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Sozialdemokraten: Endet mit der Amtszeit von Norbert Walter-Borjans auch die Harmonie in der SPD?

Sozialdemokraten

Endet mit der Amtszeit von Norbert Walter-Borjans auch die Harmonie in der SPD?

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    Fragen über Fragen: Greift der wahrscheinlich baldige Kanzler Olaf Scholz (Mitte) auch nach dem Vorsitz seiner Partei? Und was wird aus Norbert Walter-Borjans Teampartnerin an der SPD-Spitze, Saskia Esken?
    Fragen über Fragen: Greift der wahrscheinlich baldige Kanzler Olaf Scholz (Mitte) auch nach dem Vorsitz seiner Partei? Und was wird aus Norbert Walter-Borjans Teampartnerin an der SPD-Spitze, Saskia Esken? Foto: Michael Kappeler, dpa

    Ist es mit der Harmonie in der SPD, die der Sieg bei der Bundestagswahl Ende September möglich gemacht hat, schon wieder vorbei? Mit der Frage jedenfalls, wer die Partei künftig führen soll, deuten sich schwere Machtkämpfe an – ein erstes Scharmützel zwischen Fraktionschef Rolf Mützenich und Parteichefin Saskia Esken zeigte bereits, wie viel Brisanz in ihr steckt.

    Schon in wenigen Wochen steht die Wahl der neuen Parteispitze an. Seitdem klar ist, dass Norbert Walter-Borjans, der gemeinsam mit Esken amtiert, nicht mehr antreten wird, herrscht nicht nur im Willy-Brandt-Haus, der Bundeszentrale in Berlin-Kreuzberg, helle Aufregung. Denn wie eng Wohl und Wehe, Aufstieg und Fall mit der Parteiführung verknüpft sind, weiß gerade die SPD sehr genau. So ging es vor zwei Jahren, als zuletzt nach einer neuen Parteispitze gesucht wurde, um nichts weniger als das nackte Überleben für die Sozialdemokraten.

    Es ist noch nicht lange her, als sich die SPD selbst zerlegte

    Nach der historischen Wahlschlappe 2017 mit Martin Schulz widerstrebend in eine weitere ungeliebte Große Koalition mit der Union eingetreten, zerlegte sich die SPD im Dauerstreit um Köpfe und Inhalte. Parteichefin Andrea Nahles warf entnervt hin und Wählerinnen und Wähler wandten sich mit Grausen ab. Die Umfragewerte rutschten auf 15 Prozent und noch darunter. Halb fassungslos, halb amüsiert verfolgte die Nation dann, wie sich die Partei im Angesicht ihres Untergangs einen so aufwendigen wie zeitraubenden Auswahlprozess für eine neue Doppelspitze genehmigte. Ein Prozess, in dem Olaf Scholz, Vizekanzler und Bundesfinanzminister, die bitterste Schmach seiner Polit-Karriere einstecken musste.

    Wird Olaf Scholz jetzt doch noch Parteichef?
    Wird Olaf Scholz jetzt doch noch Parteichef? Foto: Oliver Weiken, dpa

    Heute steht die SPD als stolze, wenn auch knappe Wahlsiegerin da – und eben jener Scholz hat beste Chancen, sich mithilfe von Grünen und FDP zum Kanzler küren zu lassen. Zu einem wohl nicht unerheblichen Teil hat er seinen Erfolg von heute der Niederlage von damals zu verdanken. Denn die Wahl des linken Duos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sorgte letztlich dafür, dass in der zerstrittenen SPD-Familie irgendwann doch noch Ruhe einkehrte. Beide machten ihr Versprechen wahr, die Parteibasis wieder stärker einzubeziehen. Weil schon kurz nach ihrer Kür die Corona-Pandemie begann, setzte das Duo dabei stark auf digitale Formate, zahlreiche Videokonferenzen erreichten teils hunderte von Parteimitgliedern.

    Die milliardenschweren Corona-Hilfspakete, die Scholz als Finanzminister schnürte, ließen schließlich auch die parteiinterne Kritik an der ungeliebten „GroKo“ verstummen. Viele der Förderprogramme trugen die Handschrift der neuen Doppelspitze, die sich für einen starken, fürsorglichen Staat einsetzte. Auch im regelmäßig tagenden Koalitionsausschuss konnten Esken und Walter-Borjans, obwohl ohne Kabinettsposten, durchaus Einfluss auf die Politik der Bundesregierung nehmen. Während Esken mit Streitlust und plakativen Forderungen die Seele des linken Parteiflügels streichelte, wurde der 69-jährige Walter-Borjans mit jeder Woche im fünften Stock der Parteizentrale mehr zur Integrationsfigur.

    Nowabos Leistung: Er sorgte für Ruhe in der SPD

    Zu seiner wichtigsten Plattform wurde eine zweimal wöchentlich meist per Telefon tagende Runde, zu der neben Esken und ihm Vizekanzler Scholz, Fraktionschef Mützenich, der Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider sowie Generalsekretär Lars Klingbeil gehören. Praktisch nichts aus diesen Runden drang nach draußen. Allmählich kehrte das gegenseitige Vertrauen zurück.

    Dabei war Norbert Walter-Borjans eigentlich schon auf dem politischen Altenteil, als er an die Parteispitze gelangte. Bundesweite Aufmerksamkeit hatte der gebürtige Krefelder zuvor nur kurzzeitig erregt – in seiner Zeit als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen mit dem Ankauf von Steuer-CDs, um Steuerbetrüger zur Strecke zu bringen. Für Olaf Scholz wurde der Mann, der nichts mehr werden wollte und den es selbst nicht ins Kanzleramt oder in ein Bundesministerium drängte, zum Glücksfall. Dass „Nowabo“ die Größe besaß, zu erkennen, dass mit Scholz als Spitzenkandidat die Aussichten auf einen Wahlerfolg am höchsten sind, und dies anschließend auch dem linken Parteiflügel vermitteln konnte, gilt als Schlüssel zum Sieg bei der Bundestagswahl.

    Und nun? „Mission accomplished“, Aufgabe erfüllt, er wolle jetzt Jüngeren Platz machen – so begründete Walter-Borjans kürzlich seinen überraschenden Entschluss, nicht mehr als Parteichef antreten zu wollen. Zu seiner Nachfolge möchte er sich zwar nicht äußern, doch gleichzeitig betont er, die bisherige Arbeitsteilung von Parteivorsitz und Regierungsamt habe sich bewährt. Das lässt aufhorchen. Ebenso, dass Scholz prompt ankündigte, er werde sich auf die Regierungsbildung konzentrieren. Ob das als klares Nein zu einer Übernahme des Parteivorsitzes gewertet werden könne, wird in der SPD kontrovers diskutiert.

    Zumindest, dass es bei einer Doppelspitze bleiben wird, gilt in hohen Parteikreisen als ausgemacht. Alles andere, das sagen übereinstimmend mehrere gut eingeweihte Parteimitglieder, sei offen. Nicht einmal, dass Saskia Esken, die bisherige Tandempartnerin von Walter-Borjans, auch künftig an der Parteispitze sein werde, scheint sicher. Zwar hatte die 60-Jährige aus Calw vor der Wahl gesagt, sie wolle weitermachen. Ihr werden aber auch Ambitionen auf einen Ministerposten nachgesagt: Sie könnte sich im künftigen Kabinett um Bildung oder Digitalisierung kümmern, heißt es.

    Und was wird nun aus Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans Teampartnerin an der SPD-Spitze?

    Geht es nach Fraktionschef Rolf Mützenich, wird sich Esken für das eine oder das andere Amt entscheiden müssen – beides sei in einer Partei, in der es nun viele Anwärterinnen und Anwärter auf wichtige Posten gebe, kaum zu vermitteln. „Ich glaube, die Konzentration auf jeweils ein Amt ist schon herausfordernd genug“, sagte Mützenich im Deutschlandfunk. „So ist Saskia Esken ja auch vor zwei Jahren angetreten, letztlich eben auch auf diese Eigenständigkeit pochend“, fügte er, kaum nach Harmonie strebend, an. Sowie, dass die Partei ja wissen solle, woran sie sei.

    Mützenich gilt als ausgesprochen besonnener Zeitgenosse. Parteiintern fragen sich daher viele, was wohl hinter seinem Angriff auf die Chefin steckt. Ein Hinweis könnte sein, dass auch er zum kleinen Kreis derer gerechnet wird, die sich Hoffnungen auf den Vorsitz machen dürfen. Zwar wurde der 62-Jährige gerade von der neuen, größeren und jüngeren Bundestagsfraktion als Vorsitzender wiedergewählt. Doch viele Genossinnen und Genossen glauben, dass der Kölner nicht unbedingt auf Dauer der Richtige sei, um als Chef der stärksten Fraktion die Mehrheiten für den wahrscheinlichen Kanzler Olaf Scholz zu organisieren. Was erklärt, warum er zuvor schon als künftiger Bundestagspräsident gehandelt wurde. Bekanntlich kam SPD-Frau Bärbel Bas in dieses Amt. Mützenich-Unterstützer sagen, als Parteichef könne er quasi direkt an das Erbe von Walter-Borjans als Integrationsfigur anknüpfen.

    Bei den Spekulationen, wer SPD-Chef werden könnte, tauchen auch ihre Namen auf: Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär (links), und Kevin Kühnert, stellvertretender Vorsitzender der Partei.
    Bei den Spekulationen, wer SPD-Chef werden könnte, tauchen auch ihre Namen auf: Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär (links), und Kevin Kühnert, stellvertretender Vorsitzender der Partei. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Oder kommt es ganz anders? Und vor allem mit deutlich mehr Wirbel? Für den würde Kevin Kühnert als neuer SPD-Vorsitzender sorgen. Von dem Ex-Juso-Chef, der trotz seiner erst 32 Jahre als eine Art graue Eminenz der Partei gilt, nehmen nicht wenige an, dass er nun tatsächlich nach der Spitze greifen könnte. Er war es schließlich, der einst beim linken Parteinachwuchs den Widerstand gegen Scholz als Parteichef organisierte und erfolgreich für das Duo Esken/Walter-Borjans trommelte. Parteivize ist Kühnert bereits, in den Bundestag ist er eingezogen – ein herausgehobenes Amt fehlt ihm noch. Er könnte außerdem die Verjüngung verkörpern, die Walter-Borjans seiner Partei verordnete.

    Wenn Kevin Kühnert als SPD-Chef käme, würde es reichlich Wirbel geben

    In gemäßigteren Teilen der SPD ist man alles andere als begeistert von dieser Aussicht. Der frühere Erzfeind von Olaf Scholz quasi als dessen Chef? Das wirft nicht nur im konservativen Seeheimer Kreis bange Fragen auf: Was würde das für eine Bundesregierung mit Grünen und FDP bedeuten? Wäre da Streit nicht programmiert? Und wie stünde denn der Kanzler vor FDP-Chef Christian Lindner da, der Scholz als Finanzminister beerben will? Allzu häufige linke Forderungen aus dem Willy-Brandt-Haus könnten zu viel Unruhe in eine Ampel-Koalition bringen, heißt es.

    Für den Ausgleich zwischen den verschiedenen Flügeln, zwischen Jung und Alt, städtischen und ländlichen Regionalgruppen steht in der SPD kaum einer so sehr wie Lars Klingbeil, 43. Als Generalsekretär hat er den erfolgreichen Scholz-Wahlkampf organisiert – und so ist es kein Wunder, dass auch sein Name in den Spekulationen um den künftigen Vorsitz eine gewichtige Rolle spielt. Der umtriebige und digital affine Klingbeil gilt aber auch als ministrabel. Viele könnten sich den Sohn eines Berufssoldaten gut im Verteidigungsressort vorstellen.

    Möglich aber auch, dass ein Teil der künftigen Parteispitze gar nicht aus dem Berliner Bundespolitikbetrieb kommt, sondern aus den Reihen der sozialdemokratischen Ministerpräsidentinnen und -präsidenten. Manuela Schwesig, die am Tag der Bundestagswahl in Mecklenburg-Vorpommern triumphal im Amt bestätigt wurde, hätte da wohl die größten Chancen.

    Die Entscheidung fällt Mitte Dezember

    Zum Nikolaustag am 6. Dezember soll der Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP stehen, wohl am Wochenende zuvor könnte ein kleiner Parteitag die Zustimmung zur Bildung einer Ampel-Regierung geben. Ganz in trockenen Tüchern ist das zwar noch nicht. Doch es gilt als sehr wahrscheinlich, dass in der zweiten Dezemberwoche klar ist, wer im künftigen Kabinett welche Rolle einnehmen wird. Das sozialdemokratische Personaltableau hätte sich also zumindest ein Stück weit vorsortiert, bevor vom 10. bis zum 12. Dezember in Berlin der eigentliche, große SPD-

    Und als keineswegs ausgeschlossen gilt ein Szenario, in dem Olaf Scholz in der Euphorie der frischen Kanzlerschaft dann gleich noch nach dem Parteivorsitz greift. In einer nicht einfachen Ampel-Dreierkoalition würde das seine Macht stärken, sagen die Befürworter einer solchen Lösung. Bis zur Entscheidung am 10. Dezember stehen der SPD jedenfalls turbulente Wochen ins Haus: Während mit Grünen und FDP um das Regierungsprogramm gefeilscht wird, läuft der Kampf um die Spitzenämter in Kabinett und Partei. Nicht wenige fürchten, dass der neue sozialdemokratische Zusammenhalt, für den Walter-Borjans steht, mit dessen Rückzug gleich wieder zu bröckeln beginnt.

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