Kein günstiges Schulessen mehr, viele Tafeln geschlossen, dazu aber zusätzliche Kosten für Masken und Desinfektionsmittel: Viele Bezieher von Hartz IV und Sozialhilfe müssen im Lockdown mit noch spitzerem Stift rechnen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will ihnen nun mit einem „Pandemiezuschlag“ über die Runden helfen - dagegen aber regt sich in der Union Widerstand.
Wie hoch der Zuschlag sein soll, lässt Heil noch offen. Aber selbst wenn der Bund Bedürftigen jetzt kostenlose FFP-2-Masken zur Verfügung stelle, bräuchten diese Menschen trotzdem noch finanzielle Hilfen, betonte er gegenüber unserer Redaktion. „Da Kitas, Schulen, soziale Einrichtungen, Sozialkaufhäuser oder Büchereien für lange Zeit geschlossen sind, fallen viele Alltagshilfen jetzt weg, die hilfsbedürftige Menschen sonst nutzen können.“ Zugleich stiegen jedoch die Kosten durch die Pandemie, etwa für Strom oder die Förderung der Kinder. „Ich will deshalb einen Corona-Zuschuss für hilfsbedürftige Menschen mit dem die größten Belastungen ausgeglichen werden können.“ Corona, so Heil, „darf nicht zur sozialen Spaltung unserer Gesellschaft führen.“
Die Regelsätze für Hartz IV wurden gerade erst erhöht
Zwar gibt es auch in der Union Befürworter eines solchen Pandemiezuschlags – der stellvertretende Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels etwa, Christian Bäumler, hat bereits einen Betrag von 100 Euro pro Kopf und Monat in die Debatte geworfen. Auf der anderen Seite aber warnt der CSU-Sozialexperte Stephan Stracke: „Wir haben die Regelsätze erst zum Jahreswechsel erhöht.“ Dass Bezieher von Hartz IV oder Sozialhilfe einen zusätzlichen Bedarf hätten, sei zwar unstrittig. Diesen Bedarf könne man allerdings auch mit Gutscheinen für kostenlose FFP2-Masken decken, sagte der Allgäuer Abgeordnete im Gespräch mit unserer Redaktion. „Ich halte das für die bessere Lösung.“
Seit Anfang Januar erhalten Alleinstehende, die auf Hartz IV angewiesen sind, einen Regelsatz von 446 Euro monatlich – das sind 14 Euro mehr als im Jahr zuvor. Auch für andere Personengruppen wurden die Sätze angehoben, besonders stark stieg dabei der für Kinder zwischen 14 und 17 Jahren, nämlich um 45 Euro auf 373 Euro. Mehrere Gewerkschaften und Sozialverbände halten das allerdings schon in „normalen“ Zeiten für zu wenig fordern nun in einer gemeinsamen Erklärung eine generelle Anhebung des Regelsatzes auf 600 Euro sowie einen zusätzlichen Aufschlag von 100 Euro für die Dauer der Corona-Krise. Frank Werneke, der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, hatte zunächst sogar 150 Euro mehr im Monat verlangt, die Linkspartei fordert 200 Euro.
3,8 Millionen Menschen beziehen Hartz IV
Bei knapp 3,8 Millionen Beziehern von Hartz IV und gut 1,5 Millionen nicht mehr arbeitsfähigen Beziehern von Sozialgeld würde eine Pandemiehilfe von 100 Euro pro Kopf den Steuerzahler jeden Monat 530 Millionen Euro kosten. Gleichzeitig tobt hinter den Berliner Kulissen eine heftige Diskussion über die generelle Zukunft von Hartz IV: Einen Gesetzentwurf von Heil, nach dem in den ersten beiden Jahren der Bedürftigkeit ein Vermögen von 60.000 Euro grundsätzlich vor dem Zugriff des Staates geschützt ist und ein Betroffener seine Wohnung auch nicht aufgeben muss, liegt nach heftigem Widerstand aus der Union im Moment auf Eis. Heil will damit zwei Ausnahmeregeln, die in der Corona-Krise eingeführt wurden und Ende März auslaufen sollen, zum dauerhaften Standard machen.
Das Prinzip des Förderns und Forderns, vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Richtschnur seiner Sozialreformen gemacht, war in der SPD von Anfang umstritten - inzwischen gibt ein Beschluss des Parteitages vom Dezember 2019 auch offiziell eine neue Parteilinie vor: Weniger Sanktionen, längere Laufzeiten für das (deutlich höhere) Arbeitslosengeld I und eine Art Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Unter anderem beruft sich die Partei dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, nach dem die bisherigen Sanktionen für die Bezieher von Hartz IV, die die Annahme einer Arbeit verweigern, zu hart sind.
Dass Heil seine Reform bis zum Ende der Wahlperiode noch durchbringt, gilt in Koalitionskreisen als äußerst unwahrscheinlich. Beim Pandemiezuschlag stehen seine Aktien besser - hier hat der Sozialdemokrat auch in der CSU den einen oder anderen Unterstützer. Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek und Sozialministerin Carolina Trautner etwa fordern ebenfalls eine finanzielle Corona-Kompensation für Bedürftige.
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