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Stuttgart 21: Protestcamp der Gegner steht kurz vor der Räumung

Stuttgart 21

Protestcamp der Gegner steht kurz vor der Räumung

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    Das Protestcamp der Stuttgart 21-Gegner wird bald geräumt.
    Das Protestcamp der Stuttgart 21-Gegner wird bald geräumt. Foto: Marijan Murat/ Archiv dpa

    Die Polizei möchte das Protescamp im Stuttgarter Schlossgarten aller Voraussicht nach am Mittwoch räumen. Die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 erwarten einen massiven Einsatz. Die Polizei hatte angekündigt, in den nächsten Tagen die illegale Zeltstadt neben dem Hauptbahnhof zu beseitigen; rund 50 Projektgegner harren dort seit Monaten aus.

    Polizei rechnet mit mehr als 1000 Demonstranten

    Anschließend will die Bahn gut 100 Bäume fällen und knapp 70 weitere versetzen. Die Polizei rechnet mit deutlich mehr als 1000 Demonstranten.

    Die Barrikaden rund um das Zeltdorf würden notfalls mit schwerem Gerät entfernt, kündigte Stuttgarts Polizeipräsident Thomas Züfle an. Bei der letzten, deutlich kleineren Baumrodung im Schlossgarten war es am 30. September 2010 zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Weit mehr als 100 Menschen waren verletzt worden.

    Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) -  nach wie vor Gegner von Stuttgart 21 - rechtfertigte am Dienstag den geplanten Polizeieinsatz: Die Bahn als Bauherrin habe Baurecht. "Wir haben dieses Baurecht durchzusetzen." Einen Ermessensspielraum gebe es in dieser Frage nicht. Kretschmann appellierte an die Gegner, friedlich zu bleiben.

    Beim umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 soll der bisherige Kopfbahnhof im Zentrum der Landeshauptstadt in eine unterirdische Durchgangsstation umgewandelt werden. Das soll mehr als vier Milliarden Euro kosten, eine neue Schnellbahnstrecke Richtung Ulm zudem knapp drei Milliarden Euro. Gegner halten das Vorhaben für unnötig und überteuert. Bei einer Volksabstimmung im November hatte sich eine deutliche Mehrheit der Baden-Württemberger dagegen ausgesprochen, den Landeszuschuss zurückzuziehen. 

    Verkehrsminister Hermann hatte die Gegner des Bahnprojekts bereits am Montag zur Mäßigung aufgerufen. "Man muss mal ein bisschen abrüsten", sagte der Minister in Stuttgart. Er reagierte damit auf die "Parkschützer", die die bevorstehende Baumrodung im Schlossgarten als "Kriegserklärung" bezeichnet hatten. Weiter sagte der Minister: "Wenn man das als Krieg bezeichnet, was ist dann wirklich Krieg?" Er zeigte aber auch Verständnis dafür, dass  mancher langjährige Kämpfer gegen das Milliardenvorhaben das Fällen alter Bäume als Frevel empfinde.

    Polizisten stellen einen Bezinkanister sicher

    Das Verwaltungsgericht Stuttgart lehnte einen Eilantrag von zwei Gegnern des Milliardenprojekts Stuttgart 21 ab. Damit wollten Hannes Rockenbauch und Gangolf Stocker vom Aktionsbündnis erreichen, dass die geplanten Rodungen gestoppt werden und das Land von einem Polizeieinsatz absieht. Der Erhalt der gesunden Bäume im Stuttgarter Schlossgarten sei im Schlichterspruch von Heiner Geißler festgelegt worden, argumentieren die beiden Antragsteller in der vergangenen Woche. Die 5. Kammer sah die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung aber nicht als erfüllt an. Dem Schlichterspruch komme keine rechtsverbindliche Wirkung zu, teilte eine Gerichtssprecherin mit. Gegen den Beschluss (5 K 405/12) kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde bei Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim eingelegt werden.

    Chronologie: Großprojekt Stuttgart 21

    November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung, in der auch die Finanzierung des auf fünf Milliarden Mark (rund 2,5 Milliarden Euro) veranschlagten Projekts festgelegt wird.

    November 1997: Das Düsseldorfer Architektenbüro von Christoph Ingenhoven erhält den Zuschlag für den Umbau in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit großen Lichtaugen.

    Oktober 2001: Das Planfeststellungsverfahren beginnt.

    Juli 2004: Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der Bahn gibt die neuen Kosten von Stuttgart 21 mit 2,8 Milliarden Euro an.

    April 2006: Das oberste Verwaltungsgericht Baden-Württembergs weist drei Klagen gegen den geplanten Umbau des Hauptbahnhofs ab.

    20. Dezember 2007: Der Gemeinderat der Landeshauptstadt lehnt einen Bürgerentscheid über das Milliardenprojekt mit großer Mehrheit ab. Rund 67.000 Bürger, dreimal mehr als notwendig, hatten dafür votiert.

    2008: Die Landesregierung erwartet Verteuerung auf 3,076 Milliarden Euro - der Bundesrechnungshof kommt auf mehr als fünf Milliarden Euro.

    2. April 2009: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und Bahn-Vorstand Stefan Garber unterzeichnen die Finanzierungsvereinbarung.

    2. Februar 2010: Die Bauarbeiten beginnen.

    27. Juli 2010: Bahnchef Grube gibt für die Schnellbahntrasse nach Ulm eine Kostensteigerung um 865 Millionen Euro auf 2,9 Milliarden Euro bekannt.

    11. August 2010: Das Umweltbundesamt sieht für Stuttgart 21 und die neue Schnellbahntrasse eine weitere Kostenexplosion auf bis zu elf Milliarden Euro.

    25. August 2010: «Baggerbiss» am Nordflügel des Hauptbahnhofs.

    September 2010: Die oppositionelle SPD, die wie die schwarz-gelbe Regierung für das Vorhaben ist, will die Bürger entscheiden lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt die Landtagswahl zur Abstimmung über das Bahnprojekt. Der Konflikt eskaliert. Bei der Räumung des Schlossgartens werden weit mehr als 100 Demonstranten verletzt, einige davon schwer. Auch Dutzende von Polizisten erleiden Verletzungen. Kurz nach Mitternacht werden die ersten Bäume gefällt.

    06. Oktober 2010: Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) schlägt den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler als Schlichter vor.

    09. Oktober 2010: Der Protest wächst weiter: Rund 65.000 Menschen gehen nach Schätzungen der Polizei gegen das Bahnprojekt auf die Straße. Die Veranstalter sprechen von 90.000 bis 100.000 Teilnehmern.

    22. Oktober - 27. November 2010: Acht Runden öffentlicher Schlichtung.

    30. November 2010: Geißler spricht sich in seinem Schlichterspruch für den Weiterbau des Projekts aus, verlangt aber Nachbesserungen. So schlägt er einen Stresstest vor, der zeigen soll, ob der geplante Tiefbahnhof wie behauptet 30 Prozent leistungsfähiger ist als der Kopfbahnhof. Die Ergebnisse werden im Sommer 2011 erwartet.

    10. Januar 2011 : Die während der Schlichtung unterbrochenen Bauarbeiten werden fortgesetzt - begleitet von Protesten.

    27. März 2011: Bei der Landtagswahl siegen Grüne und SPD.

    29. März 2011: Zwei Tage nach dem Regierungswechsel verkündet die Bahn einen Bau- und Vergabestopp bis zur Regierungsbildung im Mai.

    27. April 2011: Grüne und SPD präsentieren ihren Koalitionsvertrag. Die beiden Parteien einigen sich, über die Zukunft von Stuttgart 21 per Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Im Juni soll außerdem ein Stresstest zeigen, ob der Bahnhof teuer nachgerüstet werden muss.

    12. Mai 2011: Winfried Kretschmann wird nach dem Wahlsieg erster grüner Ministerpräsident der deutschen Geschichte.

    3. Juni 2011: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordert in einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer einen längeren Bau- und Vergabestopp. Ramsauer lehnt dies ab.

    14. Juni 2011: Die Deutsche Bahn nimmt die nach dem Regierungswechsel unterbrochenen Bauarbeiten wieder auf. Erneut kommt es zu kleineren Demonstrationen und Blockaden.

    9. Juli 2011: Erneut kommt es zu größeren Demonstrationen. Tausende Menschen fordern einen «Baustopp für immer».

    21. Juli 2011: Der geplante Bahnhof besteht den von einer Schweizer Firma durchgeführten Stresstest.

    29. Juli 2011: Das Ergebnis des Stresstests wird offiziell präsentiert. Auch das Aktionsbündnis gegen das Bahnhofsprojekt nimmt an dem Termin teil, nachdem zunächst ein Boykott erwägt worden war.

    27. November 2011: Eine Mehrheit hat sich für den Tiefbahnhof Stuttgart 21 entschieden. Rund 7,6 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, über das S21-Kündigungsgesetz abzustimmen. 58,9 Prozent stimmten gegen den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung, 41,1 Prozent stimmten für den Ausstieg.

    23. März 2012: Die Bahn gibt bekannt, dass der Bahnhof voraussichtlich erst mit einem Jahr Verzögerung im Jahr 2020 in Betrieb geht - und sieht die Bausumme nach wichtigen Vergaben bei 4,3 Milliarden Euro.

    3. Dezember 2012: Aus Kreisen des Bahn-Aufsichtsrats heißt es, Stuttgart 21 könne rund eine Milliarde Euro teurer werden. Summe damit etwa: 5,5 Milliarden Euro.

    6. Dezember 2012: Noch einmal 500 Millionen Euro mehr. Ein Vertreter des Bahn-Konzerns sagt dem Hessischen Rundfunk: "Insgesamt läuft es auf Kosten von sechs Milliarden hinaus."

    12. Dezember 2012: Nun zwei Milliarden Euro mehr? Unter Berufung auf Regierungskreise zitiert die "Stuttgarter Zeitung" Studien, wonach die Mehrkosten mindestens bei 1,3 Milliarden Euro, schlimmstenfalls bei 2 Milliarden Euro liegen.

    Beamte der Kriminalpolizei durchsuchten am Montagnachmittag eine Garage der "Parkschützer". Dabei stellten sie mehrere Benzinkanister mit einer bisher noch unbekannten Flüssigkeit sicher. Wie eine Polizeisprecherin am Dienstag mitteilte, überprüfen die Ermittler nun, ob die vier Benzinkanister einem 19-Jährigen gehören, der bis Donnerstag in Gewahrsam genommen wurde. Er wird verdächtigt, sich an der Herstellung von Molotowcocktails beteiligt zu haben. Bei der Razzia am Sitz der Stuttgart-21-Gegner zogen die Ermittler weitere "mögliche Beweismittel" ein. Details hierzu wurden nicht bekanntgegeben. Der 19-Jährige ohne Wohnsitz hatte das "Parkschützer"-Büro als offizielle Adresse angegeben. Die "Parkschützer" geben an, den Inhalt der Benzinkanister zum Betrieb eines Stromaggregats zu verwenden.

    CDU-Generalsekretär Geißler kritisiert die Bahn

    Unterdessen zeigte sich die Bahn verärgert über die Kritik des Stuttgart-21-Schlichters Geißler an den geplanten Baumfällarbeiten. Projektsprecher Wolfgang Dietrich sagte, Geißler müsse sich darüber im Klaren sein, dass er mit seinen Vorwürfen in dieser kritischen Phase radikale S21-Gegner aufstacheln könnte.

    Der frühere CDU-Generalsekretär Geißler hatte der Bahn in einem Interview vorgeworfen, sie halte sich nicht an die Vorgaben der Schlichtung. Die Bahn fälle gesunde Bäume aus rein finanziellen Gründen. Den Grünen in der Landesregierung warf der Schlichter den Bruch von Wahlversprechen vor. Darauf reagierten wiederum die Südwest-Grünen allergisch. Das Votum der Bürger bei der Volksabstimmung für den Weiterbau von S21 werde akzeptiert. Allein die Bahn habe es jetzt in der Hand, wie es im Schlossgarten mit den Bäumen weiter gehe.

    Hermann betonte, auch wenn die Gegner glaubten, das Ergebnis der Volksabstimmung sei aufgrund falscher Informationen zustande gekommen, sei das kein Grund, der Abstimmung die Legitimität abzusprechen. "Am Volksentscheid nehmen Kluge und Dumme, Wissende und Uninformierte teil - alle dürfen abstimmen." Den Kritikern der Volksabstimmung schrieb er ins Stammbuch: "Wenn man nicht akzeptieren will, dass die Mehrheit einem widerspricht, dann bleibt man besser bei elitären Systemen."

    Polizei sperrt Straße beim Hauptbahnhof

    Hermann appellierte an die Bahn, mit der Rodung zu warten, bis alle rechtlichen Fragen geklärt seien. Vor allem bei der Anbindung der Neubaustrecke an den Flughafen wünscht sich Hermann eine neue Diskussion. Die Pläne der Bahn müssten im Zuge eines Faktenchecks wie bei der S21-Schlichtung geprüft werden. Dazu müssten drei bis vier Varianten nebeneinandergestellt werden.

    Vor der Räumung des Zeltcamps hat die Polizei erneut eine Straße beim Hauptbahnhof in Stuttgart dicht gemacht. Seit Montagnachmittag sei die Zufahrtsstraße zum Schlossgarten mit Gittern versperrt, teilte eine Sprecherin der Polizei am Dienstag mit. Bis auf weiteres bleibe Autofahrern und Fußgängern der Zugang dorthin verwehrt. Wann der Verkehr wieder freigegeben werde, sei noch nicht absehbar. Im Laufe des Dienstags wollte die Polizei zudem Geräte hinter die Absperrung bringen. Dies ist Teil der Vorbereitungen für den Polizeieinsatz im Schlossgarten.  dpa

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