Berlin Die Hauptperson schweigt. Vor einigen Wochen hat Thilo Sarrazin Fragen nach dem drohenden Parteiausschluss noch in seiner gewohnt schnoddrigen Art abgetan: „Ich bleibe SPD-Mitglied bis an mein Lebensende.“ Mittlerweile allerdings verkneift der 66-Jährige sich selbst solche Sätze – zumindest öffentlich. Vor dem Schiedsgericht seines Kreisverbandes will er sich heute dafür umso temperamentvoller verteidigen. Prominente Parteifreunde rechnen bereits damit, dass sich das Verfahren bis weit ins nächste Jahr hineinziehen wird.
Den Gefallen, freiwillig zu gehen, hat Sarrazin der SPD nicht getan und sich stattdessen eine graue Eminenz der deutschen Sozialdemokratie an die Seite geholt: Der frühere Finanzsenator und Bundesbanker wird vom ehemaligen Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi verteidigt. Auf der Gegenseite wird Generalsekretärin Andrea Nahles gemeinsam mit einem Bonner Anwalt die SPD vertreten, die ihrem Mitglied Sarrazin unter anderem vorwirft, den Islam zu diffamieren und Menschen vor allem nach ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit zu bewerten. „Wer unter dem Banner der Meinungsfreiheit ethnische Ressentiments wieder geschäftsfähig macht“, findet Parteichef Sigmar Gabriel, „der bereitet den Boden für die Hassprediger im eigenen Volk.“ Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ sei deshalb keine intellektuelle Bereicherung, sondern eine intellektuelle Entgleisung.
Zur heutigen Anhörung des umstrittenen Autors im Rathaus des Berliner Bezirks Wilmersdorf haben nur Mitglieder der SPD Zutritt, die anschließend allerdings ebenso wenig über den Verlauf erzählen dürfen wie Sarrazin selbst. „Das Verfahren ist vertraulich“, sagt der. „Und daran halte ich mich.“ Auf dem Tisch in Sitzungssaal 1141 liegen um 15 Uhr gleich drei Anträge auf Ausschluss: einer, den der Bundesvorstand der Partei gestellt hat, einer des Berliner Landesverbandes und einer von Sarrazins Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf.
Schon im März 2010 stand der Autor vor dem Parteirichter
Vor der Schiedskommission des Kreisverbandes, der als „Richterin“ die Personalberaterin Sybille Uken vorsitzt, wird zunächst Andrea Nahles die „Anklage“ vortragen. Das Schlusswort hat dann Sarrazin, für den es schon das zweite Ausschlussverfahren in nicht einmal zwei Jahren ist. Seine umstrittenen Äußerungen über junge Muslime, die in der Äußerung von den „kleinen Kopftuchmädchen“ gipfelten, hatten die Parteirichter im März vergangenen Jahres allerdings noch nicht für einen so eklatanten Verstoß gegen die Parteiordnung gehalten, dass die SPD Sarrazin dafür hätte ausschließen dürfen.
Diesmal wird es vermutlich deutlich länger dauern, bis eine endgültige Entscheidung fällt. Zwar muss das Schiedsgericht nach der Anhörung innerhalb von drei Wochen sein Urteil sprechen – nach dem gewaltigen Wirbel um Sarrazins Buch allerdings wird vermutlich keine der beiden Parteien den Spruch aus der ersten Instanz achselzuckend akzeptieren. Das heißt: Eine Revision vor dem Schiedsgericht der Landespartei und ein weiteres Verfahren vor dem Bundesschiedsgericht könnten noch folgen. Beides zusammen dürfte noch einmal ein Jahr dauern.
Auch Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit, Sarrazins ehemaliger Chef, hat kein Interesse an einem schnellen Abschluss: Er will im September wiedergewählt werden und das Thema möglichst aus dem Wahlkampf heraushalten.