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Studie: Diese Parteien wählen Anhänger der "Querdenken"-Bewegung

Studie

Diese Parteien wählen Anhänger der "Querdenken"-Bewegung

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    Unter den Bundestagsparteien  scheint nur die AfD bei den selbsternannten "Querdenkern" beliebt zu sein.
    Unter den Bundestagsparteien scheint nur die AfD bei den selbsternannten "Querdenkern" beliebt zu sein. Foto: Christoph Schmidt, dpa

    Auf den "Querdenken"-Demonstrationen treffen sich unterschiedlichste Milieus. Alt-Hippies marschieren neben Reichsbürgern, ein langhaariger Sex-Hotline-Millionär tritt als DJ auf, Ex-Weltmeister Berthold referiert über Alternativmedizin. Einig sind sie sich in einem Thema: Sie alle lehnen die Corona-Politik der Bundesregierung ab.

    Im Bundestag herrscht weitgehend Einigkeit, dass Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie ergriffen werden müssen. Eher über das "wie" streiten sich die Abgeordneten. Was also wählen die selbsternannten "Querdenker"?

    Besonders radikale Anhänger der "Querdenken"-Bewegung haben wohl nicht an der Umfrage teilgenommen

    Der Soziologe Oliver Nachtwey ist dieser Frage nachgegangen. Zusammen mit einem Forschungsteam der Uni Basel hat er in Telegram-Gruppen und auf Demonstrationen Anhänger der Bewegung befragt. Die Forscher erhielten 1150 Antworten. Etwa 850 davon kamen aus Deutschland.

    Die Befragung ist im statistischen Sinn nicht repräsentativ. Einerseits, weil zu wenig Menschen befragt wurden. Andererseits, weil die demografischen Eckdaten der Befragten - wie beispielsweise das Geschlecht - nicht deckungsgleich waren mit der Gesamtheit der Demonstrierenden. So ist zum Beispiel der Anteil von Frauen in der Befragung etwas höher als bei den Demonstrationen.

    Demonstrationsteilnehmer der Initiative „Querdenken“ in Leipzig.
    Demonstrationsteilnehmer der Initiative „Querdenken“ in Leipzig. Foto: Sebastian Kahnert, dpa

    Außerdem vermuten die Forscher, dass besonders radikale Anhänger nicht an der Studie teilgenommen haben. „In einigen Telegram-Gruppen wurde explizit vor der Teilnahme an unserer Studie gewarnt“, schreibt Oliver Nachtwey in seinem Aufsatz. Trotzdem könne die Befragung erste Einblicke in das Wahlverhalten der selbsternannten "Querdenker" geben.

    So würden selbsternannte "Querdenker" bei der nächsten Bundestagswahl abstimmen

    In ihrem Abstimmungsverhalten lehnen die Demonstranten vor allem die Regierungsparteien ab. So kommt die SPD in der Umfrage auf null, die Union auf einen Prozentpunkt. Von den aktuell im Bundestag vertretenen Parteien scheint nur eine bei den Demonstranten beliebt zu sein: die AfD. Etwa 27 Prozent der "Querdenken"-Teilnehmer würden der Partei ihre Stimme geben. Damit ist die AfD unter den Demonstranten deutlich beliebter als im bundesweiten Durchschnitt. Laut Forsa-Umfrage steht die AfD dort gerade bei neun Prozentpunkten.

    Doch obwohl die anderen großen Parteien quasi keine Rolle spielen und die AfD Corona-Maßnahmen am vehementesten ablehnt, kann die Partei nicht mal ein Drittel der Bewegung von sich überzeugen. Der Grund: Viele Anhänger wählen Kleinparteien, beispielsweise "Die Basis" oder "Wir 2020". Viele der Demonstranten haben abgesehen von der Corona-Politik wenig Übereinstimmung mit der AfD.

    "Insgesamt sind 'Querdenkerinnen', soweit sie an unserer Erhebung teilgenommen haben, weder ausgesprochen fremden- oder islamfeindlich", schreiben die Forscher. "Mit Blick auf die Wahlabsichten lässt sich sagen, dass es sich um eine Bewegung handelt, die eher von links kommt, aber stärker nach rechts geht."

    Wie sehr sich die Demonstranten von ihren ehemals linken und grünen Überzeugungen entfremdet haben, zeigt ein Blick auf die Umfrage zur vergangenen Bundestagswahl. Unter den heutigen "Querdenkern" waren die Grünen mit 23 Prozentpunkten stärkste Kraft. Gefolgt von den Linken, die 18 Prozent gewählt haben. Heute kommen die Grünen auf einen Prozentpunkt. Die AfD erreicht in der Umfrage 15 Prozentpunkte, geringfügig besser als ihr bundesweites Ergebnis der Wahl 2017. Damals erhielt die Partei 12,6 Prozent der Stimmen.

    Die Beschreibung einer von links nach rechts strebenden Bewegung würden die Anhänger selbst wohl widersprechen. Mehr als die Hälfte lehnten eine Einteilung in das klassische Links-Rechts-Spektrum ab, schreiben die Forscher.

    Die Demonstranten sind getrieben von Verschwörungserzählungen

    Die Heterogenität der Gruppe macht eine politische Verortung schwer. Ebenso uneindeutig ist die Motivation der Demonstranten. So zeigte sich in der Umfrage, dass sich ein großer Teil nicht oder nur teilweise in ihrer finanziellen Situation bedroht fühlt.

    Angetrieben scheint die Bewegung eher durch ein generelles Misstrauen gegenüber dem Staat. "Die Kritik zielt weniger auf einzelne Maßnahmen, sondern gewissermassen auf alles gleichzeitig", beschreiben die Forscher ihre Gespräche mit den Demonstranten. "Es handelt sich um einen Generalverdacht und die Coronakrise scheint eine gute Möglichkeit zu sein, einmal zu sagen, dass man eigentlich gegen alles ist - die Reichen und Mächtigen, gegen die Wissenschaft, die Schulmedizin, die Justiz und Polizei."

    "Diktatur" steht auf der Nase-Mund-Bedeckung einer Teilnehmerin an einer "Querdenken"-Demonstration in Frankfurt am Main. Parallelen zum Nationalsozialismus sind keine Seltenheit unter den Demonstranten.
    "Diktatur" steht auf der Nase-Mund-Bedeckung einer Teilnehmerin an einer "Querdenken"-Demonstration in Frankfurt am Main. Parallelen zum Nationalsozialismus sind keine Seltenheit unter den Demonstranten. Foto: Boris Roessler, dpa

    In ihrer Kritik schweiften die Demonstranten deshalb häufig ab. "Schnell ist man bei 9/11 und zieht Parallelen zum Nationalsozialismus." Der Glaube an Verschwörungstheorien spielt dabei eine große Rolle. So bestätigt ein Großteil die These, Politiker seien nur Marionetten unsichtbarer Mächte.

    In ihrem Aufsatz sprechen die Forscher auch Warnungen aus. Die Bewegung verfüge über ein "beträchtliches immanentes Radikalisierungspotenzial" und sei "nach rechts offen". Und auch wenn der Großteil der Demonstranten nicht aus dem rechten Spektrum kommt, mischen sich auf den Demonstrationen immer auch Extremisten unter die Gruppe. "Unter den Demonstrierenden befanden sich unter anderem Mitglieder der rechtsextremistischen Parteien NPD, Der III. Weg, Die Rechte", schreibt die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen. Auch Reichsbürger und Anhänger der rechtsextremistischen Hooligan-Szene seien vor Ort gewesen.

    Die Corona-Demonstrationen sind eine willkommene Gelegenheit für Rechtsextremisten

    "Die rechtsextremistische Szene ist bemüht, den in Teilen der Bevölkerung wachsenden Unmut über die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen für sich zu nutzen", schreibt die Bundesregierung.

    Versteckt treten diese Gruppen nicht auf. Ihre politische Zugehörigkeit zeigen sie offen, indem sie beispielsweise die schwarz-weiß-rote Reichsfahne schwenken. "Bei einzelnen Demonstrationsteilnehmenden konnten Armbinden mit dem Emblem einer schwarzen Sonne auf rotem Untergrund festgestellt werden", schreibt die Bundesregierung über die Demonstration in Berlin vom 18. November. Das Symbol ist eine kreisrunde Anordnung von Siegesrunen, die als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz dient.

    Der Verfassungsschutz in Bayern will die Szene deshalb "genau im Blick" behalten, beobachtet die Bewegung bisher aber nicht als Ganzes. Anders als in Baden-Württemberg. Dort wird die "Querdenken"-Bewegung generell überwacht.

    Allerdings würden im Freistaat Personen aus dem Bereich Rechtsextremismus oder der "Reichsbürger"-Szene, die etwa als Anmelder, Teilnehmer, Sprecher oder Redner bei "Querdenken"-Veranstaltungen im Freistaat waren, beobachtet.

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