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Rüstung: Im Wald bei Schrobenhausen ist eine besondere Fabrik versteckt

Rüstung

Im Wald bei Schrobenhausen ist eine besondere Fabrik versteckt

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    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen setzt auf das neu entwickelte Raketenabwehrsystem MEADS.
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen setzt auf das neu entwickelte Raketenabwehrsystem MEADS. Foto: MBDA

    In Schrobenhausen begrüßt Bürgermeister Karlheinz Stephan Asylbewerber persönlich. An diesem Tag kommen Flüchtlinge aus Afghanistan in der oberbayerischen Stadt mit ihren 17.000 Einwohnern an. Der CSU-Politiker spricht von einem „neuen Kapitel“ in der Geschichte der Kommune, heißt die Neuankömmlinge herzlich willkommen und leistet dann Aufklärungsarbeit.

    Denn in der Stadt, genauer gesagt im Hagenauer Forst, rumst es immer wieder vernehmbar. „Wir in Schrobenhausen hören das schon gar nicht mehr, weil wir uns daran gewöhnt haben“, sagt Stephan. Er kann sich aber vorstellen, dass Menschen aus Afghanistan, die wegen der Gewalt im eigenen Land oft traumatisiert sind, irritiert auf Geräusche explodierenden Sprengstoffes reagieren.

    In Schrobenhausen geht aber alles mit rechten Dingen zu. Keiner muss Angst haben, auch wenn im Hagenauer Forst auf dem 80,4 Hektar großen MBDA-Gelände mehrere Tonnen Sprengstoff lagern. Dass hier von einer Firma so viel explosives Material gebunkert und getestet werden darf, ist einmalig in Europa.

    Gut 600 Ingenieure arbeiten für die Waffenschmiede

    Die Geschichte des Standortes reicht bis ins Dritte Reich zurück. Damals wurden auf den Flächen Vorprodukte für die Munitionsherstellung gefertigt. Nach dem Krieg fanden Flüchtlinge auf dem Gelände eine Unterkunft, ehe im Jahr 1958 die Bölkow Entwicklungen KG dort erneut einen Rüstungsbetrieb aufgebaut hat. Der Name der Firma wechselte immer wieder. Bis heute sprechen Schrobenhausener von MBB. Später stand auf den Schildern „Dasa“, „EADS“ und schließlich „LFK“.

    „Das Unternehmen ist ein Glücksfall für die Region“, sagt in der Stadt nicht nur der Bürgermeister. Wer sich in Schrobenhausen und Umgebung ein wenig umhört, vernimmt keine offene Kritik an der Firma. „Die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Hightech-Schmiede ist da“, sagt Stephan. Und das, obwohl es sich um eine Waffenschmiede handelt, für die allein in Schrobenhausen gut 600 Ingenieure arbeiten.

    Laien nennen die Produkte von MBDA Raketen – ein Begriff, den Wolfram Lautner, Kommunikations-Chef von

    Trotzdem spricht mancher von der Raketenfabrik. Doch wer auf den Standort zufährt, wähnt sich überall, nur nicht an einem der wichtigsten wehrtechnischen Betriebe Deutschlands. Der Weg des Besuchers führt an einem schönen Sommertag entlang dichten Nadelwaldes. Es geht links ab. Ohne Navigationssystem wäre man verloren. Denn auf dem Schild steht nicht „MBDA“, sondern es wird nur auf das Industriegebiet „Hagenauer Forst“ verwiesen.

    Keine meterhohen Stacheldrahtzäune und Mauern, nichts deutet auf besondere Sicherheitsvorkehrungen hin. Ein Mitarbeiter des Werkschutzes steht an der Schranke. Zunächst macht es nicht „Bumm, bumm“. Vögel zwitschern. Fahnen wehen. Auch die südkoreanische. Das Land ist Kunde des Unternehmens, kein Wunder bei dem unfriedlichen Nachbarn.

    60 Millionen Euro hat MBDA in Schrobenhausen investiert

    In das Parkhaus gelangt der Gast noch ohne Sicherheitskontrolle. Dort sind alle Autonummern-Schilder aus der Region vertreten. Aber auch auffällig viele Fahrzeuge mit einem „M“, wurde doch der MBDA-Standort in Unterschleißheim bei München aufgelöst und nach Schrobenhausen verlagert – dorthin, wo nicht nur der bekannte Spargel wächst, sondern auch der Malerfürst Franz von Lenbach geboren wurde.

    Viele der etwa 650 Mitarbeiter aus Unterschleißheim, die aus ihrer Sicht in die Provinz abwandern mussten, waren zunächst nicht begeistert. Das hat sich geändert. Zwar pendelt immer noch – grob gerechnet – ein Drittel der Beschäftigten aus dem Raum München nach Schrobenhausen, aber ein weiteres Drittel hat sich in der Region um das Werk niedergelassen. Der Rest wohnt dort von Montag bis Freitag. Am Wochenende geht es heim zur Familie.

    Für den Betrieb auf dem Land war der Umzug ein Segen. Aus rund 450 wurden 1100 Mitarbeiter. Das Unternehmen hat 60 Millionen Euro in Schrobenhausen investiert, in einen Rüstungs-Standort, der Besucher freundlich empfängt. Wer sich ausgewiesen hat, wird abgeholt.

    Einladend wirken die Gebäude mit ihren transparenten Glasfassaden. Überall ist viel Platz und über dem Eingangsbereich befindet sich ein Fitnessstudio. Das könnte auch eine private Universität sein. Campus- statt Sprengstoff-Atmosphäre. Über die von ordentlich geschnittenen Buchsbäumen eingerahmten Wege laufen junge Ingenieure, viele ohne Anzug und Krawatte.

    In Süddeutschland ballt sich die Rüstungsindustrie

    Die Bezeichnung MBDA für die Rüstungsfirma ist das Resultat der Konzentration der Branche in Europa.

    Nach dem Ende des Kalten Krieges und damit knapper werdender Verteidigungsbudgets ging zunächst die französische Lenkflugkörper-Firma Matra Défense mit dem britischen Konkurrenten BAe Dynamics zusammen. So erklären sich die ersten drei Buchstaben M, B und D des Unternehmensnamens.

    Später kam die italienische Firma Alenia Marconi Systems hinzu. So war das Kürzel MBDA perfekt. Als die Deutschen mitmachten, fiel die Entscheidung, den Namen einfach so zu lassen. In Schrobenhausen sagen Mitarbeiter spaßeshalber, das "A" stünde für "Alemania". Europa ist eben eine komplizierte Angelegenheit.

    MBDA Deutschland mit Hauptsitz im oberbayerischen Schrobenhausen gehört seit 2006 zum europäischen MBDA-Konzern, der 2014 einen Umsatz von 2,4 Milliarden Euro erzielt hat und rund 10 000 Mitarbeiter beschäftigt.

    In Deutschland sind 1300 Frauen und Männer in Schrobenhausen, Ulm und Aschau am Inn für MBDA tätig. Der deutsch-französisch-spanische Airbus-Konzern ist zusammen mit einer britischen Firma größter Anteilseigner des europäischen Luftverteidigungs- und Flugabwehr-Unternehmens.

    MBDA stellt Waffen etwa für das europäische Kampflugzeug Eurofighter her, an dessen Bau auch das Augsburger Luftfahrtwerk von Premium Aerotec beteiligt ist.

    Und MBDA liefert Lenkflugkörper für den Kampfhubschrauber Tiger, der von Airbus Helicopters in Donauwörth gebaut wird.

    In Süddeutschland sitzen viele der deutschen Rüstungsunternehmen. Zwischen Ulm, Augsburg, Donauwörth, Manching und Schrobenhausen ist eines der größten Zentren der Verteidigungsbranche in Europa entstanden. Dorthin wurden von Airbus (früher EADS) von München aus immer mehr Arbeitsplätze verlagert. (sts)

    Sie entwickeln Hightech-Produkte wie MEADS. In der Rüstungsbranche wimmelt es von englischen Abkürzungen. Dieser Begriff steht für „Medium Extended Air Defense System“, also ein bodengestütztes, voll bewegliches Luftabwehrsystem. Damit lässt sich etwa eine Mittelstreckenrakete mittels Radar ausmachen und abschießen. Auch zur Terrorabwehr wird das Produkt angepriesen. Wenn die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar stattfindet, werden ähnliche Systeme die Stadien schützen.

    1,2 Milliarden Euro Unterstützung von deutschen Steuerzahlern

    Deutsche Steuerzahler haben die Entwicklung der MEADS-Technologie bereits mit 1,2 Milliarden Euro unterstützt und damit ein Viertel der Gesamtentwicklungskosten aufgebracht. Bei dem europäisch-amerikanischen Gemeinschaftsprojekt arbeitet MBDA mit dem US-Rüstungsriesen Lockheed Martin zusammen. Von 2020 an sollen erste MEADS-Anlagen bei der Bundeswehr das bekannte Abwehrsystem Patriot ersetzen.

    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich gegen ein von der amerikanischen Firma Raytheon weiterentwickeltes Patriot-Programm entschieden – und das, obwohl Kritiker befürchten, MEADS könne wie andere europäische Rüstungsprojekte den Kostenrahmen sprengen.

    Die Pleitenserie der europäischen Wehrindustrie mit Airbus an der Spitze ist lang. Das militärische Transportflugzeug A400M ist zu einem Pannen-Vogel geworden. Weil der Flieger aus dem Hause

    Die CDU-Politikerin ist aber von MEADS überzeugt. Sie glaubt daran, dass damit das Leben vieler Menschen gerettet werden kann, weil sich das Raketenabwehrsystem wie eine Schutzglocke über Soldaten-Feldlager oder Großstädte legt. Und von der Leyen ist überzeugt: „Wir haben die Kosten konservativ, also realistisch ausgelegt. Wir haben damit aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.“

    Dagegen steht die Kritik der Opposition wie die der Grünen-Sicherheits- und Abrüstungsexpertin Agnieszka Brugger. Ihrer Ansicht nach droht mit dem Rüstungsabenteuer MEADS das nächste Milliardengrab.

    Das ist der Hagenauer Forst am Stadtrand von Schrobenhausen. Und mittendrin befindet sich die Rüstungsfabrik MBDA.
    Das ist der Hagenauer Forst am Stadtrand von Schrobenhausen. Und mittendrin befindet sich die Rüstungsfabrik MBDA. Foto: Rainer Hassfurter, MBDA

    In Schrobenhausen machte sich nach der Entscheidung des Bundesverteidigungsministeriums hingegen Erleichterung breit. Die Stimmung ist gut und die Ingenieure sind natürlich von ihrer Technologie überzeugt. Immer wieder heben sie hervor, mit dem MEADS-Radar könne der Luftraum zu 360 Grad überwacht werden, während das bei Patriot nur zu 120 Grad möglich sei.

    Um all das zu unterstreichen, kann der Gast zunächst das neue MBDA-Testgelände in Freinhausen inspizieren. Der Ort liegt zwischen Schrobenhausen und Ingolstadt. Auf dem Aussichtspunkt wird hinter Stacheldraht eine Patriot-Anlage von MBDA-Experten weiterentwickelt und getestet. Die Firma hat das Gelände gekauft. Früher saß hier eine Einheit der Bundeswehr, die den Luftraum Richtung Osten überwacht hat. Wuchtige Beton-Parkbuchten in grün-brauner Tarnfarbe erinnern noch daran.

    Das von MBDA für die Bundeswehr angepasste amerikanische Patriot-System wird ohne Raketen betrieben. Der Radar sucht den Himmel nach Flugzeugen ab, die in München oder dem nahen Manching starten und landen. Im Führungsstand ist es laut und stickig. Soldaten, die an der türkisch-syrischen Grenze in dem engen Raum eine Acht-Stunden-Schicht ableisten, wissen, was sie getan haben.

    Von Freinhausen geht es zurück nach Schrobenhausen. Die MBDA-Manager zeigen ihr Lieblingskind MEADS her, das zu 80 bis 90 Prozent fertig entwickelt sei. Im Führungsstand ist die Luft besser als bei der Patriot-Einheit. Leiser geht es auch zu. Selbst die Türen des Allerheiligsten, eines großen abgedunkelten Simulationsraums mit vielen Rechnern und Bildschirmen, bleiben nicht verschlossen.

    Junge Forscher haben sich hier eingefunden. Sie entwickeln das MEADS-System weiter und testen ganz ohne Waffen am Computer, wie deutsche Soldaten vor Raketen geschützt werden können. „Das ist kein Computerspiel für uns. Wir wissen um den Ernst unserer Aufgabe“, sagt einer.

    Ein Stück Science-Fiction im Raketenabwehrwald

    Draußen knallt es jetzt. Bumm, bumm und wieder bumm. Das Unternehmen testet Gefechtsköpfe. Das ist an wenigen Standorten in Deutschland möglich und hat sich für Schrobenhausen als Glücksfall erwiesen. Auch deshalb hat MBDA

    Im oberbayerischen Raketenabwehrwald spielt sich weitgehend im Geheimen ein Stück Science-Fiction ab. Spezialisten arbeiten an Laser-Waffen. „Das ist eine Ergänzung für unser Produktspektrum“, sagt Peter Heilmeier, Vorstandsmitglied von MBDA Deutschland. In seinem Büro liegt eine demolierte Drohne. Das kleine unbemannte Flugobjekt wurde in einer Testanlage auf dem Schrobenhausener Gelände von einer Laserwaffe abgeschossen.

    Auch MEADS hat schon außerhalb des Simulationsraums getroffen, wenn auch in den USA. In Schrobenhausen dürfen keine Raketen abgefeuert werden. Auf dem Testgelände in Amerika hat das System ein Kampfflugzeug ohne Piloten an Bord und eine Rakete zur Strecke gebracht. Der erfolgreiche Praxistest hat zur Entscheidung von der Leyens sicher entscheidend beigetragen. Jetzt stellt das Unternehmen in

    Im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen lag die Arbeitslosenquote zuletzt nur noch bei 1,7 Prozent. Die Beschäftigten scheinen gerne für MBDA zu arbeiten. Wiederholt wurde das Unternehmen mit der unabhängig vergebenen Auszeichnung „Great Place to Work“ bedacht. Hier bewerten Beschäftigte anonym ihre Firma.

    Ein Paradies ist Schrobenhausen dann doch nicht. Bürgermeister Karlheinz Stephan berichtet im Zuge des wirtschaftlichen Booms von deutlich gestiegenen Miet- und Immobilienpreisen. Auch die Verkehrsbelastung sei höher geworden: „Deswegen fordern wir eine Umgehungsstraße.“ Es sei nicht alles „Zuckerlecken“ im Hightech-Spargelland. Trotz Vollbeschäftigung.

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