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Streit mit Merkel: Innenminister Horst Seehofer vertagt die Asyl-Reform

Streit mit Merkel

Innenminister Horst Seehofer vertagt die Asyl-Reform

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    Bundeskanzlerin Angela Merkel CDU wartet neben Horst Seehofer CSU, Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, auf den Beginn der Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel CDU wartet neben Horst Seehofer CSU, Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, auf den Beginn der Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag. Foto: Michael Kappeler, dpa (Archiv)

    In der Union eskaliert der Streit um die Flüchtlingspolitik neu: Nach heftigen Differenzen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) die für diesen Dienstag geplante Vorstellung seines „Masterplans Migration“ mit 63 Maßnahmen zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung abgesagt.

    „Einige Punkte müssen noch abgestimmt werden“, betonte ein Ministeriumssprecher. Nach Informationen unserer Redaktion geht es dabei vor allem um eine Frage: Dürfen Flüchtlinge an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden?

    Kanzlerin Merkel wünscht sich eine europäische Lösung

    Wie es in der CSU-Landesgruppe heißt, sieht das Seehofer-Papier die Zurückweisung von Flüchtlingen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind, an den Grenzen vor. Dies sei für Seehofer ein zentrales Anliegen. Betroffen sei rund ein Drittel der Flüchtlinge, die nach Deutschland einreisen.

    Ist eine Person bereits in der so genannten Eurodac-Datei, dem europäischen Fingerabdruck-Register für Asylbewerber erfasst, bedeutet dies, dass bereits ein Asylverfahren in einem anderen EU-Land läuft.

    Chronologie: Der Asyl-Streit zwischen CSU und CDU

    31. August 2015: "Wir schaffen das", sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf schließt sie nicht die Grenzen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Nach einer Aussprache mit der CDU legt er das Vorhaben kurz darauf ad acta.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München kritisiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer fordert erstmals eine konkrete Obergrenze: maximal 200.000 neue Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    9. Februar 2016: Seehofer nennt die offenen Grenzen für Flüchtlinge im Herbst 2015 "eine Herrschaft des Unrechts".

    4./5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung.

    6. Februar 2017: Seehofer erklärt offiziell, die CSU unterstütze Merkel bei der Bundestagswahl. Zuvor war lange ein eigener Kanzlerkandidat nicht ausgeschlossen.

    1. April 2017: In einem Interview bezeichnet Seehofer Merkel als "unser größter Trumpf". Nur mit ihr sei die Wahl zu gewinnen.

    3. Juli 2017: Eine Obergrenze für Flüchtlinge kommt im Wahlprogramm der Union nicht vor. Im gesonderten CSU-Programm "Bayernplan" wird sie aber festgehalten. Seehofer macht sie erneut zur Koalitionsbedingung.

    20. August 2017: In einem Interview nennt Seehofer eine Obergrenze nicht mehr ausdrücklich als Bedingung für eine Koalition nach der Wahl.

    24. September 2017: Trotz Verlusten gewinnt die Union die Bundestagswahl, doch die CSU stürzt auf für ihre Verhältnisse katastrophale 38,8 Prozent ab. Fehler der Union im Wahlkampf sieht Merkel nicht.

    8. Oktober 2017: Vor anstehenden Gesprächen mit anderen Parteien über mögliche Koalitionen verständigen sich CDU und CSU auf das Ziel, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Ausnahmen sind möglich. Das Wort "Obergrenze" taucht in der Einigung nicht auf.

    15. Dezember 2017: Merkel ist wieder auf dem CSU-Parteitag zu Gast. Die Schwesterparteien demonstrieren Geschlossenheit.

    12. März 2018: Union und SPD unterschreiben ihren Koalitionsvertrag. Seehofer wird als Innenminister in Merkels viertem Kabinett zuständig für Migration und Flüchtlinge. Er kündigt einen "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" an.

    15. März 2018: Seehofer sagt: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Die Kanzlerin grenzt sich von ihm ab.

    10. Juni 2018: In der ARD-Sendung "Anne Will" spricht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die CSU-Forderung nach einer Zurückweisung bestimmter Asylbewerber an der deutschen Grenze aus. Sie wolle, dass Deutschland "nicht einseitig national" handle.

    11. Juni 2018: Seehofer verschiebt überraschend die für den Folgetag geplante Vorstellung seines Masterplans. Hintergrund sind Differenzen mit Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlinge an der Grenze, einem wichtigen Punkt des Masterplans.

    12. Juni 2018: Die CSU beharrt auf ihrer Forderung – und setzt auf eine Konfrontation mit der Kanzlerin: "Wir setzen den Punkt durch", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Unterstützung bekommt Seehofer derweil auch aus den Reihen der CDU. Das wird auch in einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU deutlich.

    13. Juni 2018: Ein abendliches Krisentreffen zwischen Merkel und Seehofer endet ohne Annäherung. Merkel will zwei Wochen Zeit gewinnen und bis zum EU-Gipfel Ende Juni bilaterale Vereinbarungen mit anderen Staaten treffen. Die CSU lehnt das ab: Sie will umgehend auf nationaler Ebene handeln, bevor es mögliche europäische Schritte gibt.

    14. Juni 2018: Der Konflikt eskaliert: Eine laufende Bundestagsdebatte muss unterbrochen werden, die Abgeordneten von CDU und CSU beraten in getrennten Sitzungen mehr als vier Stunden lang über den Asylstreit. Seehofer droht Merkel mit einem "Alleingang". Eine Entlassung des Innenministers, ein Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU oder gar der Regierungskoalition – zwischenzeitlich erscheinen viele Szenarien möglich.

    15. Juni 2018: Der Bundestag befasst sich in einer aktuellen Stunde mit der Flüchtlingspolitik. Die Opposition kritisiert die Union dabei wegen des Asylstreits scharf. Derweil beharren CDU und CSU auf ihren Positionen.

    16. Juni 2018: CDU-Politiker warnen die CSU eindringlich vor einem Bruch der Union und fordern Kompromissbereitschaft.

    17. Juni 2018: Eine Annäherung zeichnet sich über das Wochenende nicht ab – die Fronten bleiben verhärtet.

    18. Juni 2018: Der Streit wird vertagt. CDU und CSU einigen sich darauf, dass Merkel zwei Wochen Zeit bekommt, um in der Flüchtlingsfrage bilaterale Abmachungen mit anderen EU-Staaten zu erreichen. Erst dann soll über mögliche Zurückweisungen an der Grenze entschieden werden, es gebe keinen "Automatismus", hob Merkel hervor. Umgehend zurückgewiesen werden sollen aber Flüchtlinge mit Einreise- oder Aufenthaltsverbot. Zugleich droht Merkel Seehofer am Montag mit ihrer "Richtlinienkompetenz" als Kanzlerin. (dpa/AFP)

    Schon bei Merkels Auftritt in der ARD am Sonntagabend habe sich der Konflikt angedeutet, als die Kanzlerin davon gesprochen habe, dass sie eine europäische Lösung anstrebe. Doch in der CSU sei man es leid, Jahr um Jahr darauf zu warten, bis sich die zerstrittenen EU-Länder einigen.

    Bis zuletzt habe Hoffnung bestanden, dass Merkel und Seehofer einen Kompromiss finden. Der etwa lauten könnte, dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt zu Zurückweisungen an den Grenzen kommt, wenn bis dahin keine europäische Lösung gefunden ist. Führende Mitglieder der CSU-Landesgruppe bekräftigten, in der Frage voll und ganz hinter Seehofer zu stehen.

    Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will Asylbewerber, die keine Chance auf ein Aufenthaltsrecht haben, bereits an der Grenze zurückweisen. „Wenn bei jemandem von vornherein klar ist, dass er keine Chance hat, hierbleiben zu dürfen, würde ich ihn an der Grenze zurückweisen“, sagte Söder beim „Augsburger Allgemeine Forum – Live“ in Augsburg.

    „Das wäre die beste Möglichkeit, um zu unterscheiden zwischen jemandem, der einen klaren Anspruch hat und jemandem, der aus anderen Gründen nach Deutschland will“. In solchen Fällen, so Söder, „muss der Staat in der Lage sein, eine Entscheidung zu treffen“. Und es wäre „ein Signal an Schlepper und Schleuser“.

    Der Koalitionspartner SPD hat mit Erstaunen auf die Absage reagiert. „Seehofers Masterplan wird zum Desasterplan der Union“, erklärte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Burkhard Lischka. „Die SPD fordert seit Wochen vom Bundesinnenminister, endlich seine konkreten Vorstellungen zum Thema Asyl und Ankerzentren zu präsentieren. Jetzt ist er mit seinen Ideen offensichtlich nicht einmal bei der Kanzlerin durchgedrungen.“

    FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sagte unserer Redaktion: „Die Union steht mal wieder vor einer Zerreißprobe. Auch nach mehr als zweieinhalb Jahren ist keine gemeinsame Haltung in der Flüchtlingsfrage vorhanden.“

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