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Regierungsproteste: Tausende ehren Todesopfer auf Istanbuls Straßen

Regierungsproteste

Tausende ehren Todesopfer auf Istanbuls Straßen

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    Die Proteste in der Türkei nehmen kein Ende. Die Polizei geht in Istanbul mit Tränengas und Pastikgeschossen gegen Demonstranten vor.
    Die Proteste in der Türkei nehmen kein Ende. Die Polizei geht in Istanbul mit Tränengas und Pastikgeschossen gegen Demonstranten vor. Foto: Ulas Yunus Tosun (dpa)

    Nach erneuten schweren Krawallen in Istanbul sind mehr als 10.000 Menschen zu Ehren des getöteten Ugur Kurt auf die Straße gegangen. "Mörderstaat" und "Ihr seid uns Rechenschaft schuldig", rief die Menge im Stadtteil Okmeydani, wo der 30-Jährige am Freitagabend beerdigt wurde. Er war als Unbeteiligter am Donnerstag von einer Kugel getroffen worden. Die Proteste, bei denen es ein zweites Todesopfer gab, gingen am Freitag weiter.

    Grubenunglück mit mehr als 300 Toten führte zu Protesten

       Entzündet hatte sich der jüngste Protest inmitten des Präsidentschaftswahlkampfs am Gedenken an den Beginn der Aktionen zur Rettung des Gezi-Parks in Istanbul vor einem Jahr sowie an dem schweren Grubenunglück im westtürkischen Soma mit mehr als 300 Toten vor anderthalb Wochen. Am Donnerstag hatte eine kleine Gruppe in Okmeydani protestiert - später kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei.

       Kurt nahm an einer Trauerfeier teil und wurde von einer Kugel getroffen, er starb am Donnerstagabend. "Er kam gestern hierher, um jemanden zu beerdigen, und heute wird er selbst beerdigt", riefen viele Trauernde, als sie am Freitagabend durch Istanbul liefen. Ermittlungen zu den Todesumständen des 30-Jährigen waren im Gange.

    Schoss die Polizei mit scharfer Munition in die Menschenmenge?

    Bis zum Twitter-Verbot: Wie die Probleme für Erdogan anwuchsen

    Seit fast einem Jahr befindet sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan unter zunehmenden Druck. Hier die wichtigsten Ereignisse dieser Zeit im Überblick, von den Gezi-Protesten bis zum Twitter-Verbot:

    31. Mai 2013: Das brutale Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten, die im Istanbuler Gezi-Park gegen ein Bauprojekt der Regierung protestieren, löst landesweite Straßenschlachten in der Türkei aus. Acht Menschen sterben, tausende werden verletzt.

    15. Juni 2013: Erdogan lässt den Gezi-Park gewaltsam räumen.

    13. November 2013: Erdogan beginnt seinen Kampf gegen die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen mit der Ankündigung, private Nachhilfeschulen zu schließen; diese sind eine wichtige Einnahmequelle für die Bewegung.

    17. Dezember 2013: Istanbuler Staatsanwälte lassen mehrere Dutzend Verdächtige aus dem Umfeld der Erdogan-Regierung unter Korruptionsverdacht festnehmen. Erdogan spricht von einem Komplott der Gülen-Bewegung und reagiert mit der Versetzung vieler leitender Polizeibeamter, darunter auch des Polizeichefs von Istanbul.

    25. Dezember 2013: Erdogan bildet sein Kabinett um, nachdem drei in den Korruptionsskandal verwickelte Minister ihren Rücktritt eingereicht haben. Ein vierter Minister, der ebenfalls im Zusammenhang mit der Affäre genannt wird, verliert im Zuge des Revirements seinen Posten.

    24. Februar 2014: Im Internet tauchen die Mitschnitte von Telefonaten Erdogans mit seinem Sohn Bilal auf, in denen die beiden angeblich besprechen, wie sie größere Geldsummen vor der Justiz verstecken können. Erdogan bezeichnet die Mitschnitte als Manipulation.

    21. März 2014: Erdogans Regierung lässt den Zugang zum Kurznachrichtendienst Twitter sperren, über den viele der Korruptions-Enthüllungen publik geworden sind.

    26. März 2014: Ein Verwaltungsgericht in Ankara ordnet die Aufhebung der Twitter-Sperre auf. Erdogans Regierung sagt eine Umsetzung des Urteils zu. Der Zugang zu dem Kurznachrichtendienst bleibt trotzdem vorerst gesperrt.

       Dem stellvertretenden Regierungschef Bülent Arinc zufolge ging die Polizei in der Nähe der Trauerfeier am Donnerstag mit Tränengas gegen Demonstranten vor und gab Warnschüsse in die Luft ab. Kurt sei offenbar von einer verirrten Kugel getroffen worden. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur AFP hingegen, die Polizisten hätten mit scharfer Munition in die Menschenmenge geschossen.

       Die Proteste dauerten in der Nacht zum Freitag an. Demonstranten warfen Brandsätze, errichteten Straßensperren und setzten Autoreifen in Brand. Nach Angaben des Istanbuler Gouverneurs Hüseyin Avni Mutlu starb nach der Explosion eines Sprengsatzes in der Nacht zudem ein weiterer Mann am Freitagmorgen an seinen schweren Verletzungen. Bei den Ausschreitungen wurden nach Behördenangaben auch zehn Menschen verletzt, darunter acht Polizisten.

    Polizei setzt Warnschüsse und Tränengas ein

       Tagsüber setzten sich die Krawalle fort. Wie ein AFP-Fotograf berichtete, gaben Polizisten Warnschüsse in die Luft ab und setzten danach Tränengas ein, um gegen Freitagmittag eine Gruppe militanter Regierungsgegner in Okmeydani zu verjagen.

       Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, gegen dessen Regierung sich die Proteste vor allem richten, bezeichnete die Demonstranten in einer Rede als "Terroristen", die "wie in der Ukraine das Land spalten" wollten. Er könne die Geduld der Polizeikräfte "nicht verstehen", sagte er.

       Bei der Präsidentschaftswahl im August gilt Erdogan als Favorit, auch wenn er seine Kandidatur noch nicht offiziell erklärt hat. Am Samstag wird Erdogan in Köln von mehreren tausend Anhängern zu einem umstrittenen Redeauftritt erwartet. afp

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