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Soziologe Ulrich Beck im Interview: Katastrophe von Fukushima: Sind die Deutschen hysterisch?

Soziologe Ulrich Beck im Interview

Katastrophe von Fukushima: Sind die Deutschen hysterisch?

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    Professor Ulrich Beck, Soziologe aus München.
    Professor Ulrich Beck, Soziologe aus München.

    Herr Beck, vor 25 Jahren explodierte das Kernkraftwerk Tschernobyl, zur selben Zeit kam Ihr Buch „Risikogesellschaft“ heraus. Jetzt die Katastrophe von Fukushima. Haben wir, hat die Welt in all den Jahren nicht viel dazugelernt?

    Ulrich Beck: Ja und nein. Die Ereignisse von Tschernobyl sind doch alle jetzt wieder sehr gegenwärtig. Gleichzeitig ist es erstaunlich, dass es möglich war, in den vergangenen 25 Jahren über die Gefahren der Kernenergie in einer Weise zu sprechen, als handele es sich bei dem Atomunfall um einen Autounfall. Dabei war man sehr findig. Die Gefahren wurden nicht plump kleingeschrieben, sondern man versuchte, ein Mammutrisiko gegen ein anderes Mammutrisiko auszuspielen. In diesem Fall Kernenergie gegen Klimawandel. Man rechtfertigte die Kernenergie dadurch, dass man sie als Mittel gegen den Klimawandel pries.

    Könnte man sagen, dass die Gefahr eines erneuten Super-GAUs  ein Stück weit verdrängt wurde, um weiterzumachen, um Fortschritt und technische Entwicklung zu halten?

    Ulrich Beck: Einer der entscheidenden Punkte beim Umgang mit Großrisiken ist ja die Frage, inwieweit es zu einer Technik praktikable Alternativen gibt. Unsere gesellschaftliche Erfahrung im Umgang mit Großrisiken besagt: Wann immer Menschen keine Alternative sehen, verdrängen sie die Risiken. Das geht so weit, dass es zu ergreifenden Szenen nach dem Chemie-Unfall 1976 in Seveso kam. Die Menschen, die dort am meisten von den Giftstoffen getroffen waren, weigerten sich, ihre Häuser zu verlassen. Weil dadurch ihre gesamte Existenz gefährdet war, weil sie keine Alternativen sahen. Anders als nach Tschernobyl wissen wir aber heute, dass es Alternativen gibt.

    Wie bewerten Sie die Reaktion der deutschen Bevölkerung, die jetzt so vehement auf einen Ausstieg drängt? Sind die Menschen hysterisch oder ängstlich oder verantwortungsvoll? Aus dem Ausland, aus Polen oder Frankreich, gibt es ja auch ein wenig Häme.

    Ulrich Beck: Ich weiß, dass es in den Medien oft so dargestellt wird, als sei das  deutsche Drängen raus aus der Atomkraft jetzt hysterisch und als würde man uns im Ausland dafür belächeln. Dem ist aber nicht so. Die Katastrophe in Japan wirft überall ähnliche Fragen auf und wird auch überall ähnlich diskutiert. Und zwar nicht nur unter Intellektuellen, sondern auch und gerade in der Wirtschaft. Bei der Frage der Kernkraft, wie bei allen Fragen von Großrisiken, geht es nicht einzig um Moral. Es geht zunehmend auch um Zukunftsmärkte, die sich auftun. Es geht um Ökonomie, um die Konkurrenz zwischen Ländern in der Entwicklung von Technologien. Zugespitzt gesagt: Angst, kreativ gewendet, öffnet neue Märkte. Gleichgültigkeit und das Lächeln über die Angst der anderen programmiert Fehlinvestitionen.

    Der Aus- und Umstieg wäre auch ohne die Katastrophe in Japan gekommen?

    Ulrich Beck: Fukushima hat die Sache enorm beschleunigt, aber ich glaube, die Zeit wäre auch so dafür reif gewesen. Ich war letzten Herbst in Japan, habe dort das Hiroshima-Museum besucht und mich damals schon gefragt, wie die Japaner das aushalten, diese kulturelle Schizophrenie: Auf der einen Seite das nationale Trauma Hiroshima, auf der anderen Seite der fast naive Glaube an die Kernenergie, diese Alternativlosigkeit, mit der die Japaner auf Kernenergie gesetzt haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass nun auch die Japaner ihre Zukunft in den erneuerbaren Energien sehen.

    Mit Japan hat die Katastrophe ausgerechnet ein hoch technisiertes Land getroffen ...

    Ulrich Beck: ... und das ist sehr interessant, weil ein so hoch technisiertes Land viele landläufige Ausreden hinwegfegt. Als 1986 Tschernobyl in die Luft flog, sagte Franz Josef Strauß, es handle sich um einen „kommunistischen Reaktor“. Was er damit sagen wollte, war: Hier, bei uns, im Westen, hier kann so etwas nicht passieren. Derartige Argumente ziehen nicht mehr. Jetzt hat man erkannt: Wenn es in Japan passiert, kann es überall und jederzeit auf der Welt passieren.

    In Ihrem Buch „Risikogesellschaft“ schreiben Sie, dass die „gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einhergeht mit der Produktion von Risiken“. War das Leben denn nicht immer schon risikobehaftet?

    Ulrich Beck: Nein. Wenn Sie beispielsweise an das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 denken, das war kein Risiko, sondern eine Naturkatastrophe. Die europäischen Geistesgrößen stritten darüber, wie ein „vernünftiger Gott“ das zulassen konnte. Risiken setzen Entscheidungen, Entscheider voraus. Im 19. Jahrhundert wurde in Europa ein Normensystem im Umgang mit selbst erzeugten Unsicherheiten entwickelt. Dazu gehörten Wahrscheinlichkeitsrechnung und Versicherung. Was seinerseits die Bereitschaft voraussetzte, etwa Zerstörung gegen Geldleistungen auszugleichen, ein solches Tauschgeschäft zu akzeptieren. Das hat damals den Gesellschaftsvertrag ausgemacht und das Risiko akzeptabel. Die Menschen konnten davon ausgehen, dass selbst für den schlimmst möglichen Fall Vorsorge geschaffen ist. Dieser Gesellschaftsvertrag wurde durch die Atomindustrie gebrochen.

    Die Frage ist ja, wie bemisst, auf welche Weise berechnet und bewertet man Risiken.

    Ulrich Beck: Im 19. Jahrhundert wurden sie auf der Grundlage von konkreten Unfallerfahrungen bewertet. Aber das ist bei neuen Risiken heute, wie sie die Kernkraft oder die Gentechnologie mit sich bringen, nicht mehr möglich. Wenn ein Atomkraftwerk explodiert, wenn das Klima sich unumkehrbar verändert hat, dann ist es dafür zu spät.

    Der Einzelne kann solche Risiken nicht bewerten, weil er sie nicht durchdringt. Er ist auf Experten angewiesen, er muss darauf vertrauen, dass diese das ihm Unverständliche richtig abschätzen und berechnen ...

    Ulrich Beck: … wenn es so einfach wäre! Aber man sieht ja jetzt in Japan, dass unterschiedliche Experten die Gefahren unterschiedlich bewerten, dass es keine klaren Gefahrenbeschreibungen gibt. Die Menschen dort sind ratlos, gleichzeitig setzen sie sich einer Gefahr aus, die sich ihren Sinnen entzieht. Das ist nichts weniger als ein anthropologischer Schock, den die Japaner gerade erleben. Und die Experten, von denen sie abhängig sind, handeln häufig interessengeleitet und kommen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen.

    Welche Auswirkungen hat das erschütterte Vertrauen in die Experten und deren vermeintliche Rationalität und Objektivität?

    Ulrich Beck: Das hat riesige Auswirkungen. Und zwar auch auf die Institutionen einer Gesellschaft und auf die Demokratie eines Landes. Was wir in Japan sehen, ist eine Verschränkung der Industrie mit den Kontrollbehörden, die beide undurchsichtig miteinander verflochten agieren. Das hat die Konsequenz, dass im Katastrophenfall die Regierung einerseits handeln muss, andererseits aber vollständig abhängig ist von der Informationspolitik und vom nebulösen Agieren der Industrie. Diese Abhängigkeit der Politik führt zu einer Vertrauenskrise, die Politik und ihre Institutionen erfasst, einfach weil die Bürger sich nicht mehr zurechtfinden. Ich glaube, diese Einsicht hat auch mit zum Umdenken in der Atompolitik bei Angela Merkel geführt.

    Würden Sie sagen, dass die Kernenergie ein zwar geringes, aber doch so katastrophales Risiko in sich birgt, dass man sie allein aus dem „Prinzip der Verantwortung“, wie es der Philosoph Hans Jonas entwickelt hat, niemals hätte Wirklichkeit werden lassen dürfen?

    Ulrich Beck: Jonas’ „Prinzip der Verantwortung“ ist großartig. Ich habe mich parallel gefragt, ob es in der Gesellschaft eine Instanz gibt, die, ohne es an die große Glocke zu hängen, entscheidet, was kontrollierbar ist und was nicht. Ich glaube, diese Instanz ist die private Versicherungswirtschaft. Wenn die private Versicherungswirtschaft etwas versichert, dann sind offenbar die Risiken zumindest finanziell kalkulierbar. Wenn das nicht der Fall ist, wie etwa bei der Kerntechnik, wie bei der Gentechnik, dann heißt das, dass nicht mal Versicherungen, die mit dem Risiko Geschäfte machen, bereit sind, dieses angebliche „Restrisiko“ einzugehen.

    Nun sind Sie in die Ethik-Kommission von Frau Merkel berufen worden. Was gibt es in der eigentlich noch groß zu bereden? Oder geht es doch nur darum, Zeit zu gewinnen?

    Ulrich Beck: So viel Zeit haben wir ja gar nicht mehr bis Ende Mai. Nein, es geht vor allem darum, die Argumente auf ihre Glaubwürdigkeit und Konsensfähigkeit hin zu überprüfen.

    Aber etwas anderes als der sofortige Ausstieg wird nicht herauskommen, oder?

    Ulrich Beck: Nein, wahrscheinlich nicht. Aber ganz unklar ist ja noch der Zeitpunkt des Ausstiegs und wie der Übergang gestaltet werden kann. Und es geht auch um die Frage, wie diese Kommission den internationalen Diskurs beeinflussen kann. Kernenergie ist ja kein nationales Thema. Die Frage ist, ob es uns gelingt, Zweifler zu überzeugen.

    Und, wird das gelingen?

    Ulrich Beck: Da es letztlich immer auch um Zukunftsmärkte und wirtschaftliche Vorteile geht, bin ich da ganz optimistisch.

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