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Staatsbesuch: Zwischen Moral und Moneten: Warum Merkel oft nach Afrika reist

Staatsbesuch

Zwischen Moral und Moneten: Warum Merkel oft nach Afrika reist

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    2018 in Accra, Ghana: Ein Plakat weist auf den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel hin.
    2018 in Accra, Ghana: Ein Plakat weist auf den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel hin. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Man kann davon ausgehen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in Südafrika nicht mit Stromausfällen zu kämpfen haben wird. Bei Staatsbesuchen ist man mit Generatoren lückenlos für jegliche Eventualitäten gewappnet. Die meisten Südafrikaner kennen das anders. Der marode Energiekonzern Eskom stellt derzeit täglich für zweieinhalb Stunden den Strom ab. Wartungsarbeiten, heißt es nur.

    Man hat sich daran gewöhnt in Südafrika. Der mit umgerechnet 27 Milliarden Euro verschuldete Monopol ist ist längst zum Sinnbild der stagnierenden Wirtschaft des Landes geworden, die ein Jahrzehnt lang von Ex-Präsident Jacob Zuma geplündert worden war. Die Hoffnungen, die viele in seinen Nachfolger Cyril Ramaphosa setzten, waren immens – auf eine baldige Erholung der Wirtschaft, auf Arbeitsplätze, auf funktionierende öffentliche Versorgung, auf ein Ende der Korruption. Erfüllt haben sie sich auch zwei Jahre nach seiner Wahl nicht. Das Wirtschaftswachstum dümpelt bei mickrigen 0,8 Prozent, beinahe 40 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter sind ohne Job – so schlecht war es um Südafrika während seiner demokratischen Geschichte selten bestellt.

    Wenn Angela Merkel Mittwochnacht in Südafrika ankommt und zwei Tage später nach Angola weiterreist, dann kann selbst ihr Stab in Berlin nicht genau sagen, die wievielte Afrika-Reise es ist. Klar ist nur: 23 Termine absolvierte die Kanzlerin bislang in Afrika. Das mag auch ihre besondere Verbundenheit zum Kontinent erklären. Abzulesen ist das einerseits an den Freiheiten, die sie Entwicklungsminister Gerd Müller lässt. Der CSU-Politiker hat Afrika mit Merkels ausdrücklicher Billigung zu seinem Arbeitsschwerpunkt gemacht. Merkel wiederum prägte den G20-Gipfel 2017 in Hamburg mit ihrer Idee zur „Compact with Africa“-Initiative. Sie nutzte die deutsche Präsidentschaft außerdem für zahlreiche Initiativen zur Stärkung afrikanischer Frauen.

    Das Treffen mit Nelson Mandela 2007 hat Angela Merkel tief beeindruckt

    Welche Afrika-Reisen Merkel wohl besonders in Erinnerung geblieben sind? Sicher ihr erster Südafrika-Besuch im Oktober 2007, nach gerade einmal zwei Jahren im Amt. In Johannesburg traf sie Nelson Mandela und sprach anschließend von einem „sehr bewegenden Moment“. Mandelas Widerstand gegen die Rassentrennung habe sie schon als junge Frau verfolgt. Dann, vier Jahre später, vier Tage Kenia, Angola, Nigeria. Ein komplizierter Kontinent im Schnelldurchlauf, sagten die einen. Eine Reise, zumindest in Teilen, dorthin, wo der schmutzige Kampf ums Öl tobt. In den Jahren darauf: Immer wieder West- und Nordafrika, Senegal, Ghana und Nigeria, Burkina Faso, Mali und Niger – mit dem Ziel, Perspektiven für die Menschen vor Ort zu schaffen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Von Afrika als ihrem „Schicksalskontinent“ war damals die Rede.

    Diese Afrika-Reise aber ist eine, bei der es nicht um Flüchtlingsströme gehen soll. Weder aus Südafrika noch aus Angola wählen Migranten in nennenswerter Zahl den Weg nach Europa. Dieses Mal geht es darum, die Beziehungen beider Seiten zu stärken. Südafrika etwa ist für Deutschland politisch der wichtigste Partner in Subsahara-Afrika. Und, wie Diplomaten in Berlin betonen, ein wichtiger Anker für die Stabilität des gesamten Kontinents. Auch die Wirtschaft spielt eine große Rolle. Südafrika ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands in Afrika, rund 450 deutsche Firmen sind dort tätig.

    Für diese galt der neue Staatschef Ramaphosa lange als Hoffnungsträger, angetreten mit dem Versprechen, das Land aus den Fängen von Zumas korruptem Netzwerk zu befreien. Kaum ein Investorenforum, bei dem er nicht in sonorigen Reden versucht, verspieltes Vertrauen in das einst zur Regenbogennation verklärte Südafrika zurückzugewinnen. Und kaum ein Investorenforum, bei dem er nicht in Erklärungsnot gerät. Warum gab es trotz des Milliardendiebstahls noch keine Verurteilungen? Und vor allem: Warum sollte man in einem Land investieren, das mit dem Schutz der Eigentumsrechte zündelt?

    Ein Großteil der Fläche in Südafrika gehört noch immer der weißen Minderheit

    Auch ein Vierteljahrhundert nach Ende der Apartheid gehört ein überproportional großer Teil der Agrarfläche der weißen Minderheit – ein Umstand, den die Regierung mit einer Landreform ändern will. Nach einer Verfassungsänderung sollen künftig auch entschädigungslose Enteignungen möglich sein. Ramaphosa betont gebetsmühlenartig, dass dieses Instrument nur in Sonderfällen und ausschließlich in der Landwirtschaft eingesetzt werden soll. Beruhigen kann das weder die inländischen noch die ausländischen Investoren.

    Für Matthias Boddenberg, Chef der deutschen Industrie- und Handelskammer in Südafrika, ist dies „das erste Thema“, das Merkel bei ihrem Treffen mit Ramaphosa ansprechen sollte. „Eine Änderung der Verfassung sehen unsere Mitgliedsfirmen kritisch“, sagt er. Vorgesehen sei zudem, dass entsprechende Enteignungsentscheidungen nicht von den Gerichten, sondern der Regierung selbst durchgeführt werden soll. Boddenberg sieht darin längst nicht die einzige diskussionswürdige Problematik.

    Es gibt vieles, was deutsche Firmenchefs in Südafrika umtreibt: die Stromkrise, die deutsche Unternehmen mit erneuerbaren Energien lösen könnten; die Ausbildungsmisere in Südafrika, wo man das deutsche System der dualen Ausbildung zu schätzen weiß. Es mangele an der Vernetzung der Berufsschulen und der praktischen Ausbildung in den Unternehmen, kritisiert Boddenberg. Trotz der großen Arbeitslosigkeit fällt es Firmen schwer, geeignete Mitarbeiter zu finden.

    Unser Archivbild zeigt Angela Merkel bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen der ghanaischen Hauptstadt Accra im August 2018
    Unser Archivbild zeigt Angela Merkel bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen der ghanaischen Hauptstadt Accra im August 2018 Foto: Michael Kappeler, dpa (Archiv)

    Auch wenn Merkel in Südafrika und Angola von einer Wirtschaftsdelegation begleitet wird, auch wenn es vor allem darum geht, die wirtschaftlichen Beziehungen zu stärken – letztlich bedeutet es den ewigen politischen Spagat zwischen Moral und Moneten. Zwischen Menschenrechten auf der einen und Wirtschaftsinteressen auf der anderen Seite. Und die deutsche Regierungschefin muss erklären, warum die reichen Staaten wie Deutschland auf eine Reduzierung des weltweiten CO2-Ausstoßes dringen, während Staaten wie Angola oder Südafrika gerade mit ihrer Industrialisierung durchstarten. Südafrika etwa stößt so viel Kohlendioxid aus wie kein anderes Land auf dem afrikanischen Kontinent und wird noch über viele Jahre von fossilen Energieträgern abhängig bleiben – das Verständnis für eine deutsche Energiewende und einen europäischen „Green Deal“ ist da gering.

    Nun sind Staatsbesuche in den südlichen Staaten Afrikas für deutsche Politiker meist Selbstläufer. Aus Sicht vieler afrikanischer Länder hat Deutschland eine unbelastete oder gar keine Kolonialvergangenheit. Und Deutschland hat Geld. Das ist die eine Seite der Medaille.

    Angola ist zwar einer der größten Erdölproduzenten Afrikas, aber nahezu zahlungsunfähig

    Auf der anderen stehen Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Vetternwirtschaft. In Angola etwa hat sich die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit mit Antritt der neuen Regierung verbessert. Trotzdem kritisieren Hilfsorganisationen wie Misereor die Regierung nach wie vor.

    Der Besuch in Angola, wo die Kanzlerin am Freitag ankommen soll, dürfte jedenfalls kein einfacher werden. Dort füllt Präsident João Lourenço die Rolle des Hoffnungsträgers zumindest mit dem ein oder anderen Achtungserfolg aus. Vor zweieinhalb Jahren übernahm er die Staatsführung von José Eduardo dos Santos, der sich angesichts der ausufernden Korruption und Rezession doch dagegen entschied, auf Lebenszeit zu regieren.

    Es ist ein schweres Erbe, das Lourenço angetreten hat. Angola ist zwar einer der größten Erdölproduzenten Afrikas, aber nahezu zahlungsunfähig. 70 Prozent der Erdölerlöse gehen zur Schuldentilgung ohne Umwege nach China. Für die dringend erforderliche Modernisierung der Landwirtschaft fehlt entweder das Geld oder die Bereitschaft.

    Erwartungen an den Besuch der Kanzlerin sind hoch

    Die Rolle des Aufräumers füllt Lourenço überraschend entschieden aus. Inzwischen wurde dos Santos’ Sohn José Filomino verhaftet und die Konten seiner Tochter Isabel eingefroren. Die 46-Jährige dürfte trotzdem die reichste Frau des Kontinents bleiben. Den Großteil ihres Vermögens, das die Zeitschrift Forbes auf 2,2 Milliarden Dollar taxiert, hat sie ins Ausland geschafft. Die Regierung in Luanda hat eine einstweilige Verfügung erlassen und fordert etwa eine Milliarde Euro von ihr zurück.

    Die Kanzlerin war 2011 schon in Angola, es war der erste Besuch einer deutschen Regierungschefin in dem aufstrebenden Land. Wie stolz die Angolaner auf ihren Besuch waren, zeigte sich damals unter anderem an dem irrwitzig langen roten Teppich, der anlässlich des offiziellen Empfangs kreuz und quer über den Rasen verlegt war. Es dauerte einige Zeit, bis Merkel die Strecke bei brütender Hitze absolviert hatte. José Eduardo dos Santos frohlockte danach, Merkels Besuch werde „mit goldenen Lettern in das Buch der bilateralen Beziehungen zwischen Angola und der Bundesrepublik Deutschland geschrieben“.

    Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des „Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft“, sieht Angola „eindeutig auf Reformkurs“, wenngleich die Verhandlungen zum Doppelbesteuerungsabkommen und die Ausstellung von Arbeitsgenehmigungen zu langsam vorankämen. Auch der bekannteste Menschenrechtsaktivist des Landes, Rafael Marques de Morais, bescheinigt Lourenço „guten Willen“. Gleichwohl hält er ihn für einen „Präsidenten in einem Morast“.

    Dessen Partei sei schließlich dieselbe Partei, die während all dieser Zeit die Korruption vorangetrieben habe, sagt Marques, für größere Investitionen in das Land sei es noch zu früh, es gebe zu wenig Wirtschaftskompetenz in der Regierung. „Einige Akteure wurden entfernt, das Gefüge bleibt das gleiche“, sagt Marques. „Es braucht noch viel Zeit zur Veränderung.“

    Dennoch sind die Erwartungen an den Besuch der Kanzlerin hoch. Angela Merkel dürfte wissen, dass die Schlagzeilen auch kippen können. Bei ihrem ersten Besuch in Angola vor neun Jahren plauderte der Chef der Bremer Lürßen-Werft, Friedrich Lürßen, freimütig über ein Waffengeschäft mit der Kriegsmarine des Landes. Es ging um sechs bis acht Patrouillenschiffe für die Grenzsicherung. Die Nachrichten über den geplanten Deal überschatteten damals und sehr zu Merkels Ärger die komplette Reise.

    Lesen Sie dazu auch: Deutsche Wirtschaft erhofft sich wichtige Impulse von Merkels Afrika Reise

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