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SPD-Debatte: Andrea Nahles ist nur Parteichefin auf Bewährung

SPD-Debatte

Andrea Nahles ist nur Parteichefin auf Bewährung

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    Die SPD geht mit ihren Vorsitzenden nicht zimperlich um. Das erfährt nun auch Andrea Nahles.
    Die SPD geht mit ihren Vorsitzenden nicht zimperlich um. Das erfährt nun auch Andrea Nahles. Foto: Carsten Koall, dpa

    Wenn es einer Partei so richtig schlecht geht, dann stürzt sie ihren Chef. Über besonders große Erfahrung in dieser Disziplin verfügt die SPD. Nur geht es ihr nach dem Königsmord nicht unbedingt besser. Jetzt, da die Sozialdemokratie ums nackte Überleben kämpft, droht eine neue Runde der Selbstzerfleischung. Wieder einmal werden Zweifel laut, ob die Parteispitze richtig besetzt ist, um das Ruder herumzureißen.

    Andrea Nahles, erst vor gut zehn Monaten zur SPD-Chefin gewählt, steht immer heftiger in der Kritik. Und ausgerechnet zwei ihrer Vorgänger tun sich bei den Angriffen auf die erste Frau an der Spitze der ältesten Partei Deutschlands besonders hervor: Gerhard Schröder, der vorerst letzte SPD-Kanzler, und Sigmar Gabriel, Nahles Intimfeind. Bislang hat Nahles zu den Attacken geschwiegen, doch offenbar plant sie jetzt den Gegenschlag.

    Bei der Klausur des Parteivorstands am Wochenende im Berliner Willy-Brandt-Haus will die Parteichefin die Debatte weg von ihrer möglichen Ablösung zurück zu inhaltlichen Fragen lenken. Wie es in ihrem direkten Umfeld weiter heißt, plant sie, die Diskussion über die künftige SPD-Strategie zum Umbau des Sozialstaats einzuleiten. Es soll dabei vor allem auch um die Überwindung des Hartz-IV-Traumas der SPD gehen. Denn für das Nahles-Lager und viele aus dem linken Parteiflügel ist klar: Schuld an der SPD-Misere ist nicht die aktuelle Vorsitzende. Sondern Gerhard Schröder mit seinen in der Partei bis heute so heftig umstrittenen Sozialreformen.

    SPD: Der Altkanzler ließ kein gutes Haar an der Vorsitzenden  

    Auf den Tag genau 15 Jahre ist es her, dass der heute 74-jährige Schröder seinen Rückzug als SPD-Chef verkündete. Die 48-jährige Andrea Nahles ist, kommissarische Vorsitzende mitgezählt, seine neunte Nachfolgerin. In einem Spiegel-Interview kritisierte der Altkanzler nun die mitunter allzu flapsigen Äußerungen von Nahles. Die kommentierte 2017 mit einem kindlichen „Bätschi“, dass die SPD doch für eine Regierungskoalition gebraucht wurde. „So drückt man sich einfach nicht aus“, giftete Schröder.

    Was der Altkanzler als „Amateurfehler“ bezeichnet, galt noch vor wenigen Monaten als Stärke von Andrea Nahles. Mit ihrer Unbekümmertheit sei die alleinerziehende Mutter aus der Vulkaneifel die Idealbesetzung für den Neuanfang. Nahles übernahm die SPD kurz nachdem diese ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl verkraften musste. Mit Martin Schulz als Kanzlerkandidat war die SPD krachend gescheitert, auf 20,5 Prozent der Wählerstimmen abgestürzt. Eingefädelt hatte die Schulz-Kandidatur Sigmar Gabriel, der dann auch als Parteichef dem vermeintlichen Hoffnungsträger das Feld überließ.

    Mit dem Tandem Nahles/Scholz sind immer weniger Genossen zufrieden 

    In der Stunde der Not setzte die SPD, die sich gegen starke innerparteiliche Widerstände abermals in eine Große Koalition mit der Union gerettet hatte, auf einen personellen Neuanfang mit einer Art Doppelspitze. Olaf Scholz sollte als Bundesfinanzminister und Vize von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigen, dass die SPD noch verlässlich regieren kann. Als Parteichefin und Vorsitzende der Bundestagsfraktion sollte Andrea Nahles gleichzeitig die inhaltliche Neuausrichtung der Partei vorantreiben.

    Doch, so bilanzieren immer mehr Genossen, aufgegangen ist die Strategie bislang nicht. Olaf Scholz werfen manche vor, er sei zu blass geblieben, doch die Vorwürfe gegen Andrea Nahles sind weit heftiger. Dass die SPD in Umfragen weiter abgestürzt ist, in Umfragen zur Wählergunst bei 15 Prozent der Stimmen dümpelt, habe vor allem Nahles zu verantworten. Auch das Debakel bei der bayerischen Landtagswahl – die SPD rutschte unter zehn Prozent – gehe auf ihr Konto. Bei den Europawahlen und den Bremer Bürgerschaftswahlen im Mai drohten nun die nächste Niederlagen.

    Angesichts der chronischen Zerstrittenheit der SPD ist Nahles von Haus aus in einer schwierigen Position. Manchen in der Partei ist ihr Kurs zu links, anderen nicht links genug. Beide Lager aber sind sich einig, dass Nahles schwere Fehler gemacht hat. Etwa als sie im Streit um die von der SPD ultimativ geforderte Absetzung des Chefs des Bundesamts für Verfassungsschutz dessen Beförderung akzeptierte.

    Jetzt kommt auch noch Sigmar Gabriel aus der Deckung

    Vor diesem Hintergrund wiegen die Vorwürfe Schröders gegen Nahles umso schwerer. Zumal der Altkanzler der Parteichefin auch noch jegliche Wirtschaftskompetenz und damit die Eignung zur Kanzlerkandidatin abspricht. Mit seinem vernichtenden Urteil bricht Schröder zudem das ungeschriebene Gesetz, dass ehemalige Funktionäre sich Kritik an ihren Nachfolgern tunlichst verkneifen sollten.

    Mit Sigmar Gabriel lässt ein zweiter Ex-Parteichef Zurückhaltung vermissen. Er lobte die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die „Respektrente“ über den grünen Klee. Und ätzte dabei gegen Nahles, ohne ihren Namen zu nennen. Über Heil schrieb Gabriel nämlich: „Er bringt das Sozialministerium auf Kurs.“ Vor zwei Jahren habe das Ministerium die Pläne für die Grundrente zusammen mit dem Kanzleramt verhindert. Sozialministerin war damals Andreas Nahles.

    Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz tut wenig, um Nahles beizuspringen. Dass er sich selbst zu Höherem berufen fühlt, sich Kanzler zutraut, ist ein offenes Geheimnis. Von Nahles’ Vorgänger Martin Schulz heißt es in Parteikreisen, dass es ihn ebenso wie Sigmar Gabriel zurück in die erste Reihe sozialdemokratischer Politik drängt. Dass Schulz oder Gabriel abermals Parteichef werden könnten, glaubt kaum ein Genosse. Als mögliche Nahles-Nachfolger gehandelt werden indes Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und der niedersächsische Landesvater Stephan Weil.

    Die Frage bei der SPD ist: Was wäre mit einem neuerlichen Wechsel gewonnen?

    Ein einflussreiches Mitglied der Bundestagsfraktion bestätigt: „Die Kritik an Andrea Nahles nimmt zu.“ Noch sei der Tenor bei vielen Abgeordneten, dass mit einem weiteren Wechsel an der Parteispitze allein nichts gewonnen wäre. Und die damit verbundene Unruhe vor der Europawahl nur noch mehr Schaden anrichten würde: „Altvordere mit überbordendem Geltungsbedürfnis“ sollten sich also besser zurückhalten.

    Aber auch Nahles, sagt der SPD-Mann, täte gut daran, gerade ihren Vorgängern Sigmar Gabriel und Martin Schulz entgegenzukommen: „Wir brauchen alle guten Leute, allzu viele haben wir im Moment nicht.“ In Sachen Teamarbeit gebe es bei der Parteivorsitzenden noch deutlich Luft nach oben. Im Alleingang werde sie die darbende SPD nicht retten können: „Andrea muss jetzt endlich in die Puschen kommen.“

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