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Russland: Putins Kreuzzug

Russland

Putins Kreuzzug

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    Augsburg/Moskau Der Brief des Vermieters enthielt nur eine kurze Botschaft: Wegen Bauarbeiten müsse der Strom leider für zwei Monate abgestellt werden. Das Schreiben ging im Januar bei der Wahlbeobachtungsorganisation Golos in

    Doch die Schikane war erst ein Vorgeschmack auf das, was nun folgt. Seit Wladimir Putin, 59, am 7. Mai zum dritten Mal das Amt des russischen Präsidenten angetreten hat, findet in Russland ein Kreuzzug gegen die Opposition statt.

    Demonstranten gehen ein hohes Risiko ein

    Auf die machtvollen Demonstrationen der Bürger in den vergangenen Monaten reagieren der Ex-Geheimdienstler und seine Getreuen nicht mit dem Einleiten längst überfälliger Reformen. Vielmehr wollen sie die Unmutsbekundungen durch verschärfte Repression beenden.

    Zunächst wurde im Juni das Demonstrationsrecht verschärft. Für Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen sieht das neue Gesetz bei Privatpersonen drakonische Höchststrafen von 300000 Rubel (7100 Euro) oder 200 Stunden gemeinnützige Arbeit vor.

    Jetzt sollen überdies oppositionelle Gruppen als Handlanger des Auslands gebrandmarkt werden. Vor wenigen Tagen unterzeichnete Präsident Putin im Kreml das zuvor vom Parlament beschlossene Gesetz über „Nicht-Regierungsorganisationen, die die Funktion ausländischer Agenten erfüllen“. Von November an müssen Geldtransaktionen aus dem Ausland an eine russische Nicht-Regierungsorganisation, die mehr als 20000 Rubel (knapp 5000 Euro) betragen, der Staatsaufsicht gemeldet werden. Bei Zuwiderhandlung drohen Geldstrafen und Freiheitsentzug.

    Die Wahlbeobachter von Golos (russisch für „Stimme“), die Geld aus den USA und Westeuropa erhalten, und die bei der Parlamentswahl am 4. Dezember 2011 tausende Regelverstöße registriert hatten, gehören zu den Hauptbetroffenen. Auch die Anti-Korruptionswächter von Transparency International Russland sollen durch die Neuregelung als ausländische Agenten bloßgestellt werden. Ähnliches droht Gruppen, die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien oder Umweltsünden anprangern.

    Im Westen hagelt es Kritik. Es sei inkorrekt, von ausländischen Agenten zu sprechen, alleine weil sie ausländische Finanzierung annehmen, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Washington. Der Grünen-Politiker Volker Beck kritisierte das Gesetz als „Schritt zur Erdrosselung der Zivilgesellschaft“.

    Auch das Internet können russische Behörden künftig stärker kontrollieren. Internetseiten dürfen bei „Gefahr für Minderjährige“ ohne Gerichtsbeschluss sofort gesperrt werden. Die Opposition befürchtet Zensur. Auch ein neues Gesetz, das die Geldstrafen bei Verleumdung drastisch erhöht, wird als Maulkorb empfunden.

    Nicht nur Gruppen, sondern auch einzelne Vertreter der Opposition sehen sich immer stärkeren Repressalien ausgesetzt. Mehrere Teilnehmer der Großdemonstration am Vorabend von Putins Amtseinführung am 6. Mai sitzen immer noch in Haft, es kam zu Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichen Rädelsführern. Auch der Prozess gegen Mitglieder der Putin-kritischen Punkband Pussy Riot gehört in diese Kategorie (siehe eigenen Bericht).

    Ein Held macht sich lächerlich

    Hintergrund des Kreuzzugs gegen die Opposition ist Putins sinkende Popularität. Deswegen reagiert er so dünnhäutig auf Kritik. Zwar bezweifelt niemand, dass Putin bei der Wahl – selbst wenn man einen Prozentsatz für Fälschungen abzieht – eine Mehrheit bekommen hat. Aber sein Stern verblasst. Ökonomisch geht es in Russland nicht mehr vorwärts, und das erstarkte Bürgertum fordert seine Rechte ein.

    Der Präsident habe in der russischen Gesellschaft früher viele „Fans“ gehabt, viele hätten ihn für einen „Helden“ gehalten, urteilt der Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Jens Siegert. Aber: „Putins Zurschaustellungen von harter Männlichkeit und Allgeschick wirken auch in Russland zunehmend lächerlich.“

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