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Reportage: Bautzen: Die Stadt, in der die AfD zu Hause ist

Reportage

Bautzen: Die Stadt, in der die AfD zu Hause ist

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    Die herausgeputzten Fassaden von Bautzen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dahinter große Unzufriedenheit herrscht.
    Die herausgeputzten Fassaden von Bautzen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dahinter große Unzufriedenheit herrscht. Foto: Rainer Weisflog, dpa

    Es ist ruhig auf dem Kornmarkt. Doch mit der Ruhe kann es hier schnell vorbei sein – das weiß man inzwischen in Bautzen. Jeden Abend patrouilliert die Polizei auf dem zentralen Platz der Stadt, den die Einheimischen Platte nennen. Wer im Internet danach sucht, findet Begriffe wie „Massenschlägerei“, „Kampf“ oder „Verletzte“. Als Christian Kämpfe an diesem Herbstnachmittag über den Platz in der 40.000-Einwohner-Stadt spaziert, bleibt er kurz stehen. „Hier ist das alles passiert“, sagt der 74-Jährige. Er denkt an die Bilder, für die seine Stadt seit gut einem Jahr im ganzen Land bekannt ist. Er denkt an Kampfszenen zwischen Flüchtlingen und Rechten. An fliegende Glasflaschen und Holzlatten. An rassistische Beleidigungen und verletzte Polizisten, gejagte Flüchtlinge und Gewalt von allen Seiten.

    Bautzen, so scheint es, steht seither für das rechtsextreme Ostdeutschland, für Nazis und Rassismus, für Dunkeldeutschland. Noch vor ein paar Tagen hätte Kämpfe gesagt, dass das Problem mit den Rechten kleiner ist, als man es in den Medien darstellt. Das Ergebnis der Bundestagswahl aber hat ihm gezeigt, dass seine Stadt tatsächlich ein großes Problem hat. Die rechtspopulistische AfD kam im sächsischen Wahlkreis Bautzen I auf 32,8 Prozent der Stimmen – und lag damit noch vor der CDU (27,1 Prozent). Auch in Bayern war die Partei zwar überraschend stark, in einigen Wahlkreisen sogar zweitstärkste Partei. Doch in der ehemaligen Hauptstadt der Oberlausitz scheint die Partei zu Hause zu sein. Warum ist das so? Und weshalb wählen gerade in einer Stadt wie Bautzen, in der es kaum Migranten gibt, mehr als doppelt so viele rechts wie im Rest der Republik?

    Zu DDR-Zeiten war in Bautzen alles anders

    Um das zu verstehen, müsse man ein paar Jahre zurückgehen, sagt Kämpfe. Zu DDR-Zeiten war die Stadt für die Eisenbahnwaggonfabrik bekannt, für die vielen Baubetriebe, die Textilindustrie und für Papierschneidemaschinen. „Es gab damals keine Arbeitslosen“, erzählt Kämpfe. Das liegt zwar auch daran, dass Jobs geschaffen wurden, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht keinen Sinn ergaben, „aber jeder hatte seinen Platz in der Gesellschaft“.

    Dann kam die Wende. Als Zahnarzt konnte sich Kämpfe selbstständig machen, auch andere fanden schnell wieder Arbeit oder gingen verfrüht in den Ruhestand. Doch ein großer Teil der Menschen in Ostdeutschland und auch in Bautzen fühlte sich abgehängt. „Mit der Arbeitslosigkeit kam das große Erwachen“, sagt Kämpfe: „Das Nicht-gebraucht-Werden hat viele kaputt gemacht.“ Der 74-Jährige spricht von „Abzockern“, die aus dem Westen kamen und einen Betrieb nach dem anderen in die Insolvenz führten. Derzeit liegt die Arbeitslosenquote bei 9,2 Prozent – deutlich höher als der Bundesdurchschnitt von 5,5 Prozent. Auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das Misstrauen in Veränderungen groß. Und nun – so scheint es wohl für einige – steht die nächste große Veränderung an.

    AfD-Politiker Gauland war in Bautzen

    „Frau Merkel will, dass wir in einem Land leben, in dem einmal Muslime die Mehrheit haben“, polterte der AfD-Spitzenpolitiker Alexander Gauland bei seinem Wahlkampfauftritt in Bautzen. Vor ihm standen hunderte Menschen auf dem vollen Kornmarkt. Einige mit Deutschlandflaggen, andere mit skandinavischem Kreuz. Auch „die Freunde von Pegida“ wurden von der AfD begrüßt. Gauland forderte mehr Volksabstimmungen und Abschiebungen, eiferte gegen die „linken Feinde“ in Hamburg und sprach davon, der Politik in Berlin „endlich den Garaus zu machen“.

    Neben Gauland sprach Karsten Hilse. Der AfD-Mann hat bei der Bundestagswahl eines der drei Direktmandate gewonnen. Der Polizist gilt als gemäßigter AfD-Politiker, bezeichnet sich ausdrücklich nicht als Nationalist und behauptet, konservative Politik machen zu wollen. „Guten Abend Dunkeldeutschland“, entgegnete er den vielen Menschen auf dem Kornplatz beim Wahlkampfauftritt. Auch er lamentierte über undemokratische Politiker im Bundestag, über unkontrollierte Massenzuwanderung und forderte auf, Flüchtlinge konsequent abzuschieben. „Alle raus!“, riefen die Menschen vor der Bühne: „Abschieben, abschieben!“

    Derzeit leben etwa 1750 Flüchtlinge im Landkreis Bautzen. Das ist etwas mehr als ein halbes Prozent der rund 320.000 Einwohner. Und doch scheint die Angst vor den Fremden groß zu sein. Lutz Hillmann ist Intendant des Volkstheaters in Bautzen. In einigen seiner letzten Inszenierungen hat er mit Flüchtlingen zusammengearbeitet. Er sagt: „Vielen Menschen hier fehlt die Empathie.“ Mit Theaterstücken, die sich mit Asyl, mit Flucht und dem Leben als Flüchtling beschäftigen, möchte er die Bautzener erreichen. Dass es ausgerechnet hier so viele rechte Sympathisanten gibt, führt er auf die Tatsache zurück, dass der Anteil an Flüchtlingen und Ausländern so gering ist. Den Menschen fehle die praktische Erfahrung mit Migranten.

    Menschen wie Hillmann, die Mitgefühl zeigen und sich engagieren, können in Bautzen zur Zielscheibe werden. Einige böse Mails mit Drohungen aus der rechten Szene hat der Intendant in den letzten Monaten bekommnen. Auch Thorsten Wiegel, Leiter des Bautzener Steinhauses, dem soziokulturellen Zentrum der Stadt, kennt das. Er und seine Mitarbeiter werden immer wieder Opfer von verbalen Anfeindungen. „Wir haben in Bautzen ganz klar ein Rassismusproblem“, sagt Wiegel.

    Er erinnert sich an die schreckliche Septembernacht im vergangenen Jahr, an Pöbeleien auf beiden Seiten, an fliegende Flaschen und Polizisten, die nicht genug dagegen taten. Er selbst war an diesem Abend im Steinhaus und kümmerte sich um einige Flüchtlinge, die dort nach den Angriffen auf offener Straße Schutz suchten. „Das

    Es gab eine Reihe von rassistischen Übergriffen

    Die Ereignisse von damals sind kein Einzelfall, sondern der tragische Höhepunkt einer ganzen Reihe von Vorfällen. Immer wieder kommt es auf offener Straße zu rassistischen Übergriffen, zu Pöbeleien und Beleidigungen gegen Migranten. Die Rechten, erzählt Wiegel, versuchen den öffentlichen Raum in der Stadt einzunehmen. Sie seien gut organisiert und präsent.

    Und tatsächlich, dass die kleine Stadt in Sachsen ein Problem mit Nazis hat, fällt auf. An der Bushaltestelle am Kornmarkt stehen am frühen Nachmittag drei junge Männer mit kurzen Haaren in schwarzen Jeans und dunklen Pullovern mit runenartigem Aufdruck. Sie trinken Bier und sehen aus wie die Männer, für die Bautzen mittlerweile in der ganzen Republik bekannt ist – auch wenn sie heute ruhig bleiben.

    Ein Stück weiter, in den bunten alten Gassen rund um die Ortenburg, finden sich rechte Schmierereien und Sticker an den Fassaden der liebevoll restaurierten Häuser. Einige wurden offensichtlich von linken Aktivisten überklebt oder entfernt, doch Slogans wie „Nazi-Kiez“ oder „Good Night Left Side“ stechen dennoch hervor. Die Ausländerfeindlichkeit zeigt sich an diesem Tag nicht durch tobende Glatzköpfe oder rassistische Pöbler. Sie gibt sich unauffällig. Doch sie ist spürbar. Dass man auf der Straße kaum einen Menschen mit dunkler Hautfarbe sieht, verwundert nicht. In Bautzen liegt der Ausländeranteil bei 4,7 Prozent, bundesweit sind es gut zwölf Prozent.

    Ein Blick auf die Altstadt von Bautzen.
    Ein Blick auf die Altstadt von Bautzen. Foto: Monika Skolimowska, dpa

    Zu DDR-Zeiten war Christian Kämpfe in einer Fabrik angestellt, die Mähdrescher herstellte. Er kümmerte sich um die Zähne der rund 3000 Angestellten im Betrieb und auch um die der Dorfbevölkerung. „Es war eine gute Stelle“, sagt der 74-Jährige. Nach der Wende machte er sich selbstständig und verdiente gut. Er war ein Wendegewinner. Im Ruhestand engagiert er sich in der Stadt, organisiert zusammen mit Freunden und Bekannten Vortragsreihen zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Es geht um Religion oder das bedingungslose Grundeinkommen, um die Presse oder das Thema Asyl.

    Ausländer fühlen sich in der Stadt unwohl

    Lange konnte Kämpfe nicht richtig verstehen, weshalb sich Ausländer in der Stadt unwohl fühlen. Dass er sich heute so ausführlich mit Fremdenfeindlichkeit und Asyl beschäftigt, hat mehrere Gründe. Da ist die amerikanische Austauschschülerin, die zu Gast in Bautzen war und auf der Straße als „Briketto“ beschimpft wurde und dann nicht mehr ausgehen wollte. Da ist der Ehemann seiner jüngsten Tochter aus Mauritius, der sich in der sächsischen Stadt unwohl fühlt, weil er abwertend angeschaut wird. Aber da ist auch Kampfes tiefer Glaube. „Ein Christ kann doch nicht fremdenfeindlich sein“, sagt er.

    Menschen wie er sind es, die in Bautzen Mut machen. Und von ihnen gibt es eine ganze Menge. Das Bündnis „Willkommen in Bautzen“ zum Beispiel, das Bürger der Stadt gründeten. Sie vermitteln Paten, begleiten Flüchtlinge zum Arzt, zum Amt oder helfen bei der Wohnungssuche. Es ist nur eines von gut einem Dutzend solcher Initiativen im Landkreis. Der Bautzener Sportbund etwa hat seit ein paar Monaten einen neuen Integrationsbeauftragten, der sich dafür einsetzt, Flüchtlinge durch Fußball oder Tennis im Verein zu integrieren.

    Der Pfarrer gewährt Kirchenasyl

    Der evangelische Pfarrer Marcus Baumgärtner sieht die Flüchtlingskrise auch als „geistlichen Aufbruch“. Als vor anderthalb Jahren in seiner Kirchengemeinde etliche Flüchtlinge auftauchten, öffnete er seine Gemeinde und gewährte zwei Familien aus dem Iran Kirchenasyl. „Es ist die Pflicht eines Christen, zu helfen, wenn es nötig ist“, sagt er. In der Gemeinde seien die Flüchtlinge herzlich aufgenommen worden. Doch auch den Pfarrer besorgt die Entwicklung in der Stadt: „Es gibt hier eine breite Akzeptanz für Rechte.“ Doch die gebe es nicht nur in Bautzen. Der ganze Osten habe ein großes Problem mit Rechtsextremen. Und das seien nicht nur die Abgehängten, sondern eben auch Akademiker und einflussreiche Geschäftsmänner.

    Warum wählen so viele Männer im Osten AfD?
    Warum wählen so viele Männer im Osten AfD? Foto: Arno Burgi, dpa (Symbolfoto)

    Es ist ein sonniger Herbsttag, an dem Zahnarzt Kämpfe über die Platte spaziert. Wie lange es wohl dauern wird, bis Bautzen nicht mehr überwiegend für Krawall und rechte Hetze bekannt ist? „Das ist schwer zu sagen“, sagt er. „Rassismus gibt es hier schon immer.“ Vielleicht dauert es noch Genarationen, bis auf dem Fußballplatz kein „Sieg Heil“ mehr aus den Zuschauerrängen hallt. Doch man dürfe bei all den rechten Widerwärtigkeiten nicht die vergessen, die in Bautzen ein Zeichen dagegen setzen. Die Menschen im Steinhaus, am Theater, in der Kirche oder in den Sportvereinen.

    „Ich fühle mich wohl hier“, sagt Kämpfe und hofft, dass die patrouillierenden Polizisten bald nicht mehr über seine Platte wachen müssen.

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