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Sedisvakanz: Vatikan-Kenner: „Viele haben Angst vor den Leichen im Keller“

Sedisvakanz

Vatikan-Kenner: „Viele haben Angst vor den Leichen im Keller“

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    Wie geht es weiter in Rom nach der Ära Benedikt? In keinem anderen Staat wird so undurchsichtig um Macht gerungen wie im Vatikan.
    Wie geht es weiter in Rom nach der Ära Benedikt? In keinem anderen Staat wird so undurchsichtig um Macht gerungen wie im Vatikan. Foto: dpa

    Der Rückzug von Benedikt XVI. ist Experten zufolge auch von Intrigen der Römischen Kurie, der Regierung der kleinsten Supermacht der Welt, beeinflusst worden. Der Journalist und gefragte Vatikan-Kenner Marco Politi nimmt Stellung zu den Machtstrukturen im Zwergstaat, moralische Klippen, gipfelnd in der Frage: Wer wäre der richtige Papst für die katholische Kirche und ihre rund 1,2 Milliarden Gläubigen?

    Herr Politi, sind Sie schon einmal in die dunklen Keller des Vatikans hinabgestiegen?

    Marco Politi: Nein, die Keller kenne ich nicht (er lacht).

    Aber es ranken sich doch eine Menge finsterer Mythen um den Vatikan. Sie wissen wie nur wenige andere um die Geheimnisse des Kirchenstaates. Wie würden Sie ihn beschreiben?

    Politi: Er ist eines der letzten sagenumwobenen Machtzentren der Welt. Entscheidungen werden hinter hohen Mauern getroffen. Wie das geschieht, ist für Außenstehende nicht nachzuvollziehen. Im Vatikan fehlt Transparenz völlig. Hier kann ein Journalist nicht einfach spazieren gehen und mit den Leuten reden.

    Glauben Sie, dass Papst Benedikt von den Skandalen in der Kirche aus dem Amt getrieben wurde?

    Politi: Sicherlich auch. Der Druck der Dinge aufgrund der Vatileaks-Affäre hat seine Entscheidung beschleunigt und gefestigt. Ratzinger musste einsehen, dass ihm das Ruder langsam entglitt. Er spürte, dass er nicht mehr die Kraft hatte, um drängende Probleme wie die Korruption im Vatikan, die Zersplitterung der Kurie, den Unmut über Staatssekretär Bertone oder die undurchsichtigen Geschäfte der Vatikanbank zu lösen.

    Sein Pontifikat stand unter keinem guten Stern.

    Politi: Ja, so ist es. Die Konflikte mit dem Islam, die Missbrauchsskandale, der höchst umstrittene Versuch der Wiedereingliederung der ultrakonservativen Piusbrüder – letztlich mangelte es ihm an Führungsqualität. Er ist ein Intellektueller, ein großer Theologe, eine Persönlichkeit als Geistlicher, aber ihm fehlte das Fingerspitzengefühl fürs Regieren. Das hat er eingesehen. Und das ist seine eigentliche Leistung.

    Und gleichzeitig die einzige Reform.

    Politi: Ja, es war eine Geste, die in die Zukunft weist. Ratzinger hat den Heiligen Stuhl entmystifiziert. Er hinterlässt das Papsttum als eine Mission auf Zeit.

    Welche Rolle spielt im Machtzirkel Vatikan die Römische Kurie?

    Politi: Eine große. Sie ist aber kein kompakter Organismus. In der Kurie geht es nicht zu wie in einem weltlichen Kabinett, wo sich die Minister mehrmals die Woche sehen. Die Kurie tritt zwei- bis dreimal pro Jahr zusammen. Und nur wenige haben Zugang zum Papst.

    Stichwort Sedisvakanz

    Mit dem Ende des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. beginnt am 28. Februar um 20 Uhr die Zeit der Sedisvakanz.

    Das ist die Zeit, in der das Amt des Papstes nicht besetzt ist - normalerweise vom Tod des Kirchenoberhaupts bis zur Wahl seines Nachfolgers.

    Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und heißt wörtlich übersetzt «leerer Stuhl». Nach kirchlichem Verständnis sitzt der Papst auf dem Stuhle Petri.

    Der Glaubenslehre zufolge ist der Papst der Nachfolger des Apostels Petrus, den Jesus von Nazareth nach dem Matthäus-Evangelium als ersten Kirchenführer eingesetzt hatte.

    Während der Sedisvakanz leitet das Kardinalskollegium die Kirche. Seine Befugnisse sind aber auf Aufgaben und Entscheidungen beschränkt, die nicht aufgeschoben werden können.

    Von Päpsten erlassene Gesetze dürfen in dieser Zeit nicht korrigiert oder abgeändert werden. Die zwischenzeitliche Verwaltung der Kirche übernimmt der Kardinalkämmerer (Camerlengo) mit drei Kardinal-Assistenten.

    Das Kardinalskollegium bereitet vor allem die Wahl des neuen Papstes vor. Während der Sedisvakanz werden spezielle Münzen und Medaillen geprägt.

    Wer denn?

    Politi: Der Staatssekretär, der Präfekt der Glaubenskongregation  und  der  Chef der Bischofskongregation beispielsweise. Weil man sich nur selten trifft, arbeitet die Kurie nicht so effektiv wie eine moderne Regierung.

    Und dann gibt es innerhalb der Kurie verschiedene Seilschaften.

    Politi: Ja, die stärkste ist derzeit die von Staatssekretär Kardinal Tarcisio Bertone, der beim vorletzten Konsistorium 2011 vielen seiner Leute einflussreiche Posten verschafft hat. Bertone hat auch viele Italiener zu Kardinälen gemacht. Deswegen wird das Land im Konklave überrepräsentiert sein. 28 von 117 Kardinälen kommen aus

    Lässt man ihn gewähren?

    Politi: Na ja, es hat schon etwas zu bedeuten, dass der Kölner Kardinal Meisner gerade jetzt gesagt hat, er habe den Papst angefleht, Bertone zu entlassen.

    Wer sind die anderen Seilschaften?

    Politi: Da sind die konservativen Kardinäle, die Benedikt absolut treu waren, aber Bertone nicht mögen. Dann gibt es die alte Garde, Kardinäle aus der Zeit von Johannes Paul II. Dazu gehört der ehemalige Staatssekretär Angelo Sodano, der jetzt Dekan des Kardinalskollegiums ist, ebenso wie der ehemalige Chef der Bischofskongregation, Giovanni Battista Re. Es ist Zufall, dass gerade diese beiden eine große Rolle im Konklave spielen werden. Sodano wird die vorhergehenden Plenarsitzungen leiten. Dort wird über die Probleme der Kirche diskutiert, es werden Programmvorschläge erarbeitet, die letztendlich auch im Konklave zu den Papst-Kandidaten führen.

    Was bedeutet es, dass Sodano und Re so starken Einfluss haben?

    Politi: Sie sind wichtig, um einen erzkonservativen Staatsstreich zu stoppen und die Tür für Reformen offenzulassen. Denn Sodano gilt als Mann der Mitte und als hervorragender Diplomat. Es ist übrigens Sodano zu verdanken, dass Karl Lehmann Kardinal werden konnte. Eigentlich sollte der gar nicht ernannt werden. Ratzinger wollte das nicht.

    Das ist der Vatikan

    Der Vatikan (amtlich Vatikanstadt) ist eine Absolute Wahlmonarchie Der Papst ist als Bischof von Rom ex officio Staatsoberhaupt.

    Der Vatikan ist eine Enklave innerhalb des Stadtgebiets Roms. Seine Fläche beträgt 0,44 Quadratkilometer.

    Amtssprache ist Italienisch und Latein. Bei der Schweizergarde ist auch Deutsch offizielle Sprache.

    Die Flagge besteht aus zwei nebeneinander angeordneten Feldern – eines in Gelb, eines in Weiß. Das weiße Feld trägt die Päpstliche Tiara (Krone) und die gekreuzten Schlüssel.

    Nationalfeiertag ist der Jahrestag der Papstwahl, unter Benedikt XVI. der 19. April.

    Die Nationalhymne wurde von Charles Gounod komponiert. 1993 gab es dafür einen neuen lateinischen Text: „Glückliches Rom, edles Rom, du bist Sitz des Petrus, der in dieser Stadt sein Blut vergoss und dem die Schlüssel des Himmelreiches übergeben wurden.“

    Die Schweizergarde sorgt seit 1506 für die Sicherheit des Papstes und ist mit ihren 110 Mann die kleinste und zugleich älteste Armee der Welt. Zudem gibt es eine Vatikan-eigene Polizei, den Corpo della Gendarmeria.

    Der Vatikan verfügt über einen Bahnhof und einige hundert Meter Schienenstrecke, die aber fast ausschließlich für den Transport von Gütern genutzt wird. Zudem gibt es rund 50 Straßen sowie einen Hubschrauberlandeplatz.

    Die Vatikanstadt besitzt ein eigenes Münzrecht und gibt auch eigene Briefmarken heraus, die bei Sammlern sehr begehrt sind. Der Euro ist die offizielle Währung. Das Metallgeld wird beim italienischen Münzamt geprägt.

    Grundlage für die Entstehung des Staates „Vatikanstadt“. Sie wurden am 11. Februar 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und Italiens faschistischem Diktator Benito Mussolini unterzeichnet. Das Abkommen sichert die Eigenständigkeit der Vatikanstadt

    Glauben Sie wirklich, dass der kommende Papst die Kirche reformieren wird?

    Politi: In der Kurie gibt es bisher keine eindeutige Mehrheit für einen Reformkurs. Aber unter den Bischöfen dieser Welt hört man eine Menge Stimmen für eine Öffnung der Kirche hin zur modernen Gesellschaft. Dem wird man sich im Konklave trotz aller konservativen Beharrlichkeit stellen müssen. Es heißt ja etwas, wenn einer wie Kardinal Meisner völlig verblüffend ein Fenster öffnet und sagt: Die Pille ist in Ordnung.

    Was sind die wichtigsten Reformthemen?

    Politi: Zum einen der Priestermangel. Deswegen muss man die Zölibat-Frage neu stellen. Dann die Rolle der Frauen in der Kirche. Dazu der Themenkomplex Sexualität mit Fragen zur Scheidung über Befruchtungsmethoden bis hin zu homosexuellen Partnerschaften.

    Würde ein liberaler Papst von den Orthodoxen ausgebremst?

    Politi: Schwer zu sagen. Ein erster Schritt wäre ein Papst, der dem Kardinalskollegium und der Bischofssynode Freiheit lässt, heiße Themen zu debattieren.

    Welchen Einfluss haben so umstrittene Organisationen wie Opus Dei? Diesem konservativen Geheimbund, dessen Mitglieder in führenden politischen und wirtschaftlichen Positionen außerhalb des Vatikans sitzen, wird eine große Macht zugeschrieben.

    Politi: Opus Dei ist sicher mit im Spiel. Das war ja auch bei der Ratzinger-Wahl so. Dieses 85000 Kopf starke weltweite Netzwerk setzt sich immer für eine starke Herrschaft der Päpste ein. Das heißt aber nicht, dass man jede Reform a priori ablehnt. Die Frauen-Ordination würden Traditionalisten und Opus Dei nicht durchgehen lassen, die Kommunion für Wiederverheiratete vielleicht schon.

    Es gab in der Vergangenheit enge Kontakte zwischen der Mafia, dem Vatikan und der Vatikanbank. Was ist davon noch übrig?

    Politi: Der Vatikan hat in den letzten Jahren unter Druck versucht, sich von undurchsichtigen Machenschaften zu trennen. Die Vatikanbank hängt aber immer noch wie ein schwerer Klotz am Bein der Kirche. Ihre Geschäfte sind nach wie vor nicht transparent. Von früher ist noch die Marcinkus-Calvi-Affäre zu nennen. Es gibt auch ein Gerichtsurteil, in dem bestätigt wird, dass über Konten der Vatikanbank Mafiagelder gewaschen wurden und Schmiergelder geflossen sind. Ratzinger gelang es nicht, die Vatikanbank ordentlich kontrollieren zu lassen. Diesen Sumpf auszutrocknen wird eine wichtige Aufgabe des neuen Papstes. Aber es wird eine Menge Bremser geben, die Angst haben vor den Leichen im Keller der Bank, die dabei zutage gefördert werden könnten.

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