Im Kanzleramt arbeitet Helge Braun auf Augenhöhe mit Regierungschefin Angela Merkel. Wer vor dem Gebäude steht und nach links blickt, schaut in der siebten Ebene auf das Büro der Kanzlerin. Rechts ist das Büro des Kanzleramtschefs, in dem oft noch bis spät in die Nacht hinein Licht brennt. „Chef Bk“ zu sein, also Chef des Bundeskanzleramtes, ist einerseits einer der mächtigsten Posten, den die Bundespolitik zu vergeben hat. Er ist andererseits auch einer der aufreibendsten. Womöglich war also Schlafmangel die Ursache für Brauns Kritik an der Schuldenbremse, wie ein CDU-Präsidialer lästerte, nachdem der Vorstoß seines Parteifreundes am Dienstag für Erschütterungen in der Regierungskoalition sorgte. Es könnte aber auch mehr dahinter stecken.
Denn Braun muss gewusst haben, was er mit seinem Gastbeitrag für das Handelsblattanrichten würde. „Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“, schrieb der CDU-Politiker und sprach sich gar für eine Grundgesetzänderung aus. Seine Begründung ist schlüssig und wird von vielen Ökonomen unterstützt. Schuldenmachen ist nicht per se Teufelswerk – vor allem dann, wenn das Geld in Krisen wie der Corona-Pandemie für Investitionen genutzt wird.
Braun handelte noch aus anderem Grund. Den stämmigen Kanzleramtschef treibt die Sorge um, dass es wegen der Milliardenausgaben für den Corona-Kampf zwingend eine Sparrunde geben muss. Und die wird, das zeigen Braun die Erfahrungen aus allen Haushaltseinsparungen der Parlamentsgeschichte, zuerst zu Lasten der sozial Schwachen und der Kinder gehen. Dem Personenkreis also, der an den indirekten Folgen der Pandemie schon jetzt zu leiden hat. Weil ein CDU-Mann sich mit solchen Äußerungen aber zu nah ans rot-linke Lager bewegen würde, hört sich die Braun’sche Logik so an: Man müsse die Schuldenbremse länger lösen, wenn man trotz Corona-Krise die Sozialabgaben bis Ende 2023 stabilisieren und auf Steuererhöhungen verzichten wolle.
Die Schuldenbremse ist für die Union eine "heilige Kuh"
Die Schuldenbremse ist für die Union nun aber eine heilige Kuh. Sie ist seit 2009 im Grundgesetz verankert und sieht vor, dass der Bund nur maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung neue Schulden aufnehmen darf. Ausnahmen sind zeitlich begrenzt lediglich in Notsituationen erlaubt.
Es hagelte denn auch Kritik aus den eigenen Reihen, und der Widerstand war offenbar abgesprochen. Der Minister habe lediglich seine persönliche Meinung geäußert, ließen etwa der Chef der Unionsfraktion, Ralph Brinkhaus oder auch Carsten Linnemann übereinstimmend verlauten. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bekannte sich demonstrativ zur Schuldenbremse, CSU-Chef Markus Söder wies Brauns Vorschlag ebenfalls zurück. „Wir können die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie nicht auf Dauer mit höheren Schulden oder hohen Steuern lösen“, sagte der bayerische Ministerpräsident.
Unter diesem gewaltigen Druck knickte am Ende dann auch der Urheber der ganzen Aufregung ein. Er habe nicht die Schuldenregel in Frage gestellt, twitterte Braun. Sein Vorschlag ziele vielmehr darauf ab, wie man den Weg zur schwarzen Null nach der Pandemie gesetzlich verbindlicher vorzeichne.
Die SPD und die Gewerkschaften allerdings hatten sich da schon längst auf seine Seite geschlagen. Der SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz klatschte laut Beifall, sprach von einem „interessanten Gastbeitrag“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund argumentierte, die Schuldenbremse dürfe künftig nie wieder öffentliche Investitionen ausbremsen. Linke und Grüne sahen sich ohnehin bestätigt.
Ließ Helge Braun einen Testballon Richtung Kanzleramt steigen?
Möglicherweise wollte Braun genau diese Reaktionen provozieren. Der Gießener gilt als ehrgeizig. Er ist mit seinen 48 Jahren schon weit gekommen und wird sich die Frage stellen, was als nächstes ansteht. Der gelernte Arzt hat möglicherweise kühl seziert, dass Armin Laschet zwar neuer CDU-Vorsitzender ist, bis zur Kanzlerkandidatur aber noch ordentlich zulegen muss. Was auch für Markus Söder gilt, wenn der es denn überhaupt werden will. Auf Augenhöhe mit der Kanzlerin arbeitet Braun ohnehin schon, womöglich hat er nun ihr Büro auf der anderen Seite des Kanzleramtes ins Auge gefasst und schon mal einen Testballon steigen lassen.
Für die Unterstützer von Friedrich Merz, der beim Rennen um den CDU-Vorsitz gegen Laschet verloren hatte, ist der umstrittene Vorschlag allerdings ein weiteres Beispiel dafür, dass sich die Christdemokraten auf einem SPD-Kurs befinden. Braun hat da ordentlich Öl ins Feuer gegossen. Die Zeit der Profilierung für die Nach-Merkel-Ära jedenfalls ist angebrochen.
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