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Streit: Wie Nahles ihre Europapolitiker gegen sich aufbringt

Streit

Wie Nahles ihre Europapolitiker gegen sich aufbringt

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    Beschlüsse von Landesparteitagen bewusst übergangen: Andrea Nahles
    Beschlüsse von Landesparteitagen bewusst übergangen: Andrea Nahles Foto: Marcel Kusch (Archiv)

    Dass Europa ebenso wie ihre Partei in der Krise steckt, sieht man Evelyne Gebhardt nicht an. Gut gelaunt betritt die SPD-Abgeordnete ihr Büro im

    Parlaments-Vize-Präsidentin passt nicht mehr ins Konzept

    „Jünger und weiblicher“ soll sie werden, weshalb langjährige Abgeordnete wie Gebhardt von der Bundes-Führung um SPD-Chefin Andrea Nahles auf aussichtslose Plätze gesetzt wurden. Dabei ist die 64-Jährige Vizepräsidentin des Europaparlaments. Und als Verbraucherschutzexpertin hat sie in Brüssel wichtige Projekte nicht nur im Sinne der Sozialdemokraten durchgeboxt.

    Für die SPD in Baden-Württemberg ist das ein Affront. Seit 1994 sitzt die gebürtige Französin, die in Schwäbisch Hall wohnt, für die Sozialdemokraten im Europaparlament. Sie gilt als Verfechterin der europäischen Gemeinschaft: „Es wird immer wieder behauptet, die Bürger und Bürgerinnen wollten weniger Europa“, sagt sie. „Wenn ich mit ihnen rede, merke ich schnell, dass sie bei aller Kritik mehr Europa wollen. Für sie ist es wichtig, dass ihr Behindertenausweis im Ausland gilt oder dass sie ihr Auto einfacher überführen können.“

    Landesparteitagsbeschlüsse außer Kraft gesetzt 

    Im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz hat Gebhardt derzeit den wichtigen Koordinatoren-Posten: Unter ihr wurden Roaming-Gebühren und das Geo-Blocking abgeschafft. Die Dienstleistungsrichtlinie, mit der Unternehmen ihre Dienste im EU-Ausland anbieten können, hat sie maßgeblich mitverhandelt. Und sie legt Wert auf engen Kontakt zu den Bürgern: „Man kann mich immer in Künzelsau, Straßburg oder Brüssel anrufen und mich zusätzlich auf Veranstaltungen ansprechen“, sagt Gebhardt. „Ich bin keine Abgeordnete, die nur kurz da ist und dann wieder verschwindet.“

    Nach dem SPD-Parteitag am Sonntag ist wohl Schluss damit. Auf der von Nahles und Justizministerin Katarina Barley als Spitzenkandidatin vorgeschlagenen Wahlliste für die Europawahl steht Gebhardt mit Platz 25 auf verlorenem Posten: Denn als Faustformel gilt, ein Prozent der Stimmen bringt ein Mandat ein. In Umfragen liegt die SPD nur bei 13,5 Prozent.

    Die baden-württembergische Landes-SPD hatte Gebhardt zur Spitzenkandidatin gewählt. Doch den ersten Platz für Baden-Württemberg auf der vorgeschlagenen Bundesliste bekam die 33-jährige Luisa Boos. Andrea Nahles hatte die frühere Landesgeneralsekretärin auf diesen Platz befördert und sich klar über das Votum der Südwest-SPD hinweggesetzt. Der Bundesvorstand habe „einen Listenvorschlag beschlossen, der einen klaren Akzent für Jüngere und für Frauen setzt“, hieß es.

    Auch in Schleswig-Holstein hatte die Versetzung des vom dortigen Landesparteitag nominierten Spitzenkandidaten auf den noch aussichtsloseren Platz 32 für Aufregung gesorgt. Die endgültige Liste soll auf einem Bundesparteitag am Sonntag beschlossen werden.

    Boos ist in der Europapolitik ein unbeschriebenes Blatt. Bei der Südwest-SPD sorgt das für Entsetzen. Etwa bei Nikolaos Sakellariou, Chef des SPD-Kreisverbands Hall und langjähriger Parteifreund von Gebhardt. „Das Europaparlament ist nichts für Lehrlinge. Das ist was für Leute, die Erfahrung haben in einem so riesigen Apparat.“

    Regionale Politiker sprechen von Intrige

    Seine Partei könne es sich nicht leisten, auf Gebhardt zu verzichten, „die mehrfach Gesetzesvorhaben gegen eine Mehrheit durchgedrückt hat“. Der Unmut an der Basis sei groß: „Eine Empörung wie bei dieser Intrige, mit dieser völlig falschen Begründung, das hat es noch nie gegeben. So viele Austrittsdrohungen hatte ich noch nie.“ Der neue Landesparteichef Andreas Stoch hat das Gespräch mit der Bundesspitze gesucht: „Ich habe deutlich gemacht, dass die Positionierung unserer beiden verdienten Abgeordneten – Evelyne Gebhardt auf Platz 25 und Peter Simon auf Platz 28 – nicht akzeptabel ist“, sagt er. Es sei aufgrund der wenigen aussichtsreichen Listenplätze aber „äußerst schwierig“, Mehrheiten für die Position des Landesvorstands zu finden.

    Auch der SPD-Bundesabgeordnete Josip Juratovic sieht die innerparteiliche Demokratie beschädigt: „Es wäre eindeutig mehr im Interesse der SPD, die demokratischen Spielregeln einzuhalten und die Reihung des Landesparteitags zu berücksichtigen.“ Die Platzierung müsse rückgängig gemacht werden.

    Gebhardt selbst ist verärgert und enttäuscht: „Niemand aus dem Bundesvorstand hat es für nötig gehalten, mich vorab über diese Absicht in Kenntnis zu setzen.“ Kampflos will die 63-Jährige ihr Mandat nicht aufgeben: „Noch kämpfe ich, noch ist der Bundesparteitag nicht vorüber. Außerdem bin ich bis zum 7. Juli des kommenden Jahres Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments.“ Die Europawahl Ende Mai sei eine Schicksalswahl: „Ich habe große Sorgen vor einem Rechtsruck im Europäischen Parlament“, sagt Gebhardt. Möglicherweise wird sie ihm bei hohen AfD-Erfolg selbst als eine der ersten zum Opfer fallen.

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