Der Hamburger G20-Gipfel lag Anfang Juni noch fast vier Wochen entfernt, da nahmen deutsche und europäische Grenzschützer schon ihre Arbeit auf. Mehr als 800 Personen wurden an den Übergängen zurückgewiesen, 110 weitere Verdächtige schoben die Behörden ab, obwohl sie bereits in die Bundesrepublik eingereist waren. 61 Männer und Frauen stoppten die Beamten, weil sie Vermummungs- oder Schutzausrüstung bei sich hatten und nach Hamburg wollten.
Von Wehrlosigkeit oder Untätigkeit der Sicherheitsbehörden kann also keine Rede sein. Trotzdem fordern deutsche Politiker eine europaweite Datei mit Informationen über „extremistische Gewalttäter“ – oder „Gefährder“, wie es im Vokabular der Brüsseler Behörden heißt. „Das macht durchaus Sinn“, sagt auch Axel Voss (CDU), sicherheitspolitischer Experte der Christdemokraten im EU-Parlament, unserer Zeitung. „Extremisten agieren europaweit, darüber müssen die Behörden Bescheid wissen.“
Europol ist kein europäisches FBI
Tatsächlich fehlt im immer dichter werdenden Netz der vorhandenen Kontrollmechanismen ein solches Instrument. Die europäische Polizeizentrale Europol in Den Haag greift zwar als Schaltstelle der nationalen Fahnder auf deren Daten zu und kann sie weitergeben, doch die Zentrale ist kein europäisches FBI. Operative Befugnisse hat Europol nicht. Am ehesten könnten Ermittler noch in der Straftäter-Datei Ecris fündig werden, die allen 28 Mitgliedstaaten zur Verfügung steht. Allerdings fehlt in dieser Info-Sammlung bisher das Kriterium, ob ein Verdächtiger aus politischen oder religiösen Gründen zu Gewalttaten neigt. Auch das sogenannte Schengen-Informationssystem, auf das die Grenzschützer zugreifen könnten, hält zwar vielfältige Angaben über Einreisende, Straftaten und Auffälligkeiten vor, kann aber nicht nach politischem Extremismus filtern. Etias, mit dem künftig Ein- und Ausreisen aus Drittstaaten erfasst werden sollen, ist noch nicht einsatzbereit. Weitere Datensammlungen wie die Fingerabdruckdatei der Union oder die Fluggast-Datenspeicherung (PNR) sind zwar inzwischen installiert oder stehen kurz vor ihrem Start. Für die Suche nach politischen Gewalttätern eignen sie sich aber nicht. Mehr noch: Eigentlich, so sagen Fahndungsexperten, sind alle bisherigen Register ungeeignet.
Zum einen dürfen gespeicherte Angaben nicht miteinander abgeglichen werden, weil der Datenschutz dem bisher entgegensteht. Zum anderen füttern die Mitgliedstaaten die Sicherheitscomputer höchst unterschiedlich mit Informationen. Das habe, so ist zu hören, nur zum Teil mit Nachlässigkeit zu tun. Schließlich gehe es immer auch um die Frage, ob vorliegende Daten, die beispielsweise von Nachrichtendiensten aus dem russischen oder türkischen Einflussbereich kommen, verlässlich oder politisch gefärbt seien. Zum anderen arbeiten die Geheimdienste und Verfassungsschutzbehörden der Mitgliedstaaten nur sehr unvollkommen zusammen. Voss: „Die Dienste halten nur nationale, nicht aber europäische Daten vor.“ Ob diese ausgetauscht oder weitergegeben werden, werde von Fall zu Fall entschieden.
Allein die Definition eines Gefährders ist strittig
Braucht die EU also doch eine europäische Datei für politische Gefährder? Ja, sagen Europas Innenpolitiker und Polizeiexperten. Allerdings ist der Weg dahin lang. Bisher gibt es in der Gemeinschaft nicht einmal eine für alle geltende Definition dessen, was denn eigentlich ein Gefährder ist. Muss ein Täter dazu eine Straftat begangen haben? Oder reicht auch schon ein Vergehen gegen die öffentliche Ordnung? Europa scheint einigermaßen ratlos.