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SPD: Sigmar Gabriel hadert mit der SPD

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Sigmar Gabriel hadert mit der SPD

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    Sigmar Gabriel vor einer schier übermächtigen Skulptur von Willy Brandt. Die Talfahrt der Partei in den Umfragen hat zu einer wachsenden Kritik an seiner Person geführt.
    Sigmar Gabriel vor einer schier übermächtigen Skulptur von Willy Brandt. Die Talfahrt der Partei in den Umfragen hat zu einer wachsenden Kritik an seiner Person geführt. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Sigmar Gabriel macht sich nichts vor. Die SPD, die er gerade beschreibt, darf sich über Umfragewerte von 20 Prozent und weniger nicht wundern. Emotional ermüdet wirke diese Partei, klagt ihr Vorsitzender, wie eingesperrt im Hamsterrad der Sozialreparatur. Nur noch jeder dritte Deutsche hält die Sozialdemokraten für die politische Kraft, die am kompetentesten für soziale Gerechtigkeit eintritt – „ein Alarmsignal“, stöhnt Gabriel. Für eine Partei wie die

    Sigmar Gabriel hadert mit der sozialdemokratischen Art

    Es ist eine selbstkritische, eine nachdenkliche Rede, die Gabriel da zum Auftakt einer „Wertekonferenz“ im Willy-Brandt-Haus hält, moderat im Ton, aber schonungslos in ihrem Urteil. Das Thema hinter dem Thema allerdings, seine ganz persönliche Zukunft in eben jener SPD, streift er nur am Rande – und mit hintersinnigem Humor. Den Politologen Claus Leggewie, der vor ihm im Publikum sitzt, begrüßt er lächelnd als kritischen Begleiter der Partei, der sich aber trotzdem zu ihren Freunden zähle. Davon, schiebt Gabriel noch nach, „gibt es mehr, als man glaubt. Und die meisten sind auch noch Mitglied der SPD.“

    Für etwas zu sein und gleichzeitig dagegen: Mit dieser sehr sozialdemokratischen Art, die Dinge zu diskutieren, hadert der SPD-Chef schon lange. Die wilden Spekulationen vom Wochenende, er werde bald zurücktreten, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz den Parteivorsitz übernehmen und der Europapolitiker Martin Schulz die Kanzlerkandidatur, hat er am Sonntagabend zwar dementiert. Im Flurfunk der Genossen aber kursieren solche Szenarien schon länger.

    Bei der Kritik eines jungen Genossens platzt Gabriel der Kragen

    Bereits beim Parteitag im Dezember, bei dem ihm nur noch 74 Prozent der Delegierten das Vertrauen aussprachen, dachte der 56-Jährige nach Informationen unserer Zeitung daran, alles hinzuwerfen. Auch nach dem verpatzten Wahlsonntag im März, als die SPD in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt hinter der AfD landete, musste die halbe Parteispitze ihn beknien, damit er weitermacht – und seitdem ist der Frust des Vorsitzenden nicht geringer geworden. Im Gegenteil: Als ihm ein junger Genosse bei einer Veranstaltung der niedersächsischen SPD im April vorwirft, er genehmige zu viele Waffenexporte und ebne dem transatlantischen Handelsabkommen TTIP allzu bereitwillig den Weg, platzt Gabriel der Kragen. „Warum verschweigst du, was wir in der Koalition durchgesetzt haben“, kontert er, erinnert an die Mietpreisbremse, an den Mindestlohn und die Frauenquote und tobt: „Die SPD verleumdet ihre eigene Politik und wundert sich, dass sie keiner wählt.“

    Dass er die Kanzlerkandidatur im Lichte der mageren Umfragewerte als lästige Pflicht betrachtet und nicht als politische Chance, ist seitdem ebenfalls klar. „Wenn du wirklich glaubst, es liegt am Vorsitzenden, dann wähl halt einen neuen“, faucht Gabriel seinen jungen Kritiker in Braunschweig an. „Stell einen auf, kämpf dafür, dass er Kanzlerkandidat wird. Meine Frau freut sich darüber.“ So gekränkt, so aufgepumpt mit Emotionen haben selbst enge Vertraute ihren Sigmar schon lange nicht mehr erlebt. Einer von ihnen sagt heute: „Ich bin mir nicht sicher, ob er durchhält.“

    Sigmar Gabriel räumt Fehler ein

    Auch Focus-Herausgeber Helmut Markwort, der das jüngste Rücktrittsgerücht öffentlich gemacht hat, lässt auf seinen Informanten nichts kommen. Es könne jedoch sein, räumt er tags darauf ein, dass die Informationen sogar gezielt über ihn lanciert worden seien, um einen Machtwechsel in der SPD noch zu verhindern. Angesichts der trüben Erfolgsaussichten drängt sich kein Spitzensozi nach SPD-Vorsitz und Kanzlerkandidatur. Nach dieser Logik musste der Parteichef gezwungen werden, sich zu seinem Amt zu bekennen.

    Gabriel selbst nimmt seinen Kritikern an diesem Vormittag zumindest etwas Wind aus den Segeln. „Fehler zu machen, ist nicht so schlimm“, sagt er. „Sie nicht zuzugeben – das ist das Problem.“ Die Abgeltungssteuer von 25 Prozent auf Kapitalerträge, räumt er ein, sei so ein Fehler gewesen. Nach der Wahl 2017 will die Partei daher darauf drängen, dass die vom früheren Finanzminister Peer Steinbrück eingeführte Pauschalsteuer wieder abgeschafft wird und Kapitalerträge so besteuert werden wie Lohn und Gehalt – nämlich mit dem individuellen Steuersatz. Die Mehreinnahmen will Gabriel in die Bildung stecken.

    Nicht die Hochhäuser der Banken, betont er, seien die Kathedralen des 21. Jahrhunderts, sondern die Schulen. Da applaudiert ausnahmsweise sogar die Parteilinke.

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