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SPD-Mitgliederentscheid: Streitpunkt große Koalition: Gabriel stößt bei Jusos auf Widerstand

SPD-Mitgliederentscheid

Streitpunkt große Koalition: Gabriel stößt bei Jusos auf Widerstand

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    SPD-Bundesvorsitzender Sigmar Gabriel stößt beim Bundeskongress der Jusos auf Widerstand. Der Parteinachwuchs bleibt bei seinem "Nein" zur großen Koalition.
    SPD-Bundesvorsitzender Sigmar Gabriel stößt beim Bundeskongress der Jusos auf Widerstand. Der Parteinachwuchs bleibt bei seinem "Nein" zur großen Koalition. Foto: Daniel Karmann (dpa)

    Der Parteinachwuchs der SPD bleibt hart. Trotz eindringlichen Werbens von SPD-Chef Sigmar Gabriel haben die Jungsozialisten (Jusos) die geplante Koalition mit der Union abgelehnt. Eine breite Mehrheit sprach sich am Samstag auf dem Bundeskongress der SPD-Jugendorganisation in Nürnberg für ein Nein zum ausgehandelten Koalitionsvertrag aus.

    Jusos bleiben bei "Nein" zur großen Koalition

    Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün: Gemeinsamkeiten und Gegensätze

    STEUERERHÖHUNGEN: Die Union hat sich festgelegt: Steuererhöhungen kommen für sie nicht in Frage. Sowohl SPD als auch Grüne hatten im Wahlkampf dagegen für höhere Steuern geworben - und die Mehreinnahmen unter anderem für Schuldenabbau, Bildung und Infrastruktur vorgesehen. Inzwischen stellte SPD-Chef Sigmar Gabriel klar, Steuererhöhungen seien für seine Partei «kein Selbstzweck». Auch bei den Grünen wird die Steuererhöhungsforderung nach dem enttäuschenden Wahlergebnis inzwischen teilweise in Frage gestellt. Allerdings erwarten sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Grünen von der Union Finanzierungsvorschläge. Insofern birgt das Thema für beide Konstellationen Sprengstoff.

    MINDESTLOHN: Hier ist die Ausgangslage in etwa gleich: Grüne und SPD wollen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. CDU und CSU halten dagegen nichts von gesetzlichen Vorgaben - und setzen auf eine von den Tarifpartnern nach Branchen und Regionen ausgehandelte Lohnuntergrenze. Ein Kompromiss scheint hier aber möglich, wenn beispielsweise Mindestlöhne nicht vom Staat, sondern durch eine Kommission festgesetzt werden.

    RENTEN: Die Rente mit 67 hatten Union und SPD gemeinsam eingeführt. Allerdings fordert die SPD inzwischen deren Aussetzung, solange nicht mindestens die Hälfte aller 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Hier hätte die Union mit den Grünen weniger Probleme: Diese wollen die Rente mit 67 derzeit nicht antasten. Die Union will zudem unbedingt eine Verbesserung der Rente für ältere Mütter durchsetzen und dies aus der Rentenkasse finanzieren.

    UMWELT UND ENERGIE: Die Kluft zwischen Union und Grünen ist hier tiefer: Die Umweltpartei formuliert ehrgeizige Ziele für die Energiewende und will bis 2030 den Ökostrom-Anteil so weit steigern, dass ein Ausstieg aus der Kohle möglich ist. Die Union hingegen will die Förderung der erneuerbaren Energien zugunsten geringerer Strompreise beschneiden. Die SPD hat wie die CDU/CSU auch die Interessen der Industrie im Blick: Zur Absicherung der Energieversorgung will auch sie neue Kohlekraftwerke bauen. Allerdings will die SPD die Stromsteuer senken, was die Union ablehnt.

    FAMILIE: Das Betreuungsgeld wollen Sozialdemokraten und Grüne gleichermaßen abschaffen. Vor allem die CSU aber will daran nicht rütteln. Vielleicht ließe die SPD sich überzeugen, wenn im Gegenzug für ein Beibehalten der Familienleistung mehr Geld in die von ihr geforderte Ganztagsbetreuung flösse. Auch die Grünen verweisen darauf, dass am Ende die «Gesamtmischung» stimmen müsse. Allerdings trennt sie auch in anderen gesellschaftspolitischen Fragen viel von der Union.

    FRAUEN, HOMOSEXUELLE, DOPPELTE STAATSBÜRGERSCHAFT: Die Grünen fordern eine Frauenquote von 50 Prozent in Aufsichtsräten, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und doppelte Staatsbürgerschaften für hierzulande geborene Kinder ausländischer Eltern. Mit der SPD würde es allerdings nicht wesentlich leichter für die wertkonservativen Vertreter in der Union: Frauenquote, Homo-Gleichstellung und doppelte Staatsbürgerschaft stehen auch in deren Programm.

    VERKEHR: Der Streit um die Pkw-Maut wird vor allem von CSU und CDU geführt. Die aus Bayern geforderte Abgabe wollen aber auch SPD und Grüne nicht. Für schwarz-grünen Zwist gibt es in der Verkehrspolitik darüber hinaus genügend Anlass: Der von der Union geplante Ausbau von Autobahnen stößt bei den Grünen auf Widerstand; sie setzen statt Neubau auf Erhalt des bestehenden Straßennetzes sowie ein Umsteuern hin zur Bahn und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln.

    GESUNDHEIT: Hier ist weder mit Schwarz-Rot noch mit Schwarz-Grün viel Bewegung zu erwarten: Mit einer Bürgerversicherung für alle wollen Grüne und SPD das «Zweiklassen-System» in der Gesundheitsversorgung ablösen. Die Union will am Nebeneinander von privaten und gesetzlichen Kassen festhalten. Einig sind sich SPD und Union zumindest darin, dass die Beiträge zur Pflegeversicherung leicht steigen sollen.

    In einem emotionalen Schlagabtausch hatte sich Gabriel zuvor bemüht, die Bedenken der Jusos gegen das in fünfwöchigen Verhandlungen vereinbarten Vertragswerk zu zerstreuen. Doch seine Versuche waren vergeblich. "Die Ablehnung des Koalitionsvertrags bringt nicht mehr Gerechtigkeit, sondern sie bringt für Millionen Menschen in Deutschland weniger Gerechtigkeit", sagte er. Die frisch gewählte Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann entgegnete: "Das Ergebnis der Verhandlungen überzeugt mich ganz und gar nicht." Sie sprach sich für eine Regierungsperspektive mit Grünen und Linkspartei aus. Zugleich betonte sie: "Ein Nein sehen wir als kein Nein für die Parteispitze."

    Große Zustimmung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag

    Die bundesweit rund 475 000 SPD-Mitglieder entscheiden derzeit per Briefwahl darüber, ob die Regierung mit der CDU und CSU zustande kommt. Das Ergebnis soll am 14. Dezember verkündet werden. Anders als bei den Jusos gab es auf Regionalkonferenzen der SPD bisher überwiegend Zustimmung.

    Jusos-Vorsitzende: SPD braucht Neuwahlen nicht zu fürchten

    Viele Juso-Delegierte hatten Gabriel bereits mit Protestplakaten empfangen und während seiner Rede immer wieder laut ihrem Unmut über das schwarz-rote Regierungsbündnis Luft gemacht. "Es fehlen einfach zu viel wichtige Punkte für eine wirklich gerechte Gesellschaft", sagte Uekermann. Die Niederbayerin war am Freitagabend zur Juso-Chefin gewählt worden. Sie bemängelte unter anderem das Fehlen von Steuererhöhungen im ausgehandelten Vertrag mit der Union und eine repressive Flüchtlingspolitik.

    Uekermann argumentierte, die SPD brauche Neuwahlen nicht zu fürchten. "Mit einer klaren Machtperspektive Rot-Rot-Grün können wir Menschen begeistern und für einen Politikwechsel sorgen." Gabriel widersprach deutlich: "Mit der Linkspartei kannst du im heutigen Zustand nicht berechenbar regieren."

    Gabriel: Große Koalition ist keine Liebesheirat

    Doch auch Gabriel machte Eingeständnisse. Er räumte ein, dass die große Koalition keine Liebesheirat sei. "Aber sie ist die jetzt mögliche Regierungsmehrheit in Deutschland. Und sie ist eine Koalition der nüchternen Vernunft." Die SPD habe viel erreicht. Es gehe jetzt auch darum, ob der Partei "die Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Menschen in Deutschland sehr viel bedeutet, oder ob die Frage, dass wir uns unwohl fühlen dabei, den wichtigeren Ausschlag gibt", sagte er. "Eigentlich stimmen wir über die Frage ab, ob wir Volkspartei bleiben wollen." Doch der Einsatz des Parteichefs blieb letztlich erfolglos. AZ/dpa

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