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SPD Parteikonvent: Krisenstimmung in der SPD: Führungsstreit kurz vor der Wahl

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Krisenstimmung in der SPD: Führungsstreit kurz vor der Wahl

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    Beim Parteikonvent der SPD zeigte sich Peer Steinbrück von seiner verletzlichen Seite: Er leide unter dem medialen Druck.
    Beim Parteikonvent der SPD zeigte sich Peer Steinbrück von seiner verletzlichen Seite: Er leide unter dem medialen Druck. Foto: Britta Pedersen (dpa)

    Peer Steinbrücks Stimme stockt, er kann nicht mehr sprechen. Tränen sind in seinen Augen, mit dem Finger wischt er sie unter seiner Brille weg. Seine Frau will seine Hand nehmen, doch er wehrt ab. Es ist die Wirkung der Sätze, die Gertrud Steinbrück gerade gesagt hat. Der Umgang mit ihrem Mann im Wahlkampf sei für sie schwer zu ertragen, meinte sie. Beide könnten sie zu Hause in Bonn Scrabble spielen, spazieren gehen, viel gemeinsam lachen. Stattdessen habe sich ihr Mann aber für die Kanzlerkandidatur entschieden. „Und dann wird er nur noch verhauen.“

    Peer Steinbrück leidet unter Kritik der Medien

    Sonntag, Parteikonvent der SPD im Berliner Tempodrom: Es ist das letzte große Parteitreffen vor der Wahl am 22. September. Erstmals tritt die Lehrerin hier auf großer Bühne auf. Seit 38 Jahren sind sie verheiratet. WDR-Moderatorin Bettina Böttinger befragt sie. Die Ehefrau sagt in Richtung der Medien, die ihn als Pannen-Peer verspotten: „Es wird immer nur geguckt, wo können wir ihn erwischen.“ Sie erkenne ihren Mann in vielen Beschreibungen nicht wieder.

    Das ist Peer Steinbrück

    Mit Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat zieht die SPD in den Wahlkampf.

    Lange Zeit war unklar, ob Steinbrück, Steinmeier oder Gabriel SPD-Kanzlerkandidat wird.

    Peer Steinbrück ist 1947 in Hamburg geboren.

    Steinbrück war von 2002 bis 2005 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen.

    Von 2005 bis 2009 war Peer Steinbrück Bundesminister der Finanzen und stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender.

    Peer Steinbrück ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages

    Steinbrück hatte Volkswirtschaft und Soziologie in Kiel studiert.

    Gleich nach seinem Studium arbeitete Steinbrück in mehreren Bundesministerien.

    Er war als Hilfsreferent im Kanzleramt von Helmut Schmidt tätig.

    Später wurde er Büroleiter des Ministerpräsidenten Johannes Rau.

    Am 6. November 2002 wurde Steinbrück zum Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen gewählt.

    Im Herbst 2012 geht Steinbrück als Kanzlerkandidat für die SPD ins Rennen.

    Im September 2013 unterliegt er bei der Bundestagswahl klar Angela Merkel. Kurz darauf kündigt er an, keine Spitzenämter mehr antreten zu wollen.

    Böttinger fragt den Ehemann: „Warum tun Sie es?“ Gemeint ist die Kandidatur, die Bereitschaft, dem Land zu dienen. Der 66-Jährige kann nicht antworten. Es ist der bisher persönlichste, menschlichste Moment im Wahlkampf – der aber auch nachdenklich macht. Es wird das sichtbar, was Steinbrück umtreibt. Wenn Politiker nur noch als Maschinen gesehen werden, nicht als Menschen, die auch mal Fehler machen, wenn Fettnäpfchen mehr als Inhalte interessieren: Wer soll dann noch in Parteien die demokratische Meinungsbildung organisieren?

    Spitzenkandidat Steinbrück hofft auf Zusammenhalt der SPD

    Die SPD fühlt sich ungerecht beurteilt, während auf Kanzlerin Angela Merkel vergleichsweise milde geblickt werde. Doch wie will die Partei glaubhaft der Bundesregierung in den drei Monaten bis zur Wahl Misswirtschaft auf allen Feldern vorwerfen, wenn sie selbst immer wieder den eigenen Wahlkampf torpediert. Denn überschattet wird der Auftritt der Steinbrücks von Worten, die im neuen Spiegel stehen.

    Steinbrücks Aufreger

    Seit Beginn seiner Kandidatur hat Peer Steinbrück immer wieder mit pointierten Aussagen für Aufsehen gesorgt - der SPD-Kanzlerkandidat selbst findet manches über Gebühr zugespitzt. Die Partei fragt sich, ob das Land nicht andere Probleme habe, als auf vermeintliche Fettnäpfchen zu lauern. Im Kontext gesehen wirken einige Aussagen weit weniger spektakulär.

    NEBENVERDIENSTE: «Ich glaube, dass es Transparenz nur in Diktaturen gibt. Ich glaube, dass eine gewisse Privatheit gelten muss.» (Steinbrück am 6.10.2012 im Deutschlandfunk auf die Frage, ob es nicht einen gläsernen Abgeordneten geben muss, der alles offen legt.)

    «Ich werde mich dafür einsetzen, die Transparenzregeln des Deutschen Bundestags so zu verschärfen, dass alle Abgeordneten bis auf den letzten Cent angeben müssen, von wem und wofür sie in welcher Höhe für eine Nebentätigkeit bezahlt worden sind.» (Steinbrück nach allgemeiner Kritik an seinen hohen Nebeneinkünften am selben Tag in einer persönlichen Erklärung.)

    PINOT GRIGIO: «Schon zehn Euro Erhöhung würden den Staat eine Milliarde kosten. Und man weiß dann auch nicht, wo das Geld hingeht. Zehn Euro sind ja auch zwei Schachteln Zigaretten, zweieinhalb Bier oder zwei Pinot Grigio. Also zwei Gläser Pinot Grigio. Denn eine Flasche, die nur fünf Euro kostet, würde ich nicht kaufen.» (Steinbrück nach Angaben der «Bild»-Zeitung» am 3.12.2012 bei einer Veranstaltung in Berlin mit Blick auf eine Kindergelderhöhung.)

    KANZLERGEHALT: «Nein. Dieses Gefühl gab es nie. Im Übrigen finde ich allerdings, dass manche Debatte über die Bezahlung unserer Abgeordneten bis hin zur Spitze der Bundesregierung sehr schief ist. Nahezu jeder Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen verdient mehr als die Kanzlerin. Abgeordnete des Bundestags arbeiten fast sieben Tage die Woche, durchschnittlich zwölf bis 13 Stunden. Sie sind gemessen an ihrer Leistung nicht überbezahlt. Manche Debatte, die unsere Tugendwächter führen, ist grotesk und schadet dem politischen Engagement. (...) Ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin verdient in Deutschland zu wenig - gemessen an der Leistung, die sie oder er erbringen muss und im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten mit weit weniger Verantwortung und viel größerem Gehalt.» (Steinbrück am 30.12.2012 in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» auf die Frage, ob er sich als Abgeordneter unterbezahlt fühle und ob die Kanzlerin zu wenig verdiene.)

    CLOWNS IN ITALIEN: «Bis zu einem gewissen Grad bin ich entsetzt, dass zwei Clowns gewonnen haben.» (Steinbrück am 26.02.2012 bei einer «Klartext»-Veranstaltung in Potsdam zum Wahlausgang in Italien in Anspielung auf Silvio Berlusconi und den Berufskomiker Beppe Grillo.)

    UMGANG MIT RUSSLAND: «Zweifellos. Aber in bilateralen Gesprächen und nicht auf dem Marktplatz. Sonst verspielt man Zugänge, um praktische Fortschritte zu bewirken.» (Steinbrück in einem am 26. März 2013 veröffentlichten Zeit-Online-Interview auf die Frage, ob man die Russen nicht auf Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen hinweisen müsse. An dem Tag gab es Razzien bei deutschen Stiftungen in Russland, das Interview war aber bereits zuvor geführt worden.)

    GETRENNTER SPORTUNTERRICHT VON JUNGEN UND MÄDCHEN: «Wenn die Schulen es einrichten können, dann sollten sie es machen. Ich würde da Rücksicht nehmen auf religiöse Überzeugungen. Mir ist die Problematik aus den familiären Schilderungen meiner Frau sehr geläufig. Es läuft dann meistens darauf hinaus, dass die Eltern eines Mädchens islamischen Glaubens einfach eine Krankheitsmeldung machen, damit sie nicht teilnehmen muss. Eh das so gehandhabt wird, würde ich versuchen, Lösungen zu finden, um den religiösen Überzeugungen Rechnung zu tragen.» (Bei einer «Klartext»-Veranstaltung am 3. April 2013 im Berliner Tempodrom mit Blick auf die Forderung eines muslimischen Vaters, nach Geschlecht getrennten Schulsportunterricht anzubieten.)

    Eine Woche vor der Bundestagswahl 2013 posiert Peer Steinbrück auf dem Cover des SZ-Magazins - mit gerecktem Mittelfinger. Die eindeutige Geste ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. In den sozialen Netzwerken tauchen Bild-Montagen und Spott-Fotos auf. (dpa/AZ)

    Es sind nur drei Sätze, die Steinbrücks neuer Sprecher Rolf Kleine als eine seiner ersten Amtshandlungen dem Magazin freigegeben hat. Der erste ist noch harmlos: „Nur eine Bündelung aller Kräfte ermöglicht es der SPD, die Bundesregierung und Frau Merkel abzulösen.“ Der zweite hat es in sich: „Ich erwarte deshalb, dass sich alle – auch der Parteivorsitzende – in den nächsten 100 Tagen konstruktiv und loyal hinter den Spitzenkandidaten und die Kampagne stellen.“ Und der dritte klingt wie eine letzte Warnung: „Situationen wie am vergangenen Dienstag in der Fraktion dürfen sich nicht wiederholen.“

    Krise in der SPD: Gabriel gegen Steinbrück?

    Ein verheerendes Signal: Die wichtigsten Leute liegen über Kreuz. Ein Kanzlerkandidat zweifelt die Loyalität seines Vorsitzenden an. Dabei lautet doch das SPD-Motto für die Wahl: „Das Wir entscheidet“. Teilnehmer berichten von einer turbulenten Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag – aber auch von unterschiedlichen Eindrücken. Mehrere Abgeordnete haben nicht wahrgenommen, dass sich Gabriel offen gegen Steinbrück gestellt habe, der für eine Zustimmung zum Regierungsentwurf für eine europäische Bankenunion warb. Gabriel habe Kritikern beigepflichtet, dass ein direkter Zugriff auf deutsches Steuergeld bei der Rettung maroder Banken vermieden werden müsse. Zudem appellierte Gabriel, sich ab sofort im Wahlkampf richtig ins Zeug zu legen. War das ein Affront gegen den unermüdlichen Steinbrück?

    Ein Teilnehmer beschreibt die Stimmung als „insgesamt etwas wehleidig und dünnhäutig“. Musste Steinbrück deswegen gleich den öffentlichen Disput suchen? Das Ganze geht wohl tiefer, es wirkt wie eine schleichende Entfremdung.

    Kluft in der SPD: Kein Zusammenhalt der Politiker

    Selten scheint der Wahlkampf im Willy-Brandt-Haus bisher Hand in Hand zu gehen, siehe Gabriels Ruf nach einem Tempolimit von 120 auf Autobahnen. Kann in knapp 100 Tagen noch zusammenwachsen, was vielleicht nicht zusammengehört? Schon zu Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wird Gabriel ein schwieriges Verhältnis nachgesagt. Steinmeier mag froh sein, nicht Kandidat von Gabriels Gnaden geworden zu sein. Die Erosionserscheinungen in der SPD-Troika sind unübersehbar.

    Gabriel versucht beim Parteikonvent, den Konflikt herunterzuspielen, mit einem etwas ungelenken Satz: „Wir dürfen euch versichern: Ja, nicht nur die private, auch die politische Ehe von Peer und mir existiert.“ Gertrud Steinbrück erwidert trocken: „Ich muss erst mal damit fertig werden, dass er offenbar in einer Regenbogenehe mit Sigmar ist.“

    Vielleicht verrät US-Präsident Barack Obama ja übermorgen Steinbrück und der SPD, wie ein gewinnbringender Wahlkampf geht. Die Vorzeichen klingen aber auch hier etwas zweifelhaft: Das Weiße Haus kündigte am Wochenende schriftlich an, nach der Rede vor dem Brandenburger Tor treffe Obama den „Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, Mr. Steinberg“.

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