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SPD: Rettet sie die Roten? Andrea Nahles wirbt in Augsburg für die GroKo

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Rettet sie die Roten? Andrea Nahles wirbt in Augsburg für die GroKo

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    Zaghafter Protest der Parteijugend: Andrea Nahles bei ihrem Auftritt in der Augsburger Kälberhalle.
    Zaghafter Protest der Parteijugend: Andrea Nahles bei ihrem Auftritt in der Augsburger Kälberhalle. Foto: Silvio Wyszengrad

    Es gibt ein Leben nach dem Infekt. Horst Seehofer musste am Aschermittwoch wegen einer Grippe passen, Martin Schulz hat es ebenfalls erwischt – und auch Andrea Nahles klingt, als habe sie gerade mit Eisenspänen gegurgelt. Die designierte SPD-Vorsitzende allerdings hat sich nicht in den Verhandlungen mit der Union angesteckt, als am Ende alle durcheinander husteten und keuchten, sondern zu Hause, im Straßenkarneval in der Eifel, in den sie wenig später mit ihrer Tochter Ella Maria zog. Einfach ein paar Tage ausspannen wie Schulz und Seehofer aber kann die 47-Jährige jetzt nicht. Wer, wenn nicht sie, die letzte Hoffnung einer tief gefallenen Partei, soll die Mitglieder von einer Neuauflage der Großen Koalition überzeugen? Notfalls eben mit krächzender Stimme.

    „Wir zeigen, wie innerparteiliche Demokratie funktioniert.“ Andrea Nahles sitzt in einem lieblos eingerichteten Nebenraum eines Augsburger Wirtshauses, den roten Mantel eng um sich geschlungen, den bunten Schal fest um ihren Hals gewickelt, erschöpft von der Rede, die sie gerade gehalten hat, aber nicht unzufrieden mit sich und der sozialdemokratischen Welt. „Mein Gefühl ist besser als nach der Sondierung“, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. „Die Leute sehen, dass wir ordentlich was rausgeholt haben – es lohnt sich, darüber zu sprechen.“ Dass ihre Partei in einer Umfrage soeben auf ein neues Rekordtief von 16 Prozent abgestürzt ist, nur noch einen demoskopischen Wimpernschlag vor der verhassten AfD, hat sie eher beiläufig registriert. Für

    An ihrem Einsatz jedenfalls kann es kaum liegen, dass die SPD nicht von der Stelle kommt. Obwohl erkennbar geschwächt, nimmt sie ihre gut 400 Genossen in Augsburg mit auf einen kurzen, dafür aber umso flotteren Ritt durch den Koalitionsvertrag, auch wenn ihr dabei immer wieder mal die Stimme wegbricht. 400.000 Arbeitsverträge, die nicht mehr befristet werden dürfen, 1,5 Millionen neue Sozialwohnungen, eine Art Mindestrente und ein Rückkehrrecht von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle, von dem vor allem junge Mütter profitierten: Ja, räumt sie ein, die SPD habe eine schwierige Kehrtwende hinter sich, nachdem sie erst gegen ein neues Bündnis mit der Union war und dann doch dafür. Aber könne eine Partei sich in der Opposition wirklich besser erneuern als in der Regierung, wie es ein paar Jungsozialisten fordern, die sich schräg vor ihr in T-Shirts mit dem Slogan „No GroKo“ aufgebaut haben? Eingebrockt, das nur nebenbei, haben der SPD das Ganze nach ihrer Logik ja nicht Schulz, Sigmar Gabriel oder gar sie selbst. „Das haben die Jamaika-Versager zu verantworten.“

    Andrea Nahles polarisiert - aus mehreren Gründen

    Andrea Nahles ist eine Frau, die polarisiert – nicht nur wegen ihrer gelegentlich etwas derben Ausdrucksweise, bei der sie der Konkurrenz schon mal eines „in die Fresse“ gibt oder ihr ein höhnisches „Bätschie“ hinterherschreit. Sie kann Journalisten mit ihrer energischen Art auf die Nerven gehen, sie kann Entscheidungen durch schiere Beharrlichkeit erzwingen und Parteitage mit ihrem Temperament schwindlig reden. Was sie nicht kann, sind halbe Sachen. „Ich bin eine, die alles gibt“, sagt sie – und hält für einen Moment inne. „Helft mir dabei!“ Bis zur körperlichen Verausgabung habe die Delegation der SPD mit der Union gestritten und verhandelt. Politik aber wird aus diesem Vertrag nur, wenn die Mitglieder der SPD ihm zustimmen.

    Anders als Schulz, der sich gerne in weitschweifigen Wort- und Satzgebilden verliert, wird es bei ihr sehr schnell sehr konkret. Wie wichtig Fortschritte bei der Pflege sind, erzählt sie in Augsburg, habe sie erst vor gut einem Jahr selbst erfahren, als sie wegen eines chronischen Hüftleidens, das sie seit ihren Teenager-Zeiten plagt, längere Zeit in einem Gipsbett liegen musste. „Heilung hat nämlich auch etwas mit Zuwendung zu tun.“ Und wenn der Bund jetzt mehr Geld in die Bildung stecke, dann freue sie das auch für ihre siebenjährige Tochter, die in Rheinland-Pfalz in eine Zwergschule mit nur 35 Kindern gehe. Bodenständig, wie die Tochter eines Maurermeisters ist, hat sie zuvor schon die Blaskapelle begrüßt: „Ich spiele Akkordeon“, ruft sie durch den Saal. „Ohne zünftige Musik ist alles nichts.“ Auch ein kleines Bier hat sie sich schon genehmigt.

    In ihrem Büro steht ein kleines MAN-Modell

    Es sind turbulente Tage für Deutschland, für die Sozialdemokratie, aber auch für Andrea Nahles selbst, die sich nicht weniger vorgenommen hat, als ihre Partei wieder zur stärksten Kraft in der deutschen Politik zu machen – das war sie zuletzt unter Gerhard Schröder. In Berlin, in ihrem Büro, steht ein kleines Modell eines Schiffsdiesels von MAN, den sie bei einem Besuch des Augsburger Werkes vor drei Jahren als Andenken erhalten hat. Drei Jahre, in denen sich die Welt rasant verändert hat. Als sie zum letzten Mal in Augsburg war, sagt sie, habe es noch keine Flüchtlingskrise gegeben, noch keinen Donald Trump im Weißen Haus, keine AfD im Bundestag, keinen Brexit und auch noch keinen politischen Sehnsuchtsort namens Jamaika. Dass in der SPD damals alles noch in bester Ordnung war, würde sie trotzdem nicht behaupten, dazu hat sie schon zu viel erlebt in der ältesten deutschen Partei und das eine oder andere auch selbst mit angerichtet – man denke nur an den Rücktritt der Partei-Ikone Franz Müntefering 2005. Nach einem heftigen Streit um dessen Favoriten für den Posten des Generalsekretärs, der am Ende in der Demission des Vorsitzenden gipfelte, verlieh ihr die Bild-Zeitung damals flugs den zweifelhaften Titel der „Münte-Mörderin“.

    Andrea Nahles aber hat dazugelernt, ihr Image als stramme Linke sanft, aber sichtbar korrigiert und sich für ihre Partei in gewisser Weise unentbehrlich gemacht. Oder, frei nach Angela Merkel: alternativlos. Salopp gesagt, ist die gelernte Germanistin immer dann da, wenn andere scheitern. Bei der Bundestagswahl 2009 etwa führt Frank-Walter Steinmeier die SPD in eine historische Niederlage – wenig später steigt die Abgeordnete Nahles zur Generalsekretärin auf. Vier Jahre später verliert auch Peer Steinbrück gegen die Kanzlerin – Andrea Nahles aber wird Ministerin für Arbeit und Soziales, die Frau mit dem größten Etat im Kabinett. Nun ist es Martin Schulz, der als Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender ein beispielloses Debakel erlebt und ihr damit den nächsten, womöglich entscheidenden Karrieresprung ermöglicht. Wenn die SPD sich an ihr Drehbuch hält und die Fraktionsvorsitzende im Bundestag am 22. April in Wiesbaden auch noch zur Parteivorsitzenden wählt, wird Andrea Nahles die erste Frau an der Spitze der Partei sein und damit bei der nächsten Wahl fast zwangsläufig auch deren Kanzlerkandidatin.

    Mit wem sie lieber gar nicht redet

    Im Moment allerdings hat die frühere Juso-Chefin andere Sorgen. „Meine Stimmung ist gut“, sagt sie. „Aber meine Stimme nicht.“ Auf dem Weg nach Augsburg hat sie noch kurz mit Martin Schulz telefoniert, dem es noch schlechter geht, über den sie aber nicht viel mehr sagen will, als dass die Situation für ihn sehr schmerzhaft sei. Über Sigmar Gabriel, mit dem sie eine wechselseitige Abneigung verbindet, redet sie lieber gar nicht und schon gar nicht öffentlich. Dafür aber kann sie mit dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz umso besser, der die Partei bis zu ihrer Wahl kommissarisch führt und in einer Großen Koalition Finanzminister und Vizekanzler werden soll. Der nüchterne Scholz und der Emotionsbolzen Nahles: Ist das jetzt das neue Traumpaar der Sozialdemokratie?

    Dass sie es in Wiesbaden mit mindestens drei Gegenkandidaten zu tun haben wird, nimmt Andrea Nahles mit der Lässigkeit einer Frau, die weiß, dass es am Ende schon auf sie hinauslaufen wird. „Jedes Mitglied kann kandidieren“, sagt sie diplomatisch und schlägt den Mantelkragen noch etwas höher. Andererseits: Wer, wenn nicht sie, soll es denn machen? Der spröde Scholz? Die populäre Mainzer Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die aber partout nicht nach Berlin will? Oder Manuela Schwesig, die gerade erst nach Schwerin gewechselt ist? Es ist, ein wenig, wie in der CDU, wo erst Angela Merkel kommt und dann lange nichts mehr.

    In den mehr als zwölf Jahren, in denen sie Deutschland regiert, hat die SPD sieben Vorsitzende verschlissen: Schröder, Müntefering, Platzeck, Beck, noch einmal Müntefering, Gabriel, Schulz. Andrea Nahles aber schaut nicht zurück, sondern kehrt den Spieß kurzerhand um. „Hey, Merkel“, sagt sie, als sitze die Kanzlerin direkt vor ihr im Publikum. „Die Göttinnendämmerung hat längst begonnen.“

    Andrea Nahles, die der frühere Parteichef Oskar Lafontaine einst als „Gottesgeschenk“ für die SPD pries, weiß schon lange, was sie will. Im Fragebogen der Schülerzeitung hat sie einst als Berufswunsch „Hausfrau oder Bundeskanzlerin“ angegeben.

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