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SPD: Der Wilmersdorfer Osterfriede

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Der Wilmersdorfer Osterfriede

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    Thilo Sarrazin darf in der SPD bleiben. dpa
    Thilo Sarrazin darf in der SPD bleiben. dpa

    Berlin Wortlos eilt Andrea Nahles aus dem Wilmersdorfer Rathaus. Nach knapp fünf Stunden ist an diesem Donnerstag auch der zweite Versuch gescheitert, Thilo Sarrazin aus der SPD zu werfen – und natürlich weiß die Generalsekretärin, dass das für viele so aussieht, als habe die Partei plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen. Also sagt sie lieber nichts. Nur Sibylle Unken, die Vorsitzende der Schiedskommission, die gerade über den populären Provokateur zu Gericht gesessen hat, findet ein paar beruhigende Worte: „Wir haben uns verständigt“, betont sie, „uns als

    Ein Kotau? Die Meinungen in der Partei sind geteilt

    Es ist das überraschende Ende eines seit Monaten schwelenden und von Parteichef Sigmar Gabriel zur politischen Prinzipienfrage erklärten Konflikts. Die vier Ausschlussanträge von Sarrazins Kreisverband, des Berliner Landesverbandes, des Bundesvorstandes und eines Frankfurter Kreisverbandes sind halb so lang wie das Grundsatzprogramm der SPD – nun aber genügt der Partei eine kurze Erklärung Sarrazins, um ihren Frieden mit ihm zu machen. Es habe ihm ferngelegen, versichert der 66-Jährige darin, „Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren“. Zu keiner Zeit habe er die Absicht gehabt, in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen. Sollten Mitglieder der Partei dennoch diesen Eindruck haben, „bedauere ich dies“.

    Mehr will auch Sarrazin dazu im Moment nicht sagen. Er hatte schon vor Wochen selbstbewusst angekündigt, er bleibe bis an sein Lebensende Sozialdemokrat. Mit seiner Erklärung allerdings sind längst nicht alle so einverstanden wie der Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, der zufrieden sagt: „Der Kompromiss bedeutet, dass Sarrazin sich selbst dementiert.“ Es sei klug, „seinen Kotau zu akzeptieren, statt ein langwieriges Ausschlussverfahren zu betreiben“. SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner dagegen, einer der Wortführer des linken Parteiflügels, hätte den früheren Berliner Finanzsenator und Bundesbanker lieber ausgeschlossen: „Seine kruden Erbtheorien haben mit sozialdemokratischen Überzeugungen nichts gemein.“ Auch Juso-Chef Sascha Vogt hält Sarrazins kurzes Entschuldigungsschreiben für „mehr als dürftig“. Noch deutlicher wird Philipp Dees, der Vorsitzende der bayerischen Jungsozialisten: „Man kann“, schimpft er, „als Rassist oder Rassistin Mitglied der SPD bleiben.“

    Warum der Parteiführung ein kurzer Prozess wichtiger war als ein quälend langes Ausschlussverfahren, das womöglich erst im nächsten Jahr vor dem Bundesschiedsgericht endet – darüber wird auch in der SPD seit Donnerstagabend kräftig spekuliert. Wollte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit das heikle Thema vom Tisch haben, wenn in wenigen Wochen die heiße Phase seines Landtagswahlkampfes beginnt? Oder spielten, am Ende, ganz andere Überlegungen eine Rolle, wie der grüne Bundestagsabgeordnete Memet Kilic argwöhnt? „Die SPD versucht ihre Not als Tugend zu verkaufen“, meint Kilic. „Sie hat angesichts der fulminanten Wahlgewinne der rechtspopulistischen Parteien in den europäischen Nachbarstaaten kalte Füße bekommen.“ Der Augsburger Abgeordnete Heinz Paula sieht die Dinge etwas nüchterner. Er sei froh, sagt er, dass der Fall Sarrazin nun stillschweigend beendet werde. „Die SPD hat entschieden wichtigere Themen.“

    Ihre Motive? Die Beteiligten äußern sich erst nach Ostern

    Andrea Nahles denkt im Saal 1141 im Wilmersdorfer Rathaus offenbar ähnlich. Nachdem Sarrazin und sein Anwalt Klaus von Dohnanyi die schriftliche Erklärung des „Angeklagten“ verteilt haben, ziehen der Bundesvorstand und die drei „Nebenkläger“ ihre Anträge auf einen Parteiausschluss zurück – der sozialdemokratische Osterfriede ist perfekt. Erst nach den Feiertagen, kündigt Verhandlungsführerin Unken an, würden sich die Beteiligten äußern. Vor allem Parteichef Gabriel dürfte dann in Erklärungsnot kommen: Er hatte vehement auf einen Ausschluss Sarrazins gedrängt, obwohl Helmut Schmidt, Peter Struck, Peer Steinbrück und andere einflussreiche Parteifreunde ihm dringend davon abgeraten hatten.

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