche Kraftwerksstandorte und weisen darauf hin, dass an diesen mutmaßlich ein gehäuftes Auftreten von Leukämie zu beobachten sein soll. Dies habe einst eine Studie ergeben, sagt Thomas Wolf. Er nimmt einen verblichenen Zettel in die Hand, liest mit ruhiger Stimme: "Wir stehen hier, um uns gemeinsam zu besinnen. Die Atomenergie zerstört unwiederbringlich unsere Lebensgrundlagen..." Ein Ritual. Er gibt den Zettel an seine Frau weiter.
Ist diese kleine Gruppe an Menschen, die vor dem großen Kraftwerk fast verloren wirkt, nicht längst der eigentliche Sieger? Schließlich besiegelte das Reaktorunglück im japanischen Fukushima vor zehn Jahren das Aus für die Kernkraft in Deutschland.
Der Atomausstieg hinterlässt eine Energielücke, die gefüllt werden muss
Doch längst sind nicht alle Probleme gelöst. Der Atomausstieg hinterlässt eine Energielücke, die gefüllt werden muss. Die strahlenden Abfälle des Atomzeitalters müssen entsorgt werden. Manche Experten liebäugeln dagegen mit neuen, moderneren Kernkraftwerken. Der Atomausstieg wird Deutschland noch lange Jahre beschäftigen. Der Reihe nach.
Nachdem es am 11. März im Kernkraftwerk Fukushima zum Atomunglück kam, brachte die Bundesregierung im Sommer 2011 den beschleunigten Atomausstieg auf den Weg. Die dampfenden Ruinen in Japan hatten ihren Eindruck hinterlassen.
In Gundremmingen steht nun Block B planmäßig seit Silvester 2017 still, Block C folgt am 31. Dezember dieses Jahres. Auch wenn die Verantwortlichen im Kraftwerk immer betonten, dass ein Unglück wie in Japan hier nicht vorstellbar und ihre Anlage sicher sei: Dem vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie konnten sie sich nicht entziehen. Der damalige technische Geschäftsführer Michael Trobitz hatte die "Ehre", an Silvester 2017 selbst den Abschaltknopf zu drücken. Zeitgleich ging er in den Ruhestand und richtete ein paar Worte an die Mannschaft in der Warte: "Wir können stolz sein" auf den Betrieb des Blocks in 33 Jahren ohne Störfall, "das kann sich auch international sehen lassen." Er könne mit erhobenem Haupt gehen. Seinen Kollegen wünschte er viel Erfolg für den Rückbau und für die letzten Betriebsjahre von Block C. Was oft vergessen wird: Block A ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb, 1977 hatte es dort einen Störfall gegeben. Das Gebäude wird heute als Technologiezentrum genutzt, auch für den jetzigen Rückbau ist es von Bedeutung.
Ende 2030 soll vom AKW Gundremmingen nur noch die Gebäudehülle übrig bleiben
Ende der 2030er Jahre soll vom Kraftwerk nur noch die Gebäudehülle übrig bleiben. Die beiden Kühltürme sollen bereits früher abgerissen werden. Was einmal aus dem Gelände wird, das seit 1966 der Stromproduktion dient, kann RWE noch nicht sagen. Ideen gibt es viele, Studenten hatten Pläne für einen Freizeitpark entworfen. Was Gundremmingen noch lange erhalten bleiben wird, ist das Atommüll-Zwischenlager am Standort. Weil es mit der Suche nach einem Endlager länger dauert, wird das Jahr 2046 nicht der Endtermin sein – bis dahin ist es eigentlich genehmigt. Aktuell sind 81 der 192 Stellplätze mit beladenen Castorbehältern belegt, in diesen Tagen soll ein weiterer kommen.
War der Ausstieg also die richtige Entscheidung? Bei den Grünen ist man davon überzeugt: Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl stand am 11. März 2011 in einer Menschenkette vom Atomkraftwerk Neckarwestheim bis zum Stuttgarter Landtag, mit der tausende Bürger gegen die kurz zuvor von der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung beschlossenen Laufzeitverlängerung für deutsche Kernkraftwerke demonstrierten. "Genau während dieser Menschenkette kam die Nachricht, dass der erste Atomreaktor in Fukushima havariert ist", erinnert sich die Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Natur und nukleare Sicherheit. "Dieser Tag ist mir so einprägsam wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl."
Die grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl war mehrfach in Fukushima
Kotting-Uhl besuchte als Expertin für Atompolitik mehrfach Japan und Fukushima. "Wenn man die toten Städte um das Atomkraftwerk mit zurückgelassenen Autos und Spielzeug in den Gärten sieht, wirkt das sehr bedrückend und bedrohlich", erzählt sie. "Es gibt ganze Halden riesiger schwarzer Plastiksäcke mit abgeschaufelter kontaminierter Erde. Das macht deutlich, dass man sich so einen Unfall nicht leisten darf." Der Protest in Japan laufe sehr viel leiser ab als in Deutschland. "Von den ursprünglich 54 Atomkraftwerken waren in Höchstzeiten seit Fukushima maximal sieben am Netz", erzählt sie. Sie sei sehr froh, wenn der letzte Block in Gundremmingen Ende 2021 vom Netz gehe. "Gundremmingen hat eine lange Störfallliste. Von allen Atomkraftwerken, die noch am Netz sind, hat mich dieses am meisten beunruhigt."
Auch sonst glaubt die Grünen-Politikerin nicht an ein Comeback der Atomkraft: "Es gibt zwar 50 Neubaupläne, die meisten in China, aber 190 Abschaltungen. Das heißt, die Zahl der Atomkraftwerke verringert sich ständig." Der Neubau mit angemessenen Sicherheitsstandards sei so teuer, die erneuerbaren Energien viel günstiger. "Das sieht man inzwischen selbst in China so."
Der Chef der Deutschen Energie-Agentur Andreas Kuhlmann sagt: "Den ersten Teil des Atomausstiegs haben wir gut hinbekommen."
Die Zeit der Atomkraft in Deutschland, sie läuft ab. Wie aber ist das Energiesystem bisher mit den Abschaltungen zurechtgekommen? War da nicht die Warnung vor dem Black-Out? In Berlin beobachtet Andreas Kuhlmann die deutsche Energiewende genau, er ist Chef der Deutschen Energie-Agentur. Kuhlmann klingt erstaunlich gelassen. "Den ersten Teil des Atomausstiegs haben wir gut hinbekommen", sagt er. "Die Nachbarstaaten waren zwar verärgert und in Sorge ob der Kurzfristigkeit, aber das System insgesamt hat das alles gut weggesteckt." Im Jahr 2010 stammten in Deutschland noch 23 Prozent der Stromerzeugung aus der Kernkraft. Die Kraftwerke leisteten zusammen 20,5 Gigawatt. Doch schon nach Fukushima seien in Deutschland 8,5 Gigawatt vom Netz genommen worden, es folgten weitere Meiler. Bis 2022 werden nun die verbleibenden 8 Gigawatt abgeschaltet.
Was an die Stelle der Atomkraft tritt, ist leicht zu sehen, wenn man durch das Land fährt. Entlang der Autobahnen sind Solarfelder entstanden, in den Ebenen drehen sich Windräder. In den vergangenen zehn Jahren ist die Bedeutung der erneuerbaren Energien für die Stromerzeugung stark gestiegen, berichtet die Dena. Sie hat sich mehr als verdoppelt. Der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch habe 2020 bei satten 47 Prozent gelegen. "Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien kompensiert heute bei weitem die entfallene Kernenergie und ist inzwischen die wichtigste Art der Stromerzeugung", sagt Kuhlmann. Ohne den Ausstieg aus der Kernkraft wäre es zwar möglich gewesen, die Emissionen aus der Kohleverstromung schneller zu senken, schränkt er ein. "Insgesamt hat sich aber die Energieversorgung in Deutschland seit Fukushima unerwartet gut entwickelt", sagt er.
Deutschland will bis 2050 klimaneutral werden
Muss man also einfach so weitermachen wie bisher? Das komplizierte Kapitel der Energiewende kommt wohl noch. Deutschland will bis 2050 klimaneutral werden, dann darf auch nicht ohne Weiteres Öl und Kohle verbrannt werden. "Mit Blick auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 haben wir noch eine Menge vor uns", sagt Kuhlmann. Zum einen braucht das Land noch mehr Strom aus Wind und Sonne. "Bis 2050 wird mindestens eine Vervierfachung der heute installierten Leistung nötig sein", sagt der Dena-Chef. Dazu kommt der Ausbau der Netze, um den Strom zu den Verbrauchern zu transportieren. Zudem sind Speicher und Gaskraftwerke nötig, die einspringen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. "Kurzum: Herausforderungen ohne Ende, aber eben auch Chancen und neue Technologien, auf die man setzen kann", sagt Kuhlmann. Geht die Rechnung auf?
Im Norden von Augsburg, in Meitingen, steht mit den Lech-Stahlwerken das einzige Stahlwerk Bayerns. Besucher sehen, wie Schrott zu flüssigem, glühendem Stahl eingeschmolzen wird. Am Standort beobachtet man die deutsche Energiepolitik sehr genau. Aus einem guten Grund: "Unser Werk benötigt zum Recyceln des Stahlschrottes und der Erzeugung hochwertiger Stahlgüter für die Bau- und Automobilbranche in etwa das Dreifache der Menge an Elektrizität aller privaten Stromverbraucher der Stadt Augsburg", erklärt Martin Kießling, technischer Geschäftsführer der Lech-Stahlwerke. Das entspreche rund einem Prozent des bayerischen Stromverbrauchs. "Daher sind wir als energieintensives Unternehmen auch in Zukunft auf ein versorgungssicheres Stromnetz sowie bezahl- und planbare Energiepreise angewiesen", betont er.
Was zum Beispiel die Lech-Stahlwerke zur Netzstabilität sagen
Versorgungssicherheit und -qualität ist das Thema, das die Industrie umtreibt. Zwar erwarte man bei den Lech-Stahlwerken keine unmittelbaren Auswirkungen, wenn das AKW Gundremmingen vom Netz geht, sagt Sprecher Bastian Mangliers. "Dennoch beobachten wir die zunehmende Häufigkeit von Eingriffen der Übertragungsnetzbetreiber zur Netzstabilität mit einer gewissen Sorge", sagt er. "So wurden wir beispielsweise bereits in der Vergangenheit mehrfach gebeten, zur Verbesserung der Netzstabilität unsere Produktion zeitweise auszusetzen oder herunterzufahren." Unternehmerisch sei dies nicht dauerhaft darstellbar.
"Als größtes Recyclingunternehmen und einer der größten Stromverbraucher Bayerns begrüßen wir grundsätzlich den Ausbau einer grünen und nachhaltigen Energieerzeugung", sagt Mangliers deshalb. Gehen große Kraftwerke stückweise vom Netz, müsse die Erzeugungsleistung aber kompensiert werden, um letztlich den industriellen Standort Bayern nicht zu gefährden.
An der Industrie- und Handelskammer Schwaben sieht man dies ähnlich. Derzeit tragen die konventionellen Kraftwerke – vor allem das Atomkraftwerk Gundremmingen – 142 Prozent zur sicheren Stromversorgung in Schwaben bei, hat die IHK in einer Studie ermittelt. Mehr als nötig. "Im Jahr 2023 wird dieser Anteil auf sechs Prozent absinken", warnt die Studie. Schwaben werde zum Stromimporteur.
Was Greta Thunberg zur Atomkraft meint
Angesichts der Folgeprobleme ist inzwischen eine neue Debatte um Kernkraft entstanden. Erlebt diese ein Comeback? In dieser Diskussion spielt auch eine Rolle, ob wir mit ihr die Pariser Klimaziele besser erreichen können. Überraschenderweise kam prominenter Zuspruch aus eher unerwarteter Richtung. Greta Thunberg, Klimaaktivistin von Fridays for Future, hatte vor zwei Jahren mit einem Facebook-Post Schwung in die Auseinandersetzung gebracht. Die Klimaaktivistin ruderte zwar nach heftigen Reaktionen ein bisschen zurück und betonte, persönlich gegen Atomkraft zu sein. Sie blieb aber dabei, dass diese "ein kleiner Teil" für eine sehr große, neue CO2-freie Energielösung sein könne. Und bezog sich dabei auf Szenarien, die nicht irgendwer, sondern der Weltklimarat durchgespielt hatte.
Christoph Pistner ist Bereichsleiter Nukleartechnik & Anlagensicherheit am Darmstädter Öko-Institut. Der Physiker und Nuklearexperte glaubt nicht, dass die Atomkraft eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielt. Sein Hauptargument ist dabei schlicht: die verbleibende Zeit bis 2050. Pfister sagt: "Wir reden über Vorlaufzeiten von zehn bis 20 Jahren bis Baustart." Dann müsse noch gebaut werden. Dazu kommt die Kostenfrage. Denn: "Die großen internationalen Studien sind sich einig, neue Photovoltaik, neue Windenergie ist einfach wesentlich günstiger, als es heutige Kernkraftwerke sind. Und es ist auch nicht abzusehen, dass sich an diesem Trend etwas ändern wird." Außerdem bleibe die Kernkraft eine Risikotechnologie.
Bill Gates spricht sich in seinem neuen Buch "Wie wir die Klimakatastrophe verhindern" für Atomkraft aus
Es gibt allerdings prominente Fürsprecher. Bill Gates zum Beispiel. Er argumentiert in seinem neuen Buch "Wie wir die Klimakatastrophe verhindern" für die Nutzung von Atomkraft und die Verbesserung existierender Technologien. Sein Plädoyer für Kernkraft in einem Satz: "Sie ist die einzige CO2-freie Energiequelle, die zuverlässig und rund um die Uhr elektrischen Strom liefern kann, zu jeder Jahreszeit und fast überall auf der Welt, und die nachgewiesenermaßen im großen Maßstab funktioniert." Gates hat 2008 selbst ein Unternehmen gegründet, TerraPower, das eine Idee aus den 50er Jahren weiterverfolgt und kleinere, vorgeblich viel sicherere Reaktoren entwickelt, die auch Atommüll aus den bisherigen Kraftwerken wiederverwenden könnten. Es gibt viele weitere Ideen für kleinere, modulare Reaktoren. Pistner will diesen grundsätzlich gar nicht das Potenzial absprechen, bei einzelnen Problemen besser abzuschneiden als heutige Kernkraftwerke, gibt aber zu bedenken: "Über all diese Generation-IV-Konzepte sagen selbst deren Entwickler, dass sie erst 2045 bis 2050 Prototypen am Markt haben könnten. Heißt: Für den Klimawandel spielen diese Systeme überhaupt keine Rolle." Sein Fazit: "Wenn wir auf Kernenergie setzen würden, hätten wir extrem hohe Risiken: Sie ist langsam, sie ist teuer. Daran wird sich zumindest in naher Zukunft nichts ändern. Zugleich aber haben wir Alternativen, die nicht mit denselben Risiken verbunden sind."
Dann ist da noch das Problem mit dem strahlenden Müll, der ein Endlager braucht. Die verschiedenen Bundesumweltminister kommen und gehen. Gelöst haben sie es nicht. Seit Jahrzehnten nicht. Wer schon mal in Gorleben, im niedersächsischen Wendland, war, dessen Untergrund lange auf Endlager-Tauglichkeit überprüft wurde, weiß: Einfach war es nie und wird es nicht. Überhaupt das Finden eines Ortes, und dann diesen als Endlager für hoch radioaktiven Abfall durchzusetzen. Siehe Gorleben, das auch Zwischenlager und Symbolort der Atomkraftgegner schlechthin ist.
Christoph Pistner vom Darmstädter Öko-Institut sagt: "Es gibt weltweit noch kein Endlager für hoch radioaktive Abfälle, das in Betrieb ist."
Der derzeit gültige Fahrplan geht so: Das 2013 verabschiedete und 2017 konkretisierte Standortauswahlgesetz regelt Suche und Auswahl. In einem laut Bundesumweltministerium "partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren soll derjenige Standort in Deutschland gefunden werden, der für die Entsorgung der im Inland produzierten radioaktiven Abfälle die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahre bietet." Beauftragt damit ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung. Drei Suchphasen sind vorgesehen, die erste läuft. Bis Ende 2031 soll der dann amtierende Bundestag einen Standort festgelegt haben. Daran schließt sich ein Endlager-Genehmigungsverfahren an. Dann wird gebaut. Mit der finalen Verräumung des strahlenden Mülls werde nach Angaben eines Ministeriumssprechers "in den 2050er Jahren gerechnet". Bislang wurden 90 "Teilgebiete" – auch in Bayern – ausgemacht, die "eine günstige geologische Gesamtsituation für ein Endlager erwarten lassen". CSU und Freie Wähler haben aber bereits 2018 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: "Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist."
Nuklearexperte Pistner, der im Februar am jüngsten Treffen besagter Fachkonferenz zur Endlagersuche teilnahm, ist skeptisch, ob man so durchkommt. 10.000 Tonnen radioaktiver Müll müssen weg. "Um jemals zu einem Standort zu kommen, der von der Gesellschaft akzeptiert wird, braucht es einen guten Prozess und keine politischen Aussagen in Koalitionsverträgen." Global sieht es ähnlich aus: "Es gibt weltweit noch kein Endlager für hoch radioaktive Abfälle, das in Betrieb ist." Es gebe einzelne Staaten, die auf dem Weg dorthin seien. Zugleich aber gebe es Atom-Staaten, die "noch gar nichts unternommen haben und die gar nicht wissen, was sie mit ihren Abfällen tun werden". Hinzu kommt, wie Pistner betont: "Wiederaufarbeitung und Weiternutzung von hoch radioaktivem Müll ist nach heutigem Stand ein gescheitertes Konzept. Dass sich daran substanziell in der Zukunft etwas ändert, ist nicht absehbar."
Der frühere TU-Chef Wolfgang Herrmann sagt: "Deutschland schafft es immer wieder, in Zeiten des Wandels enorme Kräfte freizusetzen."
Wie ist es nun um die deutsche Kernkraftforschung bestellt? Fast ein Vierteljahrhundert hat Wolfgang Herrmann die Technische Universität München als Präsident geprägt. Trauert er der deutschen Spitzentechnologie Kernenergie hinterher? "Fachleute aus unterschiedlichsten Richtungen bewerten die Energiewende kontrovers, ich halte sie aber für ebenso richtig wie den Atomausstieg", sagt der Professor. "Denn die Herausforderung, alternative Energiequellen in Deutschland zu finden, setzt seit Jahren sehr viele kreative Kräfte in Deutschland sowohl in der Forschung als auch in der Wirtschaft frei." Deshalb sei er optimistisch, dass Deutschland das Energiemengenproblem bei steigendem Bedarf lösen werde. Wichtig dafür sei, dass man sich dafür "eine vernünftige Zeitskala" gebe. "Vielleicht werden wir einmal von der Atomenergie wieder in Form der Kernfusion hören, auch wenn das eine völlig andere Technik ist. Hier gibt es in Deutschland vielversprechende Forschungsansätze, aber darauf kann man nicht setzen." Der frühere TU-Chef rät trotzdem zu Selbstvertrauen: "Deutschland schafft es immer wieder, in Zeiten des Wandels enorme Kräfte freizusetzen und damit auch wirtschaftlich sehr erfolgreich zu sein." Der Atomausstieg, vielleicht ist er am Ende doch lösbar.
Die Mahnwache in Gundremmingen harrt aus
Bis dahin aber will in Gundremmingen die Mahnwache wachsam bleiben, auch dann, wenn spätestens am 31. Dezember 2021 der letzte Block vom Netz geht. Erst wenn das letzte Brennelement Gundremmingen verlassen hat, wollen sie aufhören, sich zu treffen, sagt Thomas Wolf. Ob er den Abbau noch miterleben werde, wisse er nicht, sagt der 59-Jährige. "So lange müssen wir weiter hier sein."
Bevor die Beteiligten der sonntäglichen Zusammenkunft sich nach etwa einer Stunde auf den Nachhauseweg machen, holt Wolf noch einmal seinen Zettel hervor und liest diesmal von der Rückseite ab.
Im Text, der von einem buddhistischen Mönch stammen soll, heißt es: "Mögen wir für diese Erde Verantwortung übernehmen, die Natur bewahren, möge Frieden einziehen und der Hass aufhören."
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