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Sie entschärfen Blindgänger: Der lebensgefährliche Job der bayerischen Sprengmeister

Sie entschärfen Blindgänger

Der lebensgefährliche Job der bayerischen Sprengmeister

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    Jeden Tag wird irgendwo in Bayern eine Bombe aus dem Krieg gefunden. Dann rücken Experten wie  Sprengmeister Josef Beier an.
    Jeden Tag wird irgendwo in Bayern eine Bombe aus dem Krieg gefunden. Dann rücken Experten wie Sprengmeister Josef Beier an.

    Die Reste des Krieges sind überall. In Städten und Dörfern, in Parks, Äckern, Feldern und Flüssen. Sie haben sich in den Boden gebohrt, meist mehrere Meter tief. „Und dann…“, sagt Josef Beier. Mehr sagt er nicht. Er ist kein Mann großer Worte – und das, obwohl seine Berufsbezeichnung so gewaltig klingt: Sprengmeister. Was, irgendwann, „dann“ passiert, im besten Fall, wurde kürzlich in Koblenz sichtbar. Dort war der Wasserpegel des Rheins gesunken und hatte eine britische Fliegerbombe freigelegt. Ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg, 1,8 Tonnen schwer. Josef Beier streckt die Arme aus, so als ob er ein Pferd umarmen wollte. „So breit“, sagt er, und macht eine Geste über seinem Kopf, „und so hoch.“

    Ein Monster. Abgeworfen mit dem Ziel, zu töten und zu zerstören. Aufgeprallt und liegen geblieben. Vielleicht schief gelandet, also so, dass nicht genug Druck auf den Zünder entstand. Vielleicht blieb die Explosion auch wegen eines Materialfehlers aus. Vielleicht, weil ein Rädchen, ein Draht, ein winziges Stück Metall klemmte. Vielleicht aus Glück. Mehr als sechs Jahrzehnte später ist das kaum noch zu sagen.

    Auch Josef Beier und seine Kollegen können darüber nur spekulieren. „Es ist auch egal“, sagt der Sprengmeister. Wichtig ist nur, dass die Explosion auch weiterhin ausbleibt. Dass es auch weiterhin keine Zerstörung gibt. Und keine Toten.

    Wie in Koblenz. Dort evakuierten die Behörden die halbe Stadt. Krankenhäuser, Altenheime und sogar ein Gefängnis mussten geräumt werden, bevor die Sprengmeister den Zünder aus der riesigen Bombe entfernten. Und dann ging alles gut.

    Dass, irgendwo in Deutschland, schon bald wieder solch ein Monster entdeckt wird, kann niemand ausschließen. Denn, wie viele Reste der Krieg insgesamt hinterlassen hat, ist schwer zu sagen. 1,3 Millionen Tonnen Bomben wurden Schätzungen zufolge im Zweiten Weltkrieg über

    Keine Angst, aber Respekt

    Allein der bayerische Kampfmittelbeseitigungsdienst entschärft jedes Jahr mehr als 50 Tonnen Weltkriegsmunition. Etwa 800 Mal werden die neun Sprengmeister im Freistaat dafür zu Einsätzen gerufen: weil beim Bau eines Kellers, einer Straße oder eines Gartenteichs ein Blindgänger gefunden wurde.

    Wenn sie sich auf den Weg machen, wissen die Männer nicht, was sie vor Ort erwartet. Mehr als 30000 verschiedene Arten von Kampfmitteln liegen in deutschem Boden. Die Modelle sind unterschiedlich konstruiert – „alles, was sich ein krankes Hirn ausdenken kann“, sagt Sternheim.

    Wichtig für die Sprengmeister ist vor allem, wie der Zünder beschaffen ist. Nur durch einen Blick auf das Gehäuse müssen sie abschätzen können, wie dessen Inneres aufgebaut ist – und wie er sicher entfernt werden kann. „Das muss man sehen“, sagt Josef Beier. Ist das zylinderförmige Metallteil relativ kurz, könnte es sich um einen Aufschlagzünder handeln. Ist es etwas länger, besteht die Möglichkeit, dass dies ein noch gefährlicherer Langzeitzünder ist – womöglich mit Ausbausperre. Auch Einkerbungen im Metall können Hinweise auf die Beschaffenheit des Zünders geben. Sicher ist aber nichts.

    Und dann? Je nachdem, wie viel Schaden ein Blindgänger anrichten könnte, setzt der Sprengmeister den Durchmesser der Sperrzone fest. Das können ein paar hundert Meter sein, ein Kilometer oder mehr. Bevor irgendjemand sich der Bombe noch einmal nähert, müssen die Behörden dieses Gebiet evakuieren.

    Manche Sprengmeister rufen vor und nach solchen Einsätzen ihre Ehefrauen an. Josef Beier schüttelt den Kopf. „Da würd’ ich ja nicht fertig.“ Seit dreißig Jahren arbeitet der 59-Jährige für den Kampfmittelbeseitigungsdienst. Er hatte eine Lehre zum Mechaniker gemacht, als er von Bekannten erfuhr, dass ein Sprengmeister gesucht wurde. „Die wollten jemanden mit technischem Verständnis und haben ganz gut gezahlt.“ Und dann hat er eben gewechselt und noch einmal eine Ausbildung gemacht.

    Angst, sagt der Sprengmeister, habe er vor den Bomben noch nie gehabt. „Aber Respekt“. Denn die Blindgänger sind, trotz aller Vorsicht und Erfahrung, immer unberechenbar. Nur eineinhalb Jahre ist es her, dass eine Bombe in Göttingen drei erfahrene Sprengmeister in den Tod riss. 65 Jahre später als geplant löste der Langzeitzünder einer amerikanischen Fliegerbombe die Explosion aus, bevor die Männer überhaupt mit der Entschärfung beginnen konnten. Sie hatten keine Chance.

    „Einer muss immer ganz nah ran“, sagt Josef Beier. Um zu sehen, abzuschätzen – und, sobald die Sicherheitszone evakuiert ist, den Roboter anzubringen, der dann den Zünder aus der Bombe holt. Je nach Art des Zünders funktioniert das durch Drehung, durch Schneiden oder durch eine eigene kleine Sprengung. Josef Beier trägt keinerlei Sicherheitskleidung, wenn er den Roboter an einer Bombe festschraubt. Käme es zur Detonation, könnte ihn keine Kleidung der Welt schützen. „Da hört man nicht mal mehr den Knall“, sagt er.

    Während der Entschärfung selbst gehen auch die Sprengmeister auf Abstand – verstecken sich, teils hundert Meter entfernt, hinter Wällen oder in eigens ausgehobenen Erdlöchern. Mit einer Art Fernbedienung und über eine Videokamera überwachen sie, wie der „Fernentschärfer“ seine Arbeit tut. Erst, wenn der Zünder weg ist, wird Entwarnung gegeben.

    Aufgestapelt wie Holzscheite

    Dann laden die Männer vom Kampfmittelbeseitigungsdienst die entschärfte Bombe in einen speziell umgebauten Lieferwagen und fahren sie in ihr Lager. Drei solcher Zentralen gibt es in Bayern, eine bei Nürnberg, eine bei München und eine im Raum Ingolstadt. Nur mit Zustimmung des Innenministeriums dürfen diese gesicherten und überwachten Räume betreten werden. Wo sie genau liegen, wollen die Sprengmeister aus Sicherheitsgründen nicht in der Zeitung lesen.

    Hinter Erdwällen, einem hohen Zaun und dicken Mauern lagern mehr als vier Tonnen Sprengstoff. Die Sprengmeister haben die Blindgänger nach Größe und Art sortiert und wie Holzscheite aufgestapelt. Die einzelnen Exemplare sind zwischen zwei und 500 Kilo schwer. „Umfallen“, sagt Josef Beier und schaut auf die Pyramide aus Blindgängern neben sich, „sollten die Stapel nicht.“ Denn ein einziger Funke könnte, im schlimmsten Fall, eine Kettenreaktion auslösen, die das ganze Lager in Schutt und Asche legt. „Menschen in der Umgebung wären aber nicht betroffen“, sagt der Leiter des Zentrums, Andreas Heil – „die nächste Ortschaft ist weit genug entfernt.“

    Wenn sie gerade nicht irgendwo im Freistaat unterwegs sind, haben die Sprengmeister Zeit, die Bomben im Lager zu zerlegen – und damit komplett unschädlich zu machen. Auch das ist gefährlich und dauert. In einem abgeschirmten Raum werden die Blindgänger in eine spezielle Säge eingespannt. Auch dafür sind Augenmaß, Erfahrung und Glück nötig: Bei jedem Exemplar muss individuell entschieden werden, wo genau die Säge ansetzen soll. Bevor sie ihre Arbeit beginnen, müssen sich auch die Sprengmeister wieder in Sicherheit bringen. Damit auf keinen Fall zu viel Wärme entsteht, bewegt sich die Säge extrem langsam durch Metall und Sprengstoff. Zeitgleich wird ein spezielles Kälte-Gemisch auf die Schnittstelle gesprüht.

    Sobald der Sprengstoff aus den Hüllen befreit ist, ist die größte Gefahr vorbei. Selbst wenn er Feuer fängt, entsteht kein Druck mehr – und statt einer Explosion folgt nur ein überdimensionales Lagerfeuer.

    Mit einer Schubkarre fahren Josef Beier und seine Männer ein paar Kilo TNT in den Hof des Lagers. Der Stoff war, als Füllung von Fliegerbomben, dafür bestimmt, Zerstörung und Tod zu bringen. Und dann, mehr als sechs Jahrzehnte später, haben die Sprengmeister die Bombe, in der er steckte, entschärft und zersägt. Jetzt laden sie die gefährlichen Brocken aus, legen sie in eine Grube und zünden sie an. Die Flammen schlagen meterhoch.

    Vielleicht hat vor 65 Jahren ein Draht geklemmt und so verhindert, dass der Sprengstoff explodierte. Ganz sicher hatten einige Menschen in irgendeiner Stadt, einem Dorf, einem Park, auf einem Acker oder Feld, wahnsinniges Glück. Josef Beier schaut in die Flammen und sagt nichts. Er ist kein Mann großer Worte.

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