Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: "Spiegel"-Skandal: Journalisten müssen sich Glaubwürdigkeit verdienen

Kommentar

"Spiegel"-Skandal: Journalisten müssen sich Glaubwürdigkeit verdienen

    • |
    Beim "Spiegel" hat ein Autor Reportagen gefälscht.
    Beim "Spiegel" hat ein Autor Reportagen gefälscht. Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archiv)

    Es gab schon einmal eine Spiegel-Affäre, sie hat die Bundesrepublik Deutschland zu einem besseren Ort gemacht. 1962 ließ ein Bundesverteidigungsminister namens Franz Josef Strauß Redakteure des Magazins verhaften, um unliebsame Recherchen zu unterbinden. Spiegel-Gründer Rudolf Augstein saß 103 Tage im Gefängnis, am Ende musste Strauß sein Amt räumen – und es war klar: In Deutschland können die Mächtigsten unangenehme Nachfragen nicht mehr so einfach verhindern.

    Jetzt redet die Republik wieder von einer Spiegel-Affäre, aber besser macht die erst mal nichts. Claas Relotius, zigfach preisgekrönter Reporter des Magazins, hat über Jahre hinweg Geschichten erfunden, erdichtet, erstunken und erlogen. Von einem seiner letzten Texte – eine Reportage über einen Jungen, der durch einen Kinderstreich den Bürgerkrieg im Land mitausgelöst habe – schwärmte eine Preisjury, der Artikel „sei von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert“.

    In Wahrheit waren da keine Quellen, sondern Lügen. Der Spiegel entschuldigt sich in einem Ausmaß, wie vielleicht kein Medium je zuvor – weil er in seiner DNA verwundet ist. Augstein wollte Deutschland nach den Nazi-Jahren zu einem ehrlicheren Ort machen. „Sagen, was ist“, diese Maxime hat Generationen geprägt – und Glaubwürdigkeit sollte nach Augsteins Willen auf Faktentreue beruhen. Deshalb wühlt die „Dokumentation“ des Magazins sich bis heute durch jede Seite, prüft Zahlen, Wetterangaben, Fakten, Namen, alles. Wer nun sagt, der Spiegel sei ein Lügen-Spiegel, lügt selbst. Die Schwachstelle war der Mensch, hier ein Betrüger.

    Skandal beim Spiegel: Geschichtenerzählen darf nicht zum Selbstzweck werden

    Dennoch müssen die Kollegen, müssen wir zugleich die Systemfrage stellen: Reporter Relotius hat geliefert, was bestellt, was goutiert wurde. Die immer noch abstrusere, immer noch buntere, immer noch „preiswürdigere“ Geschichte.

    Wahr ist aber: Faktensuche, Recherche, Analyse ist meist mühsamer als schöne Schreibe. Auch in unserer Redaktion ringen wir ständig um den Mix aus Nachricht und erzählten Geschichten. Wir wissen, dass wir Bilder brauchen, um in die Köpfe der Leser zu kommen, wir brauchen „Storys“.

    Nur: Das Geschichtenerzählen darf nicht zum Selbstzweck werden, man darf sich die Welt nicht machen, wie sie einem gefällt. Völlig objektiven Journalismus gibt es zwar nicht. Schon durch die Auswahl der Themen, der Gesprächspartner schleicht sich Subjektivität ein. Und Journalisten sind Menschen, mit all ihren Schwächen.

    Es gibt objektive Maßstäbe für den Journalismus

    Aber es gibt objektive Maßstäbe für unsere Arbeit. Dass man etwa versucht, Menschen nicht einfach zu verwerten in Texten, sondern zu verstehen. Nach Ursachen sucht statt nach Belegen für die eigene Haltung. Vor allem aber: sich nicht gemeinmacht mit einer Sache. Diese Leitsätze sind umso wichtiger, weil die Leser – zu Recht – immer höhere Ansprüche stellen. Sie wollen nicht mehr Untertanen sein und sich die Welt erklären lassen. Sie begegnen uns auf Augenhöhe, oft prüfen sie selber nach, was heute viel leichter möglich ist.

    Daher sollten wir nun nicht von Glaubwürdigkeit und deren Verlust schwadronieren. Wir müssen einfach jeden Tag darum kämpfen. Das gilt gerade für die regionale und lokale Berichterstattung. Die ist weniger glamourös als die große Reportage aus der weiten Welt.

    Aber sie ist direkter, unmittelbarer. Man muss den Leuten, über die man schreibt, am nächsten Tag buchstäblich noch in die Augen sehen können. Das ist manchmal anstrengend, aber unerlässlich. Journalismus ist eben keine Kunst. Es ist ehrliches Handwerk.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden