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Rücktritt als Bundespräsident: Wulff verloren in Bellevue

Rücktritt als Bundespräsident

Wulff verloren in Bellevue

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    Christian Wulff und seine Frau Bettina im Schloss Bellevue: Der Bundespräsident ist mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurückgetreten. Foto: Maurizio Gambarini dpa
    Christian Wulff und seine Frau Bettina im Schloss Bellevue: Der Bundespräsident ist mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurückgetreten. Foto: Maurizio Gambarini dpa

    Nein, die Blöße gibt er sich nicht. Jetzt, da alles vorbei ist, könnte Christian Wulff noch ein, zwei kritische Sätze über die Rolle der Medien verlieren, über das Gefühl, Opfer einer Kampagne geworden zu sein, oder das Selbstverständnis eines Berufsstandes, in dem aus Beobachtern immer häufiger Handelnde werden. Mehr als die eher beiläufige Bemerkung, dass die Berichterstattung der vergangenen beiden Monate seine Frau und ihn tief verletzt habe, erlaubt der Bundespräsident sich an seinem letzten Arbeitstag allerdings nicht. Im Gegenteil. Er wünsche allen Bürgerinnen und Bürgern eine gute Zukunft, sagt Wulff am Ende seiner kurzen Ansprache. „Und Sie alle“, beteuert er, die zahlreichen Journalisten vor ihm fest im Blick, „schließe ich dabei ausdrücklich mit ein.“

    Keine fünf Minuten braucht der 52-Jährige, um seinen Rücktritt zu erklären. Er artikuliert ihn nicht so spontan und trotzig wie vor knapp zwei Jahren sein Vorgänger Horst Köhler, sondern betrübter, melancholischer, als könne er es selbst noch nicht ganz begreifen, was da gerade mit ihm geschieht. Er sei sich sicher, betont Wulff, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Hannover zu seiner vollständigen Entlastung führen werden. Die Entwicklung der vergangenen Tage aber habe gezeigt, „dass meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt sind“. Ein Präsident, argumentiert er, brauche nicht nur das Vertrauen einer Mehrheit, sondern das einer breiten Mehrheit. Und das, das weiß Wulff aus vielen Umfragen, hat er nicht mehr.

    Bundespräsident Wulff tritt zurück

    Eigentlich ist er ja ein Politiker mit Nehmerqualitäten – zäher und zielstrebiger, als sein zurückhaltendes, fast schüchternes Auftreten es vermuten lässt. Um Ministerpräsident in Niedersachsen zu werden, braucht der damalige Oppositionsführer drei Anläufe, auch Bundespräsident wird Wulff erst im dritten Wahlgang, weil sein Kontrahent Joachim Gauck nicht nur der Zählkandidat der Opposition ist, sondern eine echte Alternative.

    Er wünsche sich eine bunte Republik Deutschland, sagt der frisch Gewählte danach, ein Land, in dem weniger gefragt wird, wo jemand herkomme als wo er hinwolle. Nun allerdings holt ausgerechnet ihn seine Vergangenheit ein. Innerhalb von nicht einmal zwei Jahren wird

    Während Bettina Wulff mit stolzem Blick neben ihrem Mann steht, elegant in Schwarz gekleidet und von einer geradezu provozierenden Coolness, kann Angela Merkel sich ihre Sorgenfalten an diesem Vormittag nicht alle wegschminken. Etwas blass um die Nase und mit versteinerter Miene eilt die Kanzlerin eine halbe Stunde nach dem Statement des Präsidenten kurz aus ihrem Büro. Mit tiefem Bedauern, sagt sie, nehme sie die Entscheidung zur Kenntnis. Wulff, lobt sie im Tonfall routinierter Grabredner, habe sich mit großer Energie für ein modernes, offenes Deutschland eingesetzt. Und: „Er hat uns deutlich gemacht, dass die Stärke dieses Landes in seiner Vielfalt liegt.“ Was man eben so sagt, wenn einer geht.

    Es ist auch nicht ihr Tag. Der frühere Parteivize war Angela Merkels Präsident, sie vor allem wollte nach dem unbequemen und ebenfalls von ihr ausgewählten Seiteneinsteiger Köhler einen Mann in Bellevue, der das Geschäft kennt, einen Profi, der sich auf seine repräsentativen Aufgaben konzentriert und ihre Kreise nicht weiter stört. Nun muss die CDU-Chefin wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung einen Kandidaten finden, der Sozialdemokraten und Grünen ebenfalls vermittelbar ist. Auch deshalb sagt sie ihre eigentlich für diesen Freitag geplante Reise nach Rom ab und telefoniert lediglich kurz mit dem italienischen Premier Mario Monti und dem griechischen Regierungschef Lucas Papademos. Die Schuldenkrise kann jetzt warten. In spätestens 30 Tagen muss ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt werden.

    Wulff räumt Fehler ein

    „Ich habe Fehler gemacht“, hat Wulff zuvor noch einmal eingeräumt. „Aber ich war immer aufrichtig.“ Obwohl der Druck Tag für Tag wächst, spekuliert er zunächst noch darauf, die Dinge mit einer klugen Rede bei der Trauerfeier für die Opfer des rechten Terrors in der nächsten Woche wieder zu seinen Gunsten drehen zu können. Dann beantragt die Staatsanwaltschaft Hannover beim Bundestag, die Immunität des Staatsoberhauptes aufzuheben, garniert mit der freundlichen Bemerkung, sie werde selbstredend „nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände“ ermitteln.

    Zum ersten Mal geht die Justiz damit gegen einen Bundespräsidenten vor. Spätestens in diesem Moment weiß Christian Wulff, dass er sein Amt nicht mehr verteidigen kann, auch wenn sich der Vorwurf, er habe als Ministerpräsident den befreundeten Filmmanager David Groenewold begünstigt, nicht halten oder zumindest nicht beweisen lassen sollte. Es ist, ein wenig, wie zuvor bei Thilo Sarrazin, bei Guido Westerwelle oder Karl-Theodor zu Guttenberg: Die öffentliche Erregung, oder zumindest die veröffentlichte, hat einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt.

    Die Affäre beginnt Mitte Dezember mit einem Bericht der Bild-Zeitung. Wulff hat sich nach der Scheidung von seiner ersten Frau von einem Osnabrücker Unternehmerpaar 500 000 Euro für den Kauf seines Hauses in Burgwedel bei Hannover geliehen. Den Vorwurf, er habe als Ministerpräsident Dienstliches und Privates nicht sauber voneinander getrennt, weist er zurück. Tatsächlich hat er das Darlehen von Edith Geerkens erhalten, der Frau seines väterlichen Freundes. Um das zu beweisen, lässt er Journalisten sogar in seine privatesten Angelegenheiten blicken: Kontoauszüge, Kreditverträge, Überweisungsbelege.

    Mittlerweile jedoch ist die umstrittene Immobilienfinanzierung, die Wulff später durch einen noch günstigeren Kredit bei einer baden-württembergischen Bank ersetzt, nur noch ein Nebenaspekt in einem schwer zu durchdringenden Dickicht aus Vorwürfen, Vermutungen und Verdächtigungen, von denen die wenigsten überhaupt justiziabel sind, die sich in ihrer Summe aber zu einem für Wulff wenig vorteilhaften Gesamteindruck addieren: Ein Mann, aus kleinen Verhältnissen kommend, der sich nur allzu gerne im Glanze der Schönen und Reichen sonnt und nun, da scheibchenweise so vieles aus diesem Leben im Grenzbereich des Glamours publik wird, immer nur zugibt, was er gerade zugeben muss.

    Der Strudel der Affären - Staatsanwaltschaft beantragt Aufhebung der Immunität

    Weil die Wulffs ihre Urlaube immer wieder in den komfortablen Unterkünften ihrer millionenschweren Freunde verbringen, wird aus dem Staatsoberhaupt plötzlich der Schnäppchenpräsident. Als dann auch noch herauskommt, dass der vor dem Erscheinen des ersten Artikels über seinen Kredit empört den Chefredakteur der Bild-Zeitung angerufen hat, erreicht der Konflikt eine neue Eskalationsstufe. Bild behauptet, Wulff habe die Veröffentlichung verhindern wollen. Der Präsident beteuert, er habe nur um einen Tag Aufschub gebeten, da er gerade auf einer Auslandsreise gewesen sei. Es ist der Punkt, an dem aus dem Fall eine Art Staatsaffäre wird: Wie hält der Präsident es mit der Pressefreiheit? Selbst Zeitungen, die bis dahin eher zurückhaltend berichtet haben, fühlen sich jetzt herausgefordert – und das Internet tut sein Übriges. Im Netzwerk Facebook behauptet ein entrüsteter Nutzer gar, Wulff habe jetzt nur noch eine Chance, als Ehrenmann aus der Geschichte herauszukommen: „sich die Kugel zu geben“.

    Es sei vor allem seine Frau gewesen, die ihm in dieser Phase den Rücken gestärkt habe, sagt Wulff. Als er sich anschließend von seinen Mitarbeitern verabschiedet und nach Hause fahren lässt, sind die wichtigsten Dinge geregelt. Am Donnerstag, bei der Feier für die Terroropfer, spricht an seiner Stelle die Kanzlerin. Und was die Debatte über seine Nachfolge angeht, so scheidet ein Mann bereits jetzt aus: Er habe sein Leben so geführt, dass er den hohen moralischen Standards, die neuerdings von den Medien an öffentliche Ämter angelegt würden, nicht mehr gerecht werde, spottet Joschka Fischer, den die Grünen auch schon mal für präsidiabel gehalten haben. Demnächst, höhnt der frühere Außenminister heute, „wird der Bundespräsident über das Wasser wandeln müssen, und dann wird man ihn fragen, ob er sich den Erwerb dieser Fähigkeit nicht hat subventionieren lassen“.

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