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Streit um Erdogan-Gedicht: Wie es Böhmermann gelang, Merkel in die Bredouille zu bringen

Streit um Erdogan-Gedicht

Wie es Böhmermann gelang, Merkel in die Bredouille zu bringen

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    Wer ist dieser Jan Böhmermann? Comedian, Moderator – oder nur einer, der alles tut, um zu provozieren?
    Wer ist dieser Jan Böhmermann? Comedian, Moderator – oder nur einer, der alles tut, um zu provozieren? Foto: Ben Knabe/ZDF/dpa

    Man könnte nun lamentieren, dass dieser Jan Böhmermann geschafft hat, was normalerweise nicht einmal die eigene Mutter hinbekommt: nämlich einen zum frühen Aufstehen zu bringen. Nur, um einen Artikel über ihn zu schreiben. Aber das ist es ja schließlich auch, was ihn bisweilen auszeichnet – und ihm vielerorts (bis auf das Kanzleramt) auch Bewunderung einbringt: Er zwingt einen, sich mit ihm auseinanderzusetzen, ob man nun gerade will oder nicht.

    Jedenfalls sind die Nöte eines Morgenmuffels nichts im Vergleich zu denen der anderen Mutti, doch zu Merkel später mehr. Weil man sich erst mal zurücklehnen muss an diesem regnerischen Morgen, an dem sich über Nacht die Schlagzeilen noch einmal zugespitzt haben, die Türkei nicht nur per Verbalnote von der deutschen Regierung eine Strafverfolgung Böhmermanns fordert, sondern nun auch noch Staatspräsident Erdogan persönlich Strafantrag gestellt hat gegen „diesen unverschämten Mann“. Einem Morgen, an dem die Nachrichten im Radio voll sind mit Böhmermann, die Feuilletons kontrovers diskutieren und das Internet sowieso überquillt, einem Morgen, an dem es schließlich heißt, Böhmermann könnte gar ein Fall fürs Verfassungsgericht werden. Böhmermann. Böhmermann. Böhmermann. Wer ist dieser Mann?

    Jan Böhmermann ist Comedian, Moderator, Satiriker

    Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde der Comedian, Moderator, Satiriker – oder als was auch immer man ihn je nach eigenem Humorverständnis bezeichnen mag – erst im letzten Jahr. Es war März 2015, und nicht die Flüchtlinge, sondern die Griechen waren damals noch die Sorgenkinder, um nicht zu sagen: bösen Buben in Europa. Und es verging wie in diesem Lande üblich fast keine der unzähligen Talkshows, in denen die Euro- beziehungsweise Griechenland-Krise nicht Thema gewesen wäre. So auch bei Günther Jauch. Der Rateonkel, Moderator, Talkmaster – oder als was auch immer man ihn je nach eigenem journalistischen Verständnis bezeichnen mag – zeigte damals , in dem der damalige griechische Finanzminister Gianis Varoufakis quasi als Chef der bösen Buben Deutschland den Mittelfinger zeigte. Die Empörung war groß – und kippte alsbald ins Kakophonische, als Böhmermann in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ behauptete, das Video gefälscht zu haben, was wiederum eine Fälschung war, wie das ZDF später gezwungen war, einzuräumen.

    Was sich jedenfalls spätestens damals zeigte, war das Talent des Jan Böhmermann, die Mechanismen der Medienwelt, die Erregungsspiralen der Öffentlichkeit und gerade der Online-Medien für seine Zwecke zu nutzen – und damit auch ein Stück weit überhaupt erst offenzulegen. Für seine Fans ist das wahrscheinlich dasselbe, für die Grimme-Jury in Marl war der PR-Coup auf jeden Fall preiswürdig. Doch ob eine solcherart gestiftete Verwirrung als Mittel der Aufklärung wirklich taugt, zeigte #Varoufake, wie das Skandälchen genannt wurde, gerade nicht: Zu nah sind sich Zweck und Mittel, zu weit weg die eigentlichen Inhalte, über die aufzuklären in einer vor lauter medialer Betriebsamkeit abgestumpften Gesellschaft ja eigentlich erst recht anstünde.

    Ist Böhmermann einfach ein Kind seiner Zeit?

    Vielleicht ist es ja so, dass Böhmermann – ganz anders übrigens als seine zwei ZDF-Kollegen von der Kabarettsendung „Die Anstalt“ – tatsächlich die Wärme fehlt, ohne die Aufklärung nicht zu haben ist, wie der Kritiker Georg Diez unlängst mutmaßte. Vielleicht ist es aber auch eine Generationenfrage, ist Böhmermann, der sich selbst immerhin als „Arschloch mit Herz“ bezeichnet, auch einfach ein (hibbelig-hochbegabtes) Kind seiner Zeit. Großgeworden mit dem Privatfernsehen, später dann dem Internet, ist es die Welt der Medien, die sein Thema wurde.

    Dabei stand am Anfang auch die schiere Not: Als er 17 war, starb sein Vater an Leukämie, was dazu führte, dass er sehr früh anfing zu arbeiten, um seiner Mutter nicht mehr auf der Tasche zu liegen. „Ich habe für 41 Pfennig die Zeile für die Lokalzeitung geschrieben, während meine Klassenkameraden gefeiert und gekifft haben“, so Böhmermann in einem Spiegel-Interview.

    ---Trennung _Böhmermann setzt bewusst auf virale Welt des Internets_ Trennung---

    Die Medien ließen ihn jedenfalls nicht mehr los, nach seinem abgebrochenen Studium folgte Radio, folgte Radio-Comedy, folgte Fernseh-Comedy, folgte die Harald Schmidt-Show, in der er von 2009 bis 2012 mitarbeitete. Und auf die sich als Highlight deutscher Fernsehunterhaltung auch noch viele ältere Intellektuelle einigen können, alleine aufgrund der letzten bildungsbürgerlichen Reste, die in den grausamen Zeiten von Mario Barth dort noch mitgeschleppt wurden.

    Und vielleicht ist es auch diese Zeit bei Schmidt gewesen, in der Böhmermann endgültig so etwas wie eine selbstreferenzielle Wende vollzog, fortan immer mehr die Medien selbst thematisierte. Ein Talk – sei’s zusammen mit Olli Schulz, sei’s zusammen mit Charlotte Roche – zerlegte dann eben immer auch gleichzeitig die etablierte Form der Talkshow, verwies immer auf die Künstlichkeit der Situation, des Mediums. Das nervte bisweilen gewaltig – aber verhält es sich mit einer „normalen“ Talksendung etwa anders, ist diese aufgrund des Kaschierens der Künstlichkeit nicht noch viel schlimmer?

    Es ist jedenfalls kein Wunder, dass mit dieser Art Humor viele Menschen, in Zeiten sozialdemokratischen Weltverbesserungs-Kabaretts sozialisiert und ohne die entsprechend ironische Haltung gegenüber allem und jedem, wenig anfangen können. Zumal Böhmermann mit Clip-Ästhetik und Twitter-Interventionen ja auch ganz bewusst auf die virale Welt des Internets setzt, sodass man sagen könnte: Er ist so etwas wie der Pausenclown der Generation Campact, jener Online-Petition-Unterschreiber, die gerne mal eines seiner Videos weiterleiten, liken, lachen – um sich dann wieder dem Erwerb der gerade angesagten Turnschuhe zu widmen.

    Böhmermann bedient sich einer Steigerungslogik

    Doch um die Aufmerksamkeitsökonomie und Schrillheit gerade der Netzmedien zu offenzulegen, bedient sich Böhmermann notgedrungen derselben Steigerungslogik. Der Coup, der Skandal von gestern muss überboten werden – wie dann eben mit dem sogenannten Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Erdogan, das das Land nun in Atem hält. Die Methode dabei: Zu sagen, etwas sei nicht so gemeint beziehungsweise nur dazu da, um zu zeigen, was man nicht sagen dürfe, um es dann doch zu tun. Und so, wie wahrscheinlich auch der Satz Böhmermann ist ein pubertär-egozentrischer, schwer gestörter Narzisst mit ADHS niemals die Rechtsabteilung dieses Hauses passieren würde, spekulierte er zudem darauf, dass der Beitrag vom ZDF gelöscht würde – was dann ja auch geschah und das Interesse erst hervorrief.

    Der Rest aber entzog sich dann – Problem einer solchen Guerilla-Taktik – Böhmermanns Kontrolle. Dass die Türkei, die kurz zuvor ja bereits den deutschen Botschafter wegen eines eigentlich harmlosen Satireliedchens des NDR einbestellt hatte, nicht amüsiert reagieren würde, wenn nun der Präsident als sackdoofer, feiger und verklemmter Sodomit bezeichnet wird, war noch abzusehen. Dass sich allerdings die sich zuvor noch wegduckende Bundesregierung und allen voran Kanzlerin Merkel („bewusst verletzend“) ganz schnell auf die Seite Ankaras schlug, schon weniger. Jetzt haben alle ein Problem.

    Merkel, weil es jetzt mehr denn je so aussieht, als habe die Türkei diese wegen des kürzlich beschlossenen Flüchtlingsdeals in der Hand – SpiegelOnline orakelte gestern gar von einem schmerzlichen „Machtverlust“ und möglichem „Sturz“. Böhmermann – schon in seiner letzten Sendung ein bisschen wie ein kleines Kind, das sieht, was es angerichtet hat –, weil er nun möglicherweise zwei Strafverfahren am Hals hat. Eines wegen persönlicher Beleidigung, eines wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts. Und die gesamte Bundesregierung, weil sie sich zu letzterem als prüfende Instanz verhalten muss (und diesen unseligen Paragrafen aus dem 19. Jahrhundert, in dem Staatsoberhäupter anscheinend noch etwas Besseres waren als ganz normale Menschen, hoffentlich danach aus dem Strafgesetzbuch tilgt).

    "Solidarität mit Jan Böhmermann"

    Und sonst? Wird zum einen wieder wild über die Presse- und Meinungsfreiheit diskutiert, mit teilweise kuriosen Frontverläufen. So forderte zuletzt ausgerechnet der Springer-Konzern in Gestalt seines Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner „Solidarität mit Jan Böhmermann“, und es ist dahinter auch die Tatsache zu vermuten, dass die Bild schließlich in schöner Regelmäßigkeit selbst Persönlichkeitsrechte verletzt (ohne freilich je damit irgendetwas Aufklärerisches im Sinn zu haben). Zum anderen wird bald die Justiz ebendiese Meinungs- und Pressefreiheit vermessen müssen, wenn sie über den Fall entscheidet.

    Die kampferprobte Justiziarin des wenig zimperlichen Satiremagazins Titanic räumte gestern in einem Interview Böhmermann schon mal geringe Chancen vor Gericht ein. Der wiederum sagte am Nachmittag seine nächste Sendung ab und steht nun unter Polizeischutz. Und letztlich könnte es also so kommen, dass am Ende nur einer lacht: Erdogan. In dessen Land 2000 Verfahren wegen Präsidenten-Beleidigung laufen, der auf die Pressefreiheit wenig hält und sich darin auch noch bestätigt fühlen darf.

    Es gibt wahrlich Schlimmeres, als früh aufstehen zu müssen.

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