Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl gibt SPD-Parteichef Sigmar Gabriel die Parole aus: Noch ist alles drin! Ein Gespräch über den holprigen SPD-Wahlkampf und die Zeit nach dem 22. September.
Geben Sie die Wahl schon verloren?
Gabriel: Die Umfragen für die SPD steigen doch. Gerade bei einer hohen Wahlbeteiligung ist wirklich noch alles drin für uns. Der Wahlkampf läuft gerade gut für die SPD.
Aber ist die SPD nicht zu spät in die Gänge gekommen?
Gabriel: Ganz sicher nicht, denn es macht keinen Sinn, Wahlkampagnen zu starten, wenn die Menschen gerade im Urlaub sind. Die Menschen interessieren sich erst wenige Wochen vor der Wahl wirklich intensiv für Politik. Und deshalb ist im Moment einiges ins Rutschen gekommen, und zwar für Angela Merkel.
Im Juni kritisierte Sie Ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück scharf: Sie sollten sich „loyal“ hinter ihn stellen.
Gabriel: Schauen Sie, jetzt müssen Sie schon drei Monate zurückgreifen, um ein Beispiel zu finden, wo Peer Steinbrück und ich mal unterschiedlicher Auffassung waren. Bei CDU und CSU geschieht das jeden Tag. Denken Sie nur an Seehofers Autosteuer oder daran, dass die Uneinigkeit zwischen Union und FDP die Mietpreisbremse verhindert hat, die so dringend nötig wäre.
Steinbrück passe nicht zum SPD-Wahlprogramm, er müsse sich verbiegen, lautet eine verbreitete Kritik.
Gabriel: Peer Steinbrück hat dieses Wahlprogramm doch maßgeblich selbst geschrieben: Mindestlohn, gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer, Zurückdrängen der ausufernden Leih- und Zeitarbeit, bessere Entlohnung von Erzieherinnen und Pflegekräften...
Passt die Linke zur SPD? Rot-rot-grün könnte eine Mehrheit erreichen.
Gabriel: Mit dieser Linkspartei kann man Deutschland nicht regieren. Sie hat einen pragmatischen Teil im Osten und einen Teil im Westen, der aus Sektierern besteht. Diese beiden Teile hassen sich – und das sind jetzt nicht meine Worte, das sagt Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Erst wenn sich die Linkspartei entschieden hat, welche Partei sie sein will, weiß man, ob sie als Koalitionspartner auf Bundesebene taugt.
Das heißt?
Gabriel: Dass die SPD keine Koalition mit der Linkspartei auf Bundesebene macht.
Halten Sie denn ein schwarz-grünes Regierungsbündnis für wahrscheinlich?
Gabriel: Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Grünen das nicht wollen.
Warum ist das Thema Mindestlohn eigentlich kein Renner im SPD-Wahlkampf geworden?
Gabriel: Meine Erfahrung ist eine ganz andere. Der Mindestlohn ist wichtig, aber er ist zu wenig, um dem Anspruch gerecht zu werden, dass man für gute Arbeit in Deutschland wieder guten Lohn bekommt. Wir müssen auch über Altersarmut sprechen, über richtige Tariflöhne, über Leih- und Zeitarbeit. Junge Leute finden nach ihrer Ausbildung oder ihrem Studium immer seltener einen unbefristeten Arbeitsplatz. Da darf man sich nicht wundern, wenn die in unsicheren Lebensverhältnissen keine Familien gründen und Kinder bekommen.
Ist Syrien ein Wahlkampfthema?
Gabriel: Es gibt einen Totalausfall der deutschen Außenpolitik. Merkel reist vom G-20-Treffen ab, bevor die Beratungen abgeschlossen sind. Und Außenminister Guido Westerwelle hat noch vor eineinhalb Wochen erklärt, er sehe keinen Handlungsspielraum mehr für Diplomatie.
Sie lehnen einen Militärschlag ab.
Gabriel: Ja, weil man sich schlicht und einfach eine Frage stellen muss: Was hilft ein Militärschlag? Was ist am Tag danach? Am Tag danach geht das Morden weiter. Ein Militärschlag dient nicht dazu, den Krieg in Syrien zu beenden. Ich glaube, dass der G-20-Gipfel der Tiefpunkt der internationalen Politik war. Wenn Eiszeit zwischen den USA und Russland herrscht, müssen die Deutschen ihre traditionelle Vermittlerrolle einnehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das nicht getan.
Die Lage hat sich inzwischen geändert.
Gabriel: Es ist gut, dass jetzt Bewegung drin ist. Und exakt das, was jetzt verhandelt wird, hat Peer Steinbrück vor etwa einer Woche vorgeschlagen. Die SPD hat sich klar positioniert: Wir finden einen Militärschlag um des Militärschlags willen falsch. Die einzige Lösung ist, dass man mithilfe der Russen zu einem Waffenstillstand in Syrien und zu einer Kontrolle des Chemiewaffenarsenals des Assad-Regimes kommt. Man muss die Russen an ihre Verantwortung erinnern.
Sollte Deutschland mehr als nur 5000 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen?
Gabriel: In Deutschland leben viele aus Syrien stammende Menschen – bestens integriert, zum Teil mit deutscher Staatsbürgerschaft. Ich glaube, dass man für deren Familienangehörige eine unbürokratische Lösung finden muss. Vor allem muss die Bundesregierung den Staaten in der Region, die syrische Flüchtlinge aufnehmen, mehr Hilfe anbieten.
Wäre das Amt des Außenministers etwas für Sie?
Gabriel: Wenn man den Kanzler stellt, bekommt man nicht das Außenministeramt. So einfach ist das.
Interview: Daniel Wirsching