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Reisen: Welche Urlaubsziele sind noch sicher?

Reisen

Welche Urlaubsziele sind noch sicher?

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    Nach den Anschlägen von Istanbul sind die Urlauber noch unsicherer geworden.
    Nach den Anschlägen von Istanbul sind die Urlauber noch unsicherer geworden. Foto: mauritius images /Henryk Kotowski /Alamy

    Dieser Sommer ist ein etwas anderer Urlaubssommer. Viele Jahre lang hatte man den Eindruck, in der Welt kann passieren, was will, aber die Deutschen fahren in den Urlaub. Pfingsten in Italien, in den Sommerferien in die Türkei, Wellness im Herbst … Doch in diesem etwas anderen Sommer warten viele lieber ab, ob und wo die Lage ruhig bleibt, buchen in letzter Minute oder entscheiden sich bewusst für andere Urlaubsziele. Island etwa.

    Die Anschläge in Ägypten, Tunesien, in Paris und nun zum wiederholten Mal in der Türkei – überhaupt die anhaltend hohe Terrorgefahr – sorgen für Verunsicherung. Die Frage nach einem möglichen Risiko spielt inzwischen bei vielen Reiseplanungen eine mitentscheidende Rolle. Natürlich machen sich Verbraucher nun Gedanken darüber, wohin man eigentlich noch reisen kann.

    Das Attentat am Flughafen von Istanbul hat es erneut gezeigt: Terroristen haben erkannt, wie wirkungsvoll sie einen Staat treffen können, wenn sie dort zuschlagen, wo Touristen die Opfer sein könnten. Mit dem tödlichen Anschlag am Strand von Sousse, bei dem vor gut einem Jahr 38 Urlauber ums Leben kamen, hat das Land seine Haupteinnahmequelle verloren, Tourismus findet in Tunesien quasi nicht mehr statt.

    Heil war die Urlaubswelt noch nie, aber in den letzten Jahren ist sie gefährlicher geworden. Auch wenn die Experten den Gedanken noch wegschieben wollen, vielleicht steht die Tourismusbranche vor einer Zeitenwende. Denn der Terror, davon muss man gegenwärtig ausgehen, wird bleiben. Und Entspannen und Angst – das geht vor allem für Familien nicht zusammen.

    Warum die Unsicherheit die Deutschen nicht vom Reisen abhält

    Dieser etwas andere Sommer beschäftigt nicht nur die Reisebranche, die mit Sonderkatalogen und -angeboten versucht hat, die Urlauber doch an die bekannten Massenziele rund ums östliche Mittelmeer zu bringen. Freizeitforscher Horst W. Opaschowski ist der Ansicht: „Wir müssen uns von der heilen Urlaubswelt weitgehend verabschieden“. Der 75-Jährige, der in der Vergangenheit zahlreiche Studien über das Reiseverhalten der Deutschen veröffentlicht hat, beobachtet: „Die deutschen Urlauber machen gerade eine realistische Wende durch.“ Die anhaltende Terrorgefahr habe sich im Bewusstsein festgesetzt: „Die Urlauber wollen am Ende des Urlaubs nicht mehr die berühmte Bräune, sondern die heile Haut mit nach Hause bringen“.

    Doch Opaschowski ist auch davon überzeugt, dass dieses gewisse verunsicherte Grundgefühl die Bundesbürger nicht vom Reisen abhalten wird. „Urlaub bleibt für die Deutschen die populärste Form von Glück.“ Die Reiseweltmeister werden also weiter Kataloge studieren. Allerdings werden sie seltener zum Jahresanfang ihr Urlaubsjahr durchplanen oder gar gleich buchen. „Abwarten“, heißt jetzt der Trend, so Opaschowski.

    Bombenanschläge in Istanbul: ein Überblick

    Die türkische Metropole Istanbul war in den vergangenen Monaten immer wieder das Ziel von Attentaten mit Bomben. Einige Fälle:

    Juni 2016: Die Explosion einer ferngezündeten Autobombe tötet im Zentrum Istanbuls elf Menschen, 36 weitere werden verletzt. Bei den Toten handelt es sich um sechs Polizisten und fünf Zivilisten. Eine PKK-Splittergruppe bekennt sich auf ihrer Internetseite zu der Tat.

    Mai 2016: Bei einem Autobombenanschlag auf das Militär werden fünf Soldaten und drei Zivilisten verletzt. Das Auto detoniert in der Nähe einer Kaserne, als ein Militärfahrzeug vorbeifuhr. Nach türkischen Medienberichten bekannte sich die kurdisch-nationalistische PKK zu dem Anschlag.

    März 2016: Ein Attentäter sprengt sich auf der zentralen Einkaufsstraße Istiklal in die Luft und reißt vier Menschen mit in den Tod, 39 weitere werden verletzt. Drei der Todesopfer sind Israelis, eines ist aus dem Iran. Laut türkischer Regierung hatte der Attentäter Verbindungen zur sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

    Januar 2016: Bei einem Anschlag im historischen Zentrum Istanbuls werden zwölf Deutsche getötet. Der Angreifer sprengt sich mitten in einer deutschen Reisegruppe in der Nähe der Hagia Sophia und der Blauen Moschee in die Luft. Der Attentäter gehörte nach Angaben der türkischen Regierung dem Islamischen Staat (IS) an.

    August 2015: Bei einem Bombenanschlag und einem anschließenden Angriff auf eine Polizeiwache werden mindestens vier Menschen getötet. Eines der Todesopfer ist Polizist, die drei anderen sind die Attentäter. Laut türkischen Medien bekannte sich die PKK zu der Tat.

    Eine Ausgangslage, an die sich die deutschen Reiseveranstalter erst wieder gewöhnen müssen. So eine Unentschlossenheit kennt man in der erfolgsverwöhnten Reisebranche, die zuletzt ein Rekordjahr nach dem anderen erlebte, seit bald acht Jahren nicht mehr. „Für die Unternehmen ist das ein herausfordernder, nicht planbarer Sommer“, sagt Thorsten Schäfer, Sprecher des Deutschen Reiseverbands (DRV), eine Interessenvertretung der deutschen Touristikunternehmen.Dieses ungewohnte Verhalten sieht Schäfer in den „allgemein sich veränderten Lebensumständen“ begründet. „Der Terror ist uns immer näher gekommen.“ Die Sicherheitsdiskussion habe das Reisejahr „durcheinandergewirbelt“.

    Viele Deutsche werden mit der Urlaubsplanung warten

    Das Reisejahr – normalerweise wird es von den Verbrauchern bis spätestens bis März eingetütet. Heuer hingegen steht häufig noch gar nicht fest, wo es in schon gut einem Monat hingehen könnte. Selbst für die Sommerferien wird auf den letzten Drücker gebucht.

    Bleiben jetzt alle zu Hause und der Handtuchkrieg bricht an den heimischen Baggerseen aus? Die Deutschen werden ihre Koffer packen. Davon darf man ausgehen. Aber sie schauen sich eben nach anderen Zielen um. Eine Radeltour mit der Familie... Wandern auf Island... Und natürlich boomt der Urlaub im eigenen Land. Die Ostsee, die Nordsee und der bayerische Süden, das sind die angesagten Klassiker. Dieses Jahr noch etwas mehr. Wenn nicht der deutsche Standortnachteil Wetter wäre.

    Denn für die meisten gilt: Badeurlaub muss sein. Schwimmen, Schlemmen, in der Sonne schwitzen, am Strand die Seele baumeln lassen – das bleiben die großen Erholungsziele – auch in Zeiten des Terrors. Wenn nicht in der Türkei oder in Ägypten, dann dieses Jahr eben auf Rügen oder Mallorca, das heuer so viele Touristen wie nie zuvor erwartet. Laut Tui-Manager Dr. Oliver Dörschuck gibt es auf der Balearen-Insel aber sogar noch freie Betten: Wenn man schnell bucht, flexibel ist, was den Flughafen angeht und den Reisezeitraum nicht exakt festlegen muss. Mit anderen Worten: Die Insel ist überbucht.

    In diesem Jahr beobachten die Touristiker eine Wellenbewegung vom östlichen in Richtung westliches Mittelmeer. Solche Bewegungen hin und her entlang der Badewanne Europas gab es immer – doch heuer fällt sie besonders extrem aus. Besonders gefragt in diesem etwas anderen Sommer: die portugiesische Algarve, die Balearen und klassischen Badeorten des spanischen Festlandes. Und Italien natürlich. Die Griechen gehen sogar einem Urlaubsrekordsommer entgegen. Flüchtlinge, Euro-Krise spielen dabei keine Rolle. Vor allem die Inseln sind bei den Deutschen beliebt, Korfu, Kreta, Kos und Rhodos … Auch Kroatien zählt zu den großen Gewinnern in diesem etwas anderen Sommer. Bei Tui,

    Türkei-Buchungen gehen nach den Anschlägen von Istanbul zurück

    Für die Türkei dürfte sich jetzt nach den Anschlägen am Istanbuler Flughafen wieder vieles zum Schlechten wenden. Im Juni spürten die Reiseveranstalter einen deutlichen Anstieg bei den Türkei-Buchungen. Der Münchner Reiseanbieter FTI etwa hatte ein extra Booklet mit Sonderangeboten herausgegeben. Andere Veranstalter reagieren mit Upgrades oder besseren Serviceleistungen, um die Delle in diesem Jahr auszugleichen. Normalerweise fliegen durchschnittlich fünf Millionen Deutsche in die Türkei. Letztes Jahr waren es sogar 5,6 Millionen. 90 Prozent der Türkei-Reisenden fahren an die türkische Riviera und in die Ägäis. Badetouristen also.

    In diesem etwas anderen Sommer, in dem die Deutschen und die Russen an den türkischen Stränden fehlen, füllen übrigens viele Israelis zumindest einige Hotelanlagen in Antalya, Side oder Bodrum. Dennoch blieben viele Hotels einfach geschlossen. Manche Häuser kommen trotz deutlicher Preissenkungen gerade auf 20 bis 25 Prozent Auslastung. In den Jahren zuvor war

    Der türkische Hotelier Nihat Tümkaya, Direktor des Club Nena bei Side, allerdings sagt: „So ein Jahr wie 2016 hat sich niemand vorstellen können“. In vielen Hotels fallen die Buffetts weniger üppig aus, wird am Personal gespart und mancherorts schließt sogar der Wasserpark. Tümkaya fürchtet: „Ändert sich die politische Lage nicht, wird es noch viele Jahre so weiter gehen“.

    Noch dramatischer ist die Situation in Ägypten und Tunesien. Der Arabische Frühling (2012), schwierige poltischen Zeiten in der Folge, der Anschlag auf einen russischen Ferienflieger. Auch in Ägypten sind in der Folge viele Resorts geschlossen. Die Zeiten, in denen es nur so brummte an den ägyptischen Stränden, scheinen unerreichbar weit entfernt. Im Rekordjahr 2010 kamen insgesamt 15 Millionen internationale Touristen an den Nil, vergangenes Jahr waren es knapp eine Million. Allmählich interessieren sich wieder mehr Urlauber für das Land: „Ägypten kommt langsam zurück“, so Thorsten Schäfer. Mittlerweile gebe es bei den Reiseveranstaltern vorsichtige Tendenzen, die Flug- und Hotelkapazitäten wieder für den Winter auszuweiten – alles unter dem Vorbehalt: Es passiert kein weiterer Terroranschlag.

    In Tunesien dagegen liegt der Tourismus nachhaltig am Boden. Der Aldiana-Club und die spanischen Riu-Gruppe haben sich bereits zurückgezogen, viele Hotels stehen leer. Die Urlauber konnten die Bilder der getöteten Touristen am Strand wohl nicht vergessen, vermutet Schäfer. Für das Land bedeutet dies ein soziales Drama. Der Tourismus war, wie in Ägypten auch, die Haupteinnahmequelle Tunesiens. Zimmermädchen, Bademeister, Kellner haben ihre Jobs verloren, die Taxifahrer und Kutschenlenker kaum mehr Aufträge, die Bazare und Shops keine Kunden mehr.

    In diesem etwas anderen Sommer ist Tunesien damit wohl die Ausnahme in Opaschowskis Theorie: „Urlauber haben ein chronisches Kurzzeitgedächtnis. Sie leisten keine Trauerarbeit“. Doch, was einen anderen Trend angeht, behält der Freizeitforscher recht: Der Kreuzfahrttourismus wird immer attraktiver. Vielleicht auch aus diesem Grund: Droht irgendwo eine Krise, fährt das Schiff einfach weiter ...

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