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Südafrika: Kapstadt im Corona-Elend: Warum die Pandemie in Südafrika so sehr wütet

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Kapstadt im Corona-Elend: Warum die Pandemie in Südafrika so sehr wütet

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    Mandisa Makubalo, 41, vor ihrer Blechhütte am Rande von Kapstadt. Sie erkrankte an Covid-19 – aber das war nicht ihr einziges Problem.
    Mandisa Makubalo, 41, vor ihrer Blechhütte am Rande von Kapstadt. Sie erkrankte an Covid-19 – aber das war nicht ihr einziges Problem. Foto: Christian Putsch

    Auf den ersten Albtraum folgte der nächste. Mit letzter Kraft war die Südafrikanerin Mandisa Makubalo von ihrer Blechhütte im Kapstadter Township Imizamo Ye-thu in ein Krankenhaus gefahren, mit einem Taxi, obwohl sie da bereits die Diagnose kannte. Sie hatte sich mit dem Coronavirus angesteckt. Eine Ambulanz war schlicht nicht verfügbar. Über eine Nasensonde wurde ihr tagelang konzentrierter Sauerstoff zugeführt. Sechs andere infizierte Patienten lagen im Zimmer, drei starben: zwei Rentner und ein Mann in ihrem Alter, Anfang 40. „Ich werde die Nächste sein“, dachte Makubalo jedes Mal. Schließlich hat sie Vorerkrankungen, die als Risikofaktoren gelten.

    Es kam anders. Makubalo wurde nach einer knappen Woche entlassen, geschwächt, aber nicht mehr in Lebensgefahr. Das reichte. Ihr Bett wurde gebraucht. Also fuhr sie mit ihrem Partner zurück in den Township. Die beiden teilen sich dort neun Quadratmeter – und eine 30 Meter weit entfernte Toilette mit mehreren anderen Familien.

    Aus Angst tauschten die Nachbarn das Toilettenschloss aus

    Von ihrer Erkrankung hatte sie nur Freunden erzählt. Ihre Lage hatte sich aber offenkundig herumgesprochen, die Wochen im Krankenhaus hatten die Gerüchte der Nachbarschaft angeheizt. Als sie auf die gemeinsame Toilette gehen wollte, passte der Schlüssel nicht mehr. Die Nachbarn hatten das Schloss ausgetauscht, aus Angst, sich anzustecken.

    Nach Regierungsangaben lebt rund die Hälfte der urbanen Bevölkerung Südafrikas in den dicht besiedelten Townships. Wohl nur an wenigen Orten weltweit hat das Virus leichteres Spiel. Mit mehr als 408.000 registrierten Infektionen liegt Südafrika inzwischen an Position fünf aller Nationen. In keinem Land der Top 10 verdoppelt sich die Zahl derzeit so schnell. Auch die derzeit noch vergleichsweise geringe Zahl der Toten von rund 6100 wird in den kommenden Monaten wohl deutlich steigen. Regierungsberatende Wissenschaftler gehen bis zum Ende des Jahres von bis zu 50.000 Covid-19-Toten aus.

    Der Lockdown in Südafrika galt als der strengste der Welt

    Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat die wichtigsten Restriktionen noch während steigender Infektionsraten gelockert. Der wirtschaftliche Druck war zu groß geworden. Bis ins Detail hatte seine Regierung schon nach einigen dutzend Infektionen die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation umgesetzt – und noch darüber hinaus. Der Lockdown galt als der strengste der Welt, nur mäßig abgefedert von einer neuen Rekordverschuldung. Vor die Tür durfte zwei Monate lang kaum jemand. Doch die meisten Verbote wurden seit Anfang Juni wieder aufgehoben. Eine mit strafrechtlichen Mitteln durchgesetzte Maskenpflicht ist vorbildlich, hat aber begrenzten Effekt, wenn gleichzeitig Gottesdienste erlaubt sind und die Minibusse mit voller Kapazität fahren dürfen. In diesen Tagen offenbart sich die Kluft zwischen Theorie und Praxis der südafrikanischen Gesundheitspolitik deutlich. „Wir haben erfolgreich die Verbreitung des Coronavirus um 120 Tage verzögert“, behauptet Ramaphosa. Nun aber sei der von Experten vorhergesagte Anstieg der Infektionen, der Höhepunkt der Infektionen da. „Wir sind im Sturm.“ Er wird, so die Regierungsberater, bis August andauern. Mindestens.

    Am Ostkap sind die ersten Kliniken überfüllt

    Die Frage ist, was die Verzögerungstaktik gebracht hat. Am Ostkap melden die ersten Krankenhäuser Überfüllung. 8000 Pfleger und Mediziner haben sich angesteckt, viele wegen unzureichender Schutzkleidung. Ohnehin fehlt es an zehntausenden Mitarbeitern im Gesundheitswesen. Bis das Ergebnis eines Corona-Tests in Südafrika vorliegt, dauert es oft bis zu einer Woche. Immerhin macht das Land neben Ägypten mit Abstand die meisten Tests in Afrika, zusammen kommen sie auch deshalb auf über die Hälfte der erkannten Infektionen des Kontinents. Ein einheitliches Bild gibt es aber nicht. Einige Länder scheinen die Situation unter Kontrolle zu haben. Doch in Nigeria etwa wurde nicht einmal jeder tausendste Bürger getestet, ein realistisches Bild ist in vielen Nationen unmöglich.

    Die Regierung hat angekündigt, ausreichend Quarantäne-Möglichkeiten für Township-Bewohner zu schaffen, die infiziert sind, nur milde Symptome zeigen, aber in ihrer eigenen Unterkunft keine Isolationsmöglichkeiten haben. 438 Unterkünfte hat die Regierung lizenziert. Doch nur ein Drittel wird tatsächlich genutzt. Im Juni beschäftigte sich das Parlament mit diesem Problem. Offizielle berichteten, dass sich Betroffene um die Sicherheit ihres Hauses sorgten. Und davor, bei der Rückkehr Erfahrungen zu machen wie Mandisa Makubalo.

    Statt in die Quarantäne-Unterkunft fuhr Mandisa Makubalo wieder in den Township

    Wenig hilfreich wirken sich da Falschbehauptungen wie die eines Politikers in der Provinz Gauteng aus, der sagte, dort würden 1,5 Millionen Gräber vorbereitet. Die Behörden stellten später klar, dass er die theoretische Kapazität meinte – doch da hatte sich die Panik schürende Meldung längst in den sozialen Netzwerken verbreitet.

    Kurz bevor Township-Bewohnerin Makubalo aus dem Krankenhaus entlassen wurde, sagte eine Krankenschwester, sie solle in eine Isolationsunterkunft gehen. Doch dann riet ihr die Krankenschwester der nächsten Schicht davon ab. Es gebe dort nicht genug Personal, kaum Medizin, zu Hause könne sie viel besser nach sich schauen. Also fuhr Makubalo zurück in den Township – wo 30.000 Menschen auf engstem Raum leben.

    Ihr Partner gehört zu den Glücklichen, die ihren Job nicht verloren haben. Makubalo sagt, er habe sich nicht angesteckt. Aber natürlich hätte auch er sich für zwei Wochen isolieren müssen, schließlich lebt er mit ihr auf engstem Raum, versorgte sie während der Atemnot. Was aber, wenn dann der Job und damit die Existenzgrundlage von beiden verloren geht?

    Der Mann arbeitete weiter.

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