Das sogenannte Castor Schottern trägt nach Meinung des Soziologen Dieter Rucht dazu bei, dass die Proteste am Rande des Atommülltransports gewalttätig werden. Das "Schottern" - bei dem massenhaft Steine aus Gleisbetten herausgewühlt werden - verwische die Grenzen zwischen passiven Widerstandsformen und eindeutig strafbaren Aktionen vor allem aus der autonomen Szene, sagte Rucht am Montag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
"Früher gab es fast durchgängig den Appell, friedlich und maßvoll zu reagieren. Die Ausschreitungen blieben meist im Rahmen oder waren lokal eng begrenzt", sagte Rucht. Das auch bei den Castor-Gegnern umstrittene "Schottern" hat nach seiner Sicht auch gewaltbereite Leute aus dem autonomen Spektrum angezogen: "Die haben sich (...) zu den Schotterern gesellt und nutzen deren Aktionen quasi als Brücke oder Sprungbrett für gewalttätige Aktionen", sagte Rucht. Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der politischen Mobilisierung in Europa und ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Netzwerks Attac.
Es spiele nur eine geringe Rolle, dass der Atomausstieg beschlossene Sache sei und die Suche nach einem Endlager ergebnisoffen von vorn beginnen soll. "Die Autonomen haben schon ihre Themen wie den Kampf gegen Rechtsradikale. Sonst stehen sie aber in einem eher instrumentellen Verhältnis zu den jeweiligen Themen des Protestes", erläuterte der Soziologe. Dabei sei die Vermischung der Fronten und Grenzen ein wichtiges Ziel. "Wo große Menschenmassen friedlich demonstrieren, können sich auch die Autonomen daruntermischen. Dann wird die Polizei provoziert, um die rohe Staatsgewalt zu entlarven", beschreibt Rucht die Taktik.
Castor-Transport: Veränderte Strategie der Polizei
Nach Ansicht des Protestforschers hat aber möglicherweise auch eine veränderte Strategie der Polizei zur Gewalt an der Castorstrecke beigetragen. "Im vergangenen Jahr hat sich die Polizei, bei dem, was ich beobachtet habe, einwandfrei und sehr zurückhaltend verhalten. Diesmal wollte sie sich offenbar keine Schwäche geben und ist etwa bei Räumungen offensiver vorgegangen, das könnte zu einer Eskalation mit beigetragen haben."
Beim eher bürgerlichen Widerstand im Wendland haben die angeblich ergebnisoffene Standortsuche und das Ende der Transporte aus La Hague laut Rucht wenig verändert: "Im Wendland herrscht großes Misstrauen, was das mögliche Endlager betrifft - durchaus berechtigt, wenn man schaut, wie krass das Verhältnis zwischen den für Gorleben bereitgestellten Mitteln und den viel geringeren Geldern für die Erforschung möglicher anderer Standorte ist." dpa/AZ