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Sebastian Kurz - Ermittlungen: Held, der nicht mehr strahlt

Ibiza-Affäre

Ermittlungen gegen Sebastian Kurz: Ein Held, der nicht mehr strahlt

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    Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ist ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten.
    Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ist ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Foto: Tobias Steinmaurer, Imago Images (Archiv)

    Die Tage, als Sebastian Kurz sich als strahlend-junge, erfolgsverwöhnte Zukunftshoffnung von Europas Konservativen präsentieren und sich dabei auch der Bewunderung der internationalen Presse sicher sein konnte, sind fürs Erste gezählt. Seit Monaten kommt die engste Entourage des österreichischen Bundeskanzlers nicht aus den Schlagzeilen. Es geht um pikante Chat-Nachrichten, Korruptionsermittlungen und Postengeschacher. Zutage gefördert hat all das der Ibiza-Untersuchungsausschuss, der die „mutmaßliche Käuflichkeit“ der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Bundesregierung untersucht. Nun steht auch der Kanzler selbst im Fokus der Justiz: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat Ermittlungen gegen ihn eingeleitet – wegen möglicher mehrfacher Falschaussage vor eben diesem Untersuchungsausschuss.

    Sebastian Kurz hat die ÖVP übernommen und zu seiner "Bewegung" gemacht

    Vom „neuen Stil“, den der 34-Jährige auf seine Wahlplakate drucken ließ, ist wenig übrig geblieben. Die von Kurz 2017 übernommene und zur „Bewegung“ umgeformte konservative ÖVP hatte noch versucht, die Justiz und vor allem die Korruptionsermittler als politisch motiviert darzustellen. Von „roten Netzwerken“ in der WKStA sprach der Kanzler selbst sinngemäß in einem seiner „Hintergrundgespräche“ mit Journalisten, nachdem sich immer mehr seiner aktiven und ehemaligen Mitstreiter als Beschuldigte in diversen Korruptionsermittlungsverfahren wiederfanden. Nun könnte sich Kurz selbst bald vor einem Richter verantworten müssen.

    Der Hintergrund: Bei seiner Einvernahme vor dem Untersuchungsausschuss hatte er in Abrede gestellt, persönlich mit der Bestellung seines Vertrauten Thomas Schmid zum hoch dotierten Alleinvorstand der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG befasst gewesen zu sein. Aus den vorliegenden Chat-Nachrichten zwischen Kabinettschef Bernhard Bonelli und Schmid allerdings schließen die Korruptionsermittler offenbar das Gegenteil. Bereits knapp zwei Monate vor dem eigentlich ausschlaggebenden Gespräch mit Schmid schickte Bonelli eine belastende SMS an den späteren Alleinvorstand: Mit der ÖBAG sei „alles auf Schiene und mit Sebastian und unserem Team abgestimmt“, heißt es darin.

    Gleich vier mächtige ÖVP-Männer könnten sich bald vor Gericht wiederfinden

    Damit werden nun bereits vier ÖVP-Männer aus dem innersten Machtzirkel in jeweils unterschiedlichen Ermittlungsverfahren als Beschuldigte geführt: Thomas Schmid, ehemals Generalsekretär im ÖVP-geführten Finanzministerium; der amtierende ÖVP-Finanzminister und Kurz-Intimus Gernot Blümel, der Kabinettschef Bernhard Bonelli – und der Bundeskanzler selbst. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Doch die Situation wird langsam brenzlig für den jungen Regierungschef, der nach dem Platzen seiner Koalition mit der rechten FPÖ im Zuge der Ibiza-Affäre 2019 die Macht vorübergehend verloren hatte, aus den Neuwahlen wenige Monate später aber als strahlender Sieger hervorgegangen war. Seit Januar 2020 regiert er in einer Koalition mit den wieder erstarkten österreichischen Grünen, denen er immer wieder demonstriert, wer in diesem Bündnis das Sagen hat. Doch nun könnte Kurz selbst in die Defensive geraten.

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    Auf 58 Seiten haben die Korruptionsermittler akribisch zusammengetragen, wieso sie ihn der Falschaussage beschuldigen. Auch deshalb erwarten zahlreiche Beobachter, dass die WKStA schon bald einen Strafantrag gegen den Bundeskanzler und seinen Berater Bonelli einbringen wird – tun kann die Behörde das alleine und jederzeit. Den beiden würden dann bis zu drei Jahre Haft drohen.

    Für die Opposition ist damit eine von Kurz selbst gesetzte Grenze klar überschritten, wie der Chef der größten Oppositionsfraktion im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss, der SPÖ-Abgeordnete Kai Jan Krainer, im Gespräch mit unserer Redaktion betont: „Die Grenze ist das Strafrecht – das hat der Kanzler selbst gesagt. Es ist undenkbar, dass jemand Regierungsmitglied bleibt, der von der Justiz beschuldigt wird“, sagt Krainer, der „fix mit einer Anklage“ gegen Kurz rechnet. Spätestens dann sei der Rücktritt des Kanzlers fällig, das sieht auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner so. Man versuche, „Falschaussage zu einem Kavaliersdelikt zu machen“, sagt Helmut Brandstätter, Ausschussmitglied für die liberalen Neos. Die FPÖ fordert Kurz auf, sofort zurückzutreten.

    Dass der Kanzler keine Sekunde an einen freiwilligen Abgang denkt, auch nicht im Falle einer Anklage, geht aus seinem kurzen Statement vor dem Ministerrat am Mittwochvormittag klar hervor: Ein Strafantrag gegen ihn hätte aus seiner Sicht „keine Konsequenzen“. Er selbst gehe davon aus, dass die WKStA den Strafantrag tatsächlich einbringen werde. „Ich habe spätestens dann vor dem Richter die Möglichkeit, auch meine Sicht der Dinge darzulegen“, sagte Kurz. Dem werde er auch „sehr gerne nachkommen“.

    Umgang der Kurz-Partei mit der Justiz zuletzt immer irritierender

    Der Umgang der Kurz-Partei sowohl mit der Justiz wie auch mit dem Parlament war in den vergangenen Wochen immer irritierender geworden: ÖVP-Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka, der trotz persönlicher Involvierung in den Untersuchungsgegenstand noch immer den Vorsitz im U-Ausschuss führt, hatte sich dafür ausgesprochen, dort die Wahrheitspflicht abzuschaffen. In Deutschland gelte eine solche in Untersuchungsausschüssen nicht, hatte er fälschlicherweise behauptet. Ein „Missverständnis“ sei das gewesen, hieß es später aus der ÖVP. Tourismus- und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger verglich den Untersuchungsausschuss gar mit dem Bauerntheater „Löwingerbühne“, und Kurz selbst sprach im ORF am Mittwochabend sinngemäß davon, dass man im Ausschuss versucht habe, ihn bewusst in Widersprüche zu verwickeln, um ihm dann einen Strick daraus zu drehen.

    Die ÖVP-Spitze habe in den vergangenen Wochen versucht, „es so darzustellen, als wären Ermittlungsverfahren der Justiz bestenfalls Gesprächseinladungen“, kommentiert Alois Birklbauer, Strafrechtsprofessor an der Uni Linz, dieses Verhalten. Diese Diskreditierung der Justiz habe „eine neue Qualität“.

    Kurz’ Koalitionspartner, die Grünen, verhalten sich bislang zurückhaltend. Man habe „vollstes Vertrauen in die Justiz“, hieß es am Mittwoch. Ob man bei einer Anklage gegen den Kanzler dessen Rücktritt fordern werde, wie dies die Grünen-Parteichefin Sigrid Maurer im Falle von Finanzminister Gernot Blümel angekündigt hatte, wollte man am Donnerstag nicht beantworten.

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