Eine der besten Hochschulen der Türkei, die Bosporus-Universität in Istanbul gleicht einer Festung: Hunderte Polizisten, einige mit Maschinenpistolen im Anschlag, andere in Kampfmontur und mit Schilden, haben den Haupteingang abgeriegelt. Wasserwerfer stehen bereit, ein Hubschrauber kreist, Polizisten mit Gummigeschossgewehren gehen in Stellung. Das martialische Aufgebot soll den Protest der Studenten gegen die Ernennung eines Gefolgsmannes von Präsident Recep Tayyip Erdogan zum neuen Rektor ersticken. Erdogans Regierung befürchtet, dass sich die Kritik zu einem Volksaufstand wie dem Gezi-Protest von 2013 ausweitet.
Hat Wunschkandidat Melih Bulu bei Doktorarbeit abgeschrieben?
„Wir fühlen uns, als sei ein Fremder in unser Heim eingedrungen“, sagt eine Studentin gegenüber unserer Istanbuler Redaktion über die Ernennung und die Polizei-Belagerung. Melih Bulu heißt der Mann, gegen den Studenten und Lehrkräfte protestieren. Außer seiner Treue zu Erdogan habe der 50-Jährige, der sich vor sechs Jahren vergeblich um einen AKP-Listenplatz für das Parlament bewarb, keine erkennbare Qualifikation für den Chefposten der Elite-Uni vorzuweisen. Kritiker werfen ihm vor, bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben zu haben.
Erdogan hatte Bulu am Wochenende ernannt und sich damit über die Wünsche der Universität hinweggesetzt, die ihren Rektor traditionell aus den eigenen Reihen wählt. Seitdem laufen Studenten, Dozenten und Professoren Sturm gegen die Entscheidung. Die Polizei setzte Wasserwerfer gegen demonstrierende Studenten ein und nahm 17 von ihnen fest; bei einigen brachen die Beamten Wohnungstüren auf, rissen Wände ein und zerrten sie wie Schwerverbrecher heraus.
Die Regierung sieht die Studentenproteste als regierungsfeindlich an
Um die Studenten fernzuhalten, verschlossen Polizisten das Eingangstor zeitweise mit Handschellen. Hier werde die Freiheit der Wissenschaft und der Gedanken in Fesseln gelegt, schrieb dazu der Journalist Mehmet Yilmaz vom Nachrichtenportal T24. Nur nach strengen Kontrollen dürfen die Studenten inzwischen wieder auf den Campus. Bulu versuchte, sich bei den Studenten mit der Bemerkung beliebt zu machen, er sei ein Fan der Rockband „Metallica“. Während eines TV-Interviews winkte er vom Bürofenster lachend den Studenten zu, die wütend seinen Rücktritt forderten. „Melih raus“, skandierten sie vor dem Rektoratsgebäude, „der Protest geht weiter.“ Sie befürchten, dass Bulu die Aufgabe hat, die Tradition des liberalen Denkens an der Uni zu beenden.
Die Staatsmacht sieht den Studentenprotest als regierungsfeindliche Aktion. Es solle ein zweiter Gezi-Aufstand angezettelt werden, sagt Erdogans rechtsnationaler Koalitionspartner Devlet Bahceli. Die Regierung stellt die Gezi-Proteste von 2013, die sich an einem Bauprojekt im kleinen Gezi-Park in Istanbul entzündeten, als Putschversuch hin, der von Extremisten und ausländischen Kräften gesteuert worden sei. Auch jetzt will die regierungsnahe Presse wieder das Ausland hinter den Demonstrationen erkannt haben.
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