Es hat Indizien gegeben, Hinweise, Spuren. Stephan B., der Attentäter von Halle? Ein Antisemit, der sich im Internet radikalisiert und seine Tat dort auch angekündigt hat. Anis Amri, der zwölffache Mörder von Berlin? Ein Islamist, der in Gegenwart eines V-Mannes über seine Anschlagspläne plauderte. Stefan E., der mutmaßliche Todesschütze im Fall des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke? Ein Neonazi mit einschlägiger Vergangenheit. Keiner der drei ist über Nacht zum Attentäter geworden – keinen der drei aber hatten die deutschen Sicherheitsbehörden vor ihren Anschlägen noch auf dem Schirm.
Dafür gibt es Erklärungen, Entschuldigungen, Argumente. Kein Staat der Welt, auch der repressivste nicht, kann seine Bürger rund um die Uhr vor allem und jedem schützen. Trotzdem zeigt jeder der drei Fälle auf seine Weise die Schwachstellen der deutschen Sicherheitsarchitektur auf. Mal fehlt es wie im Fall Stephan B. an Personal und technischer Expertise, um im Internet die potenziellen Gewalttäter aus einem fanatischen Mob herauszufiltern. Mal scheitern Ermittlungen wie im Fall Amri an Versäumnissen und Fehleinschätzungen der beteiligten Behörden. Mal erlahmt das Interesse der Dienste an einem möglichen Täter wie im Fall Stefan E. zu schnell. Nur weil er nach außen eine bürgerliche Existenz aufgebaut hat, muss er ja nicht zwangsläufig bürgerlich geworden sein.
Dutzende von IS-Kämpfern kehren noch nach Deutschland zurück
Unter dem Eindruck der Ereignisse von Halle rüstet Innenminister Horst Seehofer die zuständigen Behörden nun vor allem für den Kampf gegen den Rechtsextremismus mit viel Geld und hunderten von neuen Planstellen auf. Ein Blick auf die nackten Zahlen allerdings zeigt, dass es damit kaum getan sein dürfte. Im rechtsextremen Milieu zählen Kriminalämter und Nachrichtendienste knapp 50 Menschen zu den sogenannten Gefährdern, also den potenziellen Terroristen. In der islamistischen Szene trauen sie knapp 700 Fanatikern schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zu. Und in Syrien sitzen noch Dutzende von IS-Kämpfern mit deutschem Pass, die über kurz oder lang zurückkehren werden.
Das eine zu tun, ein wachsames Auge auf den Rechtsextremismus zu werfen, ohne das andere zu lassen, nämlich den islamistischen Extremismus nicht aus den Augen zu verlieren: Das ist keine Aufgabe für Jahre, sondern vermutlich eine für Jahrzehnte. Eine Aufgabe, der die Sicherheitsbehörden in ihrer gegenwärtigen Organisation allerdings kaum gewachsen sein dürften. Zu groß sind die schwarzen Löcher noch, in denen wichtige Informationen versickern, zu groß auch die Animositäten und Eifersüchteleien zwischen den einzelnen Behörden. So sicher, wie es nach außen scheinen soll, ist Deutschland nicht.
Braucht Bremen einen eigenen Verfassungsschutz?
Schon die Aufarbeitung des NSU-Skandales hat gezeigt, dass vor allem die Landesämter für Verfassungsschutz mehr nebeneinander als miteinander arbeiten. Im Fall Amri gab es ein ähnliches Kompetenzgerangel zwischen dem Bundeskriminalamt und zwei Landeskriminalämtern. Zu viele Köche aber verderben auch in der Sicherheitspolitik nur allzu häufig den Brei. Brauchen kleine Bundesländer wie Bremen, Hamburg oder das Saarland tatsächlich einen eigenen Verfassungsschutz? Macht es vielleicht sogar Sinn, auch die 16 Landeskriminalämter zu vier oder fünf größeren Einheiten zusammenschließen?
Der Föderalismus ist ein hohes Gut, aber er ist kein Selbstzweck. Wo föderale Strukturen mehr schaden als nutzen, und das tun sie im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus, muss die Politik diese Strukturen auch hinterfragen. Nichts gegen Horst Seehofers neue Planstellen. Aber mit ihnen alleine wird er den Kampf gegen den Terror nicht gewinnen.
Lesen Sie dazu auch: Behördenfehler: Hätte Anis Amri gestoppt werden können?
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.