Die Große Koalition wackelt. Erst am Freitag in den frühen Morgenstunden hatten sich Union und SPD auf die Ziele einer gemeinsamen Regierung geeinigt. Doch schon am Wochenende formiert sich neuer Widerstand in den Reihen der Sozialdemokraten. Spitzenleute der SPD wollen die mühsam erzielten Ergebnisse der Sondierung nachverhandeln. Und die Parteijugend macht massiv Stimmung gegen die Fortsetzung des Bündnisses mit CDU und CSU. Ob SPD-Chef Martin Schulz die Zustimmung seiner Genossen für die Aufnahme von konkreten Koalitionsverhandlungen bekommt, ist ungewiss. Die potenziellen Partner sind irritiert. Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt spricht von einem „Zwergenaufstand“ in der SPD.
Wie zerrissen die Sozialdemokraten sind, zeigt sich am Samstag auf ihrem Landesparteitag in Sachsen-Anhalt. Dort wirbt Sigmar Gabriel eindringlich für Gespräche mit der Union. Doch der Bundesaußenminister bekommt heftigen Gegenwind. Vor allem ein junger Mann namens Kevin Kühnert legt sich mit ihm an. Er ist seit kurzem Chef der Parteijugend und will in dieser Woche auf eine „NoGroKo-Tour“ durch die Republik gehen, um eine Mehrheit gegen ein schwarz-rotes Bündnis zu organisieren. In Sachsen-Anhalt feiert er einen ersten Erfolg: Die Delegierten lassen sich nicht von Ex-Parteichef Gabriel überzeugen und sprechen sich mit einer Stimme Mehrheit gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition aus. Auch andere Landesverbände sind skeptisch. Am Montag und Dienstag will Schulz die Genossen in Nordrhein-Westfalen „bearbeiten“ (alle Entwicklungen hier).
Umfrage: Mehrheit der Deutschen sieht Union als Sondierungs-Gewinner
Viele SPD-Leute haben das Gefühl, in den Sondierungen zu wenig herausgeholt zu haben. Tatsächlich tauchen sozialdemokratische Herzensanliegen wie die Bürgerversicherung nicht im gemeinsamen Abschlusspapier auf. Und auch die Mehrheit der Deutschen sieht die Union laut Umfragen als Gewinner der Sondierung. Immerhin in einem Punkt hat sich die SPD durchgesetzt – und zwar in letzter Minute: Asylbewerber sollen nun doch nicht so lange in neuen Aufnahmezentren ausharren müssen, bis entschieden ist, ob sie dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen. Ob Schulz dieser Teilerfolg reicht, um die eigenen Leute zu überzeugen? Am Sonntag stimmt der Parteitag in Bonn darüber ab, ob überhaupt offizielle Koalitionsverhandlungen stattfinden. Und selbst bei einem Ja ist die Sache noch nicht gelaufen. Denn am Ende braucht auch ein eventueller Koalitionsvertrag die Zustimmung der Basis: Die Genossen haben per Urwahl das letzte Wort.
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