Mag sein, dass es für einen Politiker rein wahltaktisch klüger ist, einen eigenen, direkten Zugang zu den Menschen über die sozialen Medien zu unterhalten, dort für die eigene Position und am Ende auch um Stimmen zu werben. Was im Fall von Habecks verunglückten Mitteilungen und in anderen Beispielen aber auch zu sehen ist: Ein blöder, nicht zu Ende gedachter, schnell hingetippter Gedanke genügt, um einen Sturm der Entrüstung heraufzubeschwören und die politische Arbeit von Wochen und Monaten zu zerstören.
Der Nachweis, dass sich soziale Medien in Demokratien tatsächlich als nützliche Plattformen für gewinnbringende politische Diskussionen erweisen, muss sowieso erst noch erbracht werden. Im Regelfall findet Kommunikation dort als Aussenden von Nachrichten und nicht als Austausch statt. Und wenn die Mitteilungen und Kommentare am Ende von Bots, also Computer-Programmen, oder Troll-Fabriken, also Schreibern mit dem Auftrag oder Ansporn, Zwist zu sähen, verfasst werden, muss man sich fragen, wie die sozialen Medien die politische Debatte tatsächlich bereichern.
Eher schon haben sie das Potenzial, Diskussionen zu vergiften oder vollkommen auszuklammern. Der brasilianische Rechtspopulist Jair Bolsonaro hat es vor allem durch einen geschickten Wahlkampf über soziale Medien geschafft, mit seinen radikalen Positionen und zurechtgebogenen Fakten eine Mehrheit zu gewinnen.
Wenn ein deutscher Spitzenpolitiker öffentlich aussteigt, sollte das ein Alarmsignal für den gesamten politischen Betrieb sein: Die sozialen Medien mögen wie ein harmloses Spielzeug wirken, auf denen jeder, der Hip sein will, mitklimpern muss. In der Konsequenz stärken sie bislang eher antidemokratische Kräfte.
Lesen Sie hier die Gegenmeinung von Sascha Borowski: Habecks Ausstieg aus Facebook & Co. ist der falsche Weg