Das Ziel war klar: Die Opfer sexueller Übergriffe sollen besser geschützt werden. Frauen sollen in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gestärkt werden. Doch die Zweifel an der Umsetzbarkeit des neuen Gesetzes wollen nicht verstummen. Das im vorigen Jahr eilig beschlossene Gesetz zur Verschärfung des Sexualstrafrechts mit dem eingängigen Slogan "Nein heißt nein" ist erst wenige Monate alt. Umso erstaunlicher ist, dass bereits jetzt Experten Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auffordern, das Gesetz zu entrümpeln. Nach Einschätzung der Reformkommission um den Würzburger Strafrechtsprofessor Klaus Laubenthal war die jüngste Anpassung mit zu heißer Nadel gestrickt.
Justizminister Maas: "Stärkung der sexuellen Selbstbestimmung"
Nachdenklich wiegt der 62-Jährige einen blauen Wälzer in den Händen: 1397 Seiten hat der Bericht der Kommission zur Reform des Sexualstrafrechts. Laubenthal hat den dicken Band gerade im Namen der zwölf Kommissionsmitglieder an den Justizminister übergeben. Das Buch enthält zweieinhalb Jahre Arbeit der zwölfköpfigen Kommission: Referate der Mitglieder, aber auch Vorträge von "15 sachverständigen Personen aus der Praxis", wie Laubenthal betont: Staatsanwälte, Psychologen, auch Prostituierte.
Kritik am bestehenden Gesetz gab es schon lange. Deshalb hatte der Minister Anfang 2015 die Kommission beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten. Aber die Fachleute wurden von den Ereignissen überholt. Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/2016 hatten es die Abgeordneten plötzlich eilig: In Rekordzeit verabschiedete der Bundestag eine Verschärfung des Sexualstrafrechts.
"Einen wichtigen Schritt zur Stärkung der sexuellen Selbstbestimmung", nannte Justizminister Heiko Maas (SPD) damals das Gesetz, das Ende 2016 in Kraft trat. Seitdem ist unter anderem strafbar, wenn sich ein Täter über den Willen des Opfers hinwegsetzt – auch ohne Gewaltandrohung und das Ausnutzen einer schutzlosen Lage.
Experte kritisiert Maas' Reform des Sexualstrafrechts
Die Kommission arbeitete weiter. Sie bemängelt in ihrem Bericht jetzt handwerkliche Fehler des Hopplahopp-Gesetzes. Zum Beispiel bei sogenannten "Klima-der-Gewalt"-Fällen: Ein Täter blieb straflos, wenn ein Opfer zwar erkennbar die sexuelle Handlung ablehnte, aber der Willen des Opfers nicht gebrochen werden musste, um die sexuelle Handlung zu erzwingen. Der Paragraf 177 im Strafgesetzbuch, unter dem sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung geregelt sind, sei "überfrachtet", schreiben die Experten weiter.
Laubenthal betont gegenüber unserer Zeitung den Grundgedanken der Experten: Im Mittelpunkt stehen "das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung" und nach wie vor der Schutz Minderjähriger. Nach Empfehlungen von Experten bleibt die Kommission dabei, das schutzwürdige Alter von Kindern bei 14 Jahren zu belassen. Der Kuppelei-Paragraf soll hingegen abgeschafft werden, weil er nicht mehr zeitgemäß sei. Und sie empfiehlt eine Strafbarkeit für Freier, die erkennbar die Lage einer Zwangsprostituierten ausnützen.
Kritisch sehen die Reformer den neu geschaffenen Paragrafen, der Straftaten aus Gruppen heraus ahnden soll – auch eine Reaktion auf die Kölner Silvesternacht. Jetzt kann jemand bestraft werden, der sich in einer Gruppe befindet, die andere Menschen so bedrängt, dass dies eine Straftat darstellt. "Handwerklich missglückt" und "schwer verständlich" sei der Paragraf, schreiben die Experten. Für die Fachleute ist dies lediglich ein "symbolisches Strafrecht" und kann daher wieder abgeschafft werden.